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Bruderherz

Dass nicht nur die “fromme Welt”, sondern auch und gerade unsere Gesellschaft unter einem verkorksten Männerbild leidet, ist offensichtlich. “Bruderherz” ist dagegen kein Patentrezept, sondern eher so etwas wie eine Bestandsaufnahme und Diagnose, warum die Lage so ist, wie sie ist.

Eines vorab: Ich habe mich ein wenig vom Klappen und Werbetext beeinflussen lassen und dachte, in diesem Buch geht es primär um Männerfreundschaften. Dem ist nicht so – aber das ist nicht weiter tragisch, denn indirekt geht es doch auch darum. Denn der Untertitel beschreibt es treffend: “Echte Männer, echte Freunde”. Erst Mann – dann Freund, so könnte man es sagen und so ist es sicherlich dann auch wieder gerechtfertigt, sich von diesem Buch einige Tipps im Blick auf “echte Männerfreundschaften” zu erwarten.

Das Ende einer Täuschung und das Beste zum Thema

Allerdings, und vielleicht ist das sowohl der Kern meiner “Enttäuschung” (denn jede “Enttäuschung” ist das “Ende” einer “Täuschung” auf Grund falscher Erwartungen) als auch der Kern des Buches: es geht ans Eingemachte! Liebe Männer, das ist keine leichte Lektüre. Sie wird euch an eure Abgründe und schwarzen Löcher führen, sie wird euch schonungslos über euch selbst Dinge offenbaren, von denen ihr dachtet, dass sie euch nicht betreffen. Das Buch wird euch herausfordern, ein “echter Mann zu werden”. Und ich würde so weit gehen, dass Wes Yoder so viel Tiefgang, so viel Authentizität, so viel Biografie und so viel Ehrlichkeit in das Buch hineingelegt hat, dass es mit Abstand das Beste ist, was ich im Blick auf “Mannsein” bisher gelesen habe.

Yoder selbst hat aber auch jede Menge zu berichten und zu diesem Thema beizusteuern. Aufgewachsen unter den “Amischen” und den Mennoniten, hat er den Glauben nicht nur mit der Muttermilch mitbekommen – er hat ihn in seinen schönen wie auch in seinen einengenden Seiten kennengerlernt. Das führte dazu, wie er in seinem Buch immer wieder beschreibt, dass er sich in seinen jungen Erwachsenenjahren sehr distanzierte vom Glauben, einige Dinge tat, die allesa ndere als förderlich für ihn (und sein Umfeld) waren, zurückfand zu Gott und schließlich Unternehmer wurde.

Er war Teil des “Jesus Movement” in den USA, verhalf einigen christlichen Bands und Künstlern zu ihrem Durchbruch und ist heute Präsident von “Ambassador” – einer Agentur für Autoren und Sprechern und war dadurch u.a. Medienvertreter der weltweiten Bestseller “Leben mit Vision” von Rick Warren oder “Die Hütte” von William Paul Young. Letzterer schrieb das Vorwort zu “Bruderherz”.

Eine Einladung zum Gespräch

So versteht Wes Yoder sein Buch und schreibt als Vorbemerkung:

Herzlich willkommen, ihr Brüder, die ihr im Leben verletzt worden seid, die ihr feststeckt und denen nicht so ganz klar ist, was sie als nächstes tun sollen. Herzlich willkommen, ih Väter, die ihr euren Kindern und den zukünftigen Generationen in geistlicher wie menschlicher Hinsicht etwas Authentisches hinterlassen wollt. Herzlich willkommen, ihr Männer, die ihr tiefgründige stille Wasser seid […]. Herzlich willkommen, ihr Söhne, die ihr euch danach sehnt, mit euren Vätern und anderen Männern eine Unterhaltung zu führen. […] Dies ist eine Einladung zu einem Gespräch.Bruderherz, S.9

Entsprechend ist das Buch gegliedert, denn man möchte manchesmal am liebsten einhaken und fragen: “Wie genau meinst du das, lieber Wes?” Manche Gedankengänge scheinen etwas konfus order retardierend. Antworten auf die Fragen erhält man aber im Lauf des Buches, als ob Yoder sagen würde: “Warte ab, Bruder, die Antwort wirst du in diesem Buch schon noch finden.” Also liest Mann weiter, legt das Buch nicht aus der Hand, erfährt die nächste Anekdote aus dem Leben eines faszinierenden Mannes oder ist be(un)ruhigt darüber, dass es allen Männern doch irgendwie ganz ähnlich geht: Es geht um Zerbruch, um Scham, die Geschichte mit dem eigenen Vater, der Umgang mit Sexualität, die Versuchungen und Verlockungen des Alltags, herbe Enttäuschungen, Lust und Frust im Glauben, erfahrenes Leid sowie um Enttäuschung. Das alles aber so, dass nicht einmal der Gedanke kommt. “Ach, komm schon, Wes, das ist jetzt aber schon bisschen schubladenmäßig.”

Gefühlt – aber dass mag wirklich sehr subjektiv sein – geht es in diesem Buch sehr viel um das, was Männer in ihrem Leben an Negativem erfahren haben und wie es sie mehr prägt und formt, als sie das vielleicht wahrhaben wollen. Es kommer aber weder schablonenhaft noch platt daher. Es begegnet imer wieder in den unterschiedlichen Facetten, wie es auch Yoder erlebt hat.

Ich empfehle dieses Buch jedem (!) Mann und jedem männlichen Individuum, das auf dem Weg ist, ein “echter Mann” werden zu wollen. Auch das schreibt Yoder, was das denn ist bzw. “wer ein echter Mann ist”. Aber das hier vorwegzunehmen wäre Spoilern im Quadrat. Deswegen lasse ich es und hoffe, dass Du, lieber Leser, dieses Buch lesen wirst und Du, liebe Leserin, dieses Buch einem männlichen Freund, deinem Ehepartner, Vater, Bruder oder Sohn zu lesen empfiehlst.

Ein letzter Gedanke

Ich empfehle, dieses Buch nicht zu sehr “scheibchenweise” zu lesen, sondern in großen Happen, da der große Bogen sonst verloren gehen kann bzw. die oben angesprochenen im Buch “versteckten” Antworten nicht gefunden werden. Yoder liefert auch sehr, sehr viele konkrete Tipps und Anregungen zum Nachdenken – aber nicht über’s Buch verstreut, sondern in kompakten Dosierungen. Wer es also praktisch mag, muss schon einige Seiten lesen, um immer wieder an diese ganz praktischen Ratschläge zu kommen.

Bruderherz
240 Seiten
ISBN: 9783957345127
Verlag: Gerth Medien
Preis: 15 EUR

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Was tun Christen, wenn sie beten?

Es war nicht beabsichtigt, aber ich glaube nicht an Zufälle. Insofern glaube ich vielmehr, dass Gott mich eher “beiläufig” genau dieser Frage mal genauer nachgehen ließ. Ich war in der Vorbereitung für die Predigt “Einfluss nehmen durch Gebet” über Daniel 9.

Es kam, wie es kommen musste: Ich machte mir Gedanken darüber, was Gebet eigentlich ist – und was Gebet nicht ist. Manche Erkenntnisse sind vielleicht etwas provokant und herausfordernd – dann ist das durchaus ein positiver Nebeneffekt.

1Beten ist kein “Weckerklingeln für Gott”

Immer mal wieder begegnet einem die Vorstellung oder Darstellung, dass wir durch Gebet “Gottes starken Arm bewegen”. Das einzig richtige an dieser Aussage ist, dass Gottes Arm “stark” ist – so steht es auch schon in Jesaja 59:

Siehe, des HERRN Arm ist nicht zu kurz, dass er nicht helfen könnte, und seine Ohren sind nicht taub geworden, sodass er nicht hören könnte.Die Bibel, Jesaja 59,1

Aber lass uns doch mal anschauen, was es bedeuten würde, wenn wir durch unser Gebet Gottes Arm bewegen würden. Wenn dem so wäre, dann könnte man leicht schlussfolgern: Ohne unser Gebet bewegt Gott seinen Arm nicht. Ohne unser Gebet tut Gott nichts – unser Gebet ist sozusagen das “Weckerklingeln für Gott”.

Das wiederum bedeutet, dass Gott eigentlich tatenlos zuschaut, was auf der Erde so geschieht und erst eingreifen kann, wenn Christen anfangen, zu ihm zu beten. Aber – wann greift er dann ein? Wie viel Gebet ist nötig? Wie viele Vaterunser, wie viel Sprachengebet, wie viele Gebetsstunden, wie viele Gebetsversammlungen und vor allem ganz wichtig: Müssen Landeskirchlicher, Baptisten, Charismatiker und Pfingstler gleich viel beten oder die einen mehr als die anderen?

So witzig das klingt: Leider ist genau damit in der Kirchengeschichte immer wieder eine Menge Unheil angerichtet worden.

Menschen fragen: “Wieso tut Gott nichts? Wieso greift er nicht ein?”

Menschen antworten: “Du hast zu wenig gebetet! Du musst mehr beten!”

Und schon ist die Schuld bei mir – so ein Quatsch! Aber diese Theologie hat viel Schaden angerichtet im Glauben, im Leben, in der Seele von einzelnen Menschen. Irgendwann begannen sie wirklich zu glauben, dass es an ihnen liegen würde, ob und wie Gott eingreift und wenn er es nicht tut – dann beten sie halt zu wenig. Ich finde das tragisch und verantwortungslos. Da ist jemand schwer krank und betet, was das Zeug hält – und es tritt keine Heilung ein. Und nun? Wenn du der Ansicht bist, dass wir durch Gebet Gottes Arm bewegen, den er sonst nicht bewegt hätte, wird es seelsorgerlich äußerst herausfordernd bis unlösbar.

Darüber hinaus gibt es für mich so etwas wie eine “geistliche Logik”, das heißt: Der christliche Glaube ist nicht nach menschlicher, aber nach göttlicher Logik aufeinander aufbauend und widerspricht sich nicht – vielmehr legt sich die Bibel beispielsweise gegenseitig aus. So auch im Blick auf das Gebet. Jesus lehrt seine Jünger das Vaterunser. Bevor er das tut, sagt er einen – wie ich finde – herausragenden Satz über das Beten:

Euer Vater weiß, was ihr braucht, bevor ihr ihn bittet.Die Bibel, Matthäus 6,8

Wenn dem so ist – und ich glaube, dass dem so ist – wäre es geistlich gesehen vollkommen unerklärlich, wieso Gott erst durch unser Gebet bewegt werden müsste, wenn er doch ohnehin schon längst weiß, was wir benötigen.

Dann wäre Gott wirklich dieser G.O.T.T., für den ihn manche halten: Guter Opa, total taub. Und das wäre sogar noch nett ausgedrückt, denn eigentlich wäre Gott dann nichts anderes als ein unberechenbares, willkürliches und menschenverachtendes Wesen, das ohnehin macht, was es will – denn es weiß zwar, was der Mensch braucht – aber er säße wie eine beleidigte Leberwurst in seinem überdimensionalen Schaukelstuhl, nur darauf wartend, dass das kleine Häufchen Menschlein nun endlich auch mal in die Puschen kommt und zu ihm schleicht, um Dinge zu sagen, die er ohnehin längst schon weiß, schon längst darauf hätte reagieren können, aber nein: sein Arm war zu schwach. Crazy. Abgefahren. Komisch. Gefährlich. Das hat mit Beten nichts zu tun.

Bevor ich mich dem widme, was Beten wirklich ist, noch eine Sache, was Beten nicht ist.

2Beten ist keine Verhandlungssache

Ich glaube, dass Gott durch und durch gut ist. Ich glaube, dass er das unabhängig von unseren Gedanken, Gefühlen und auch Empfindungen ihm gegenüber ist. In der Bibel wird das einmal so beschrieben:

Alles, was Gott uns gibt, ist gut und vollkommen. Er, der Vater des Lichts, ändert sich nicht; niemals wechseln bei ihm Licht und Finsternis.Die Bibel, Jakobus 1,17

Wenn wir nun also beten, dann wenden wir uns an diesen Gott, der für Christen wie ein Vater ist, bei dem es kein “heute so, morgen so” gibt. Er ist immer gut, bei ihm ist Licht immer Licht und Dunkel immer Dunkel. Es gibt keine unberechenbare Aktionen, keine Launen, keine Unwägbarkeiten. Gott ist gut. Punkt!

Weil Gott gut ist, schuldet er uns nichts, denn sonst wäre er nicht gut. Wenn ein Mensch einem anderen Menschen etwas schuldet, dann nur deswegen, weil er an einer bestimmten Stelle nicht “gut gehandelt” hat. Er schuldet jemandem Aufmerksamkeit, weil er abgelenkt ist. X schuldet Y zehn Euro, weil er sie von Y geliehen hat. Y schuldet X einen Kasten Bier, weil X die Wette gewonnen hat. Whatever: Wenn jemand einem anderen etwas schuldig ist, dann deswegen, weil sein Verhalten in irgendeiner Weise defizitär war und ist.

Aber nicht so bei Gott. Gott ist gut. Durch und durch. Nicht nur manchmal, sondern jeden Tag:

Die Güte des HERRN hat kein Ende, sein Erbarmen hört niemals auf, es ist jeden Morgen neu! Groß ist deine Treue, o Herr!Die Bibel, Klagelieder 3, 22+23

Ich darf alles von Gott erbitten (dazu mehr im letzten Punkt) – wichtig ist nur, dass ich nicht die Haltung an den Tag lege, als ob Gott mir das schuldig sei. Nein – das ist er nicht. Gott ist mir gar nichts schuldig. Aber er gibt gerne, freiwillig, großzügig – weil er mich liebt. Das ist das Faszinierende und Besondere an Gottes Wesen und seinem Verhältnis uns Menschen gegenüber. Der Mensch ist es, der Gott etwas schuldig ist, nicht andersrum – aber Gott ist derjenige, der dem Menschen gerne, großzügig und freiwillig gibt – und nicht andersrum.

3Beten ist Atemholen für die Seele

Stell dir vor, du triffst eines Tages einen Menschen, der dir sagt: “Ich hab die Schnauze voll! Jeden einzelnen Tag meines Lebens habe ich geatmet. Eingeatmet, ausgeatmet, eingeatmet, ausgeatmet….Ich habe jetzt keine Lust mehr. Ich lass das mit dem Atmen.”

Wenn dir der Mensch wichtig ist, bestellst du sofort einen Rettungswagen, falls er seine Ankündigung wahrmachen sollte. Abgesehen davon ist das natürlich totaler Quatsch, was dein Gegenüber dir da so erzählt. Es gibt aber eine erstaunliche Parallele zum Gebet.

Gebet ist Atemholen der Seele.John Henry Newman

Ich liebe dieses Wort von John Henry Newman, einem Theologen des 19. Jahrhunderts. Es bringt auf ganz einfache Weise auf den Punkt, um was es beim Gebet geht: um eine überlebenswichtige Angelegenheit für unsere Seele. Jetzt kann hier keine lange Ausarbeitung erfolgen, was “die Seele” ist – für mich ist es der “innere Mensch”, mein inneres Wesen, mein “inwendiger Mensch” (wie Luther es übersetzt), von dem Paulus schreibt:

Ich bitte Gott, euch aus seinem unerschöpflichen Reichtum Kraft zu schenken, damit ihr durch seinen Geist innerlich stark werdet.Die Bibel, Epheser 3,16

Gebet ist überlebenswichtig für meinen inneren Menschen, für meine “verborgene Welt”, wie es Gordon MacDonald in seinem Buch “Ordne dein Leben” beschreibt. [Einiges mehr zu diesem Buch und dem Begriff der “verborgenen Welt” als Bezeichnung für diesen inneren Menschen bzw. für die Seele, findest du im Artikel “Ordne dein Leben“].

Wenn Christen beten, dann ist es in erster Linie das Aufrechterhalten der geistlichen Vitalfunktion und Ausüben dessen, was ganz natürlich zum Wesen eines Christen gehört. Erst in zweiter, dritter, vierter Reihe ist es ein Bitten, Danken, Klagen.

Beten – und ich beziehe mich hier vor allem auf das gesprochene Gebet mit Worten (es gibt viele Arten zu beten) – ist sozusagen Selbst-Seelsorge. Und wer betet, der weiß: Es funktioniert! Das klingt nach einer Milchmädchen- und Kaffeeautomaten-Rechnung, aber es ist nun mal so: Im Gebet werde ich innerlich justiert. Ich erkenne, wer ich bin und wer Gott ist – und dass das nicht ein und dieselbe Person ist. Und das ist gut so. Mir wird bewusst, wer ich vor Gott bin: Geschöpf – und zwar unendlich geliebtes Geschöpf.

Und als dieses unendlich geliebtes Geschöpf lässt Gott mir nun im Gebet etwas zuteil werden, was unser menschliches Denken so weit übersteigt, dass es wohl schwierig werden wird, es mit menschlichen Worten zu beschreiben – aber andere Worte stehen mir leider nicht zur Verfügung.

4Beten ist Mitkämpfen an Gottes Seite

Wenn Christen beten, stellen sie sich an Gottes Seite und werden von ihm mit hinein genommen in den Kampf gegen alles Wider-Göttliche in dieser Welt. Das beginnt beim ganz Persönlichen und hört beim politischen Weltgeschehen nicht auf. Gott ist weder Verhandlungspartner noch irgendetwas schuldig. Aber er verleiht dem Menschen eine unglaublich großartige Ehre und Würde, indem er ihn an seine Seite nimmt und mit ihm für diese Welt kämpft.

Im Gebet sprechen Christen die Wahrheit aus und proklamieren Gottes Größe und Herrlichkeit mitten hinein in die Widrigkeiten und unsäglichen Ereignisse dieser Welt – persönlich wie global. Ob persönliche Schuld, Krankheit, finanzielle Notsituation, zwischenmenschliche Konflikte, herausfordernde Situationen im Berufsleben, politische Entscheidungen in kommunaler, regionaler, das ganze Land und die ganze Welt betreffende Ebene sowie Entwicklungen weltweit, die sich direktem menschlichen Einfluss wohl entziehen – in alledem tut der Christ eines: Er kapituliert nicht vor diesen Dingen sondern streitet mit Gott an seiner Seite für diese Dinge.

Selbst dort, wo wir nur noch bitten, klagen und jammern – selbst dort tun wir es an Gottes Seite. Wir tun es an der Seite dessen, der Himmel und Erde, Sonne, Mond und Sterne, die Galaxien und das ganze Universum erschaffen hat. An der Seite dessen, der von Ewigkeit her war und der bis in alle Ewigkeit sein wird.

Für mein menschliches Denken ist das ein bisschen zu viel. Dass dieser Gott mir diese besondere Ehre zuteil werden lässt und mich mit an seine Seite nimmt – das ist schon sehr abgefahren! Aber es ist so – ich kann’s nicht ändern – und will es auch gar nicht ändern. Nur tut es gut, wenn wir uns dessen immer mal wieder bewusst werden, dass Beten weit, weit mehr ist, als einfach nur ein paar Worte daherzustammeln, sondern ein Aussprechen (Proklamieren), dass Gott Sieger ist, dass er Herr über alles ist, dass niemand und nichts ihm gleich kommt und dass wir noch so viel zweifeln können – Gott ist immer noch größer.

Denn vielleicht kommt dir so ein bisschen der Gedanke, dass das ganze ja schon ‘ne Nummer ist – ja das ist es. Und du brauchst keine Sorgen haben, dass du zu klein dafür wärst oder dass deine dich anklagenden Gedanken und Gefühle Gott in irgendeiner Weise negativ beeindrucken könnten.

Doch auch wenn unser Gewissen uns schuldig spricht, dürfen wir darauf vertrauen, dass Gott barmherziger mit uns ist als wir selbst. Er kennt uns ganz genau.Die Bibel, 1. Johannes 3,20

Und deswegen können und sollen wir Gott im Gebet alles sagen.

5Beten ist: Gott alles sagen

…und zwar schonungslos. Es gibt Aussagen in den Psalmen (Gebete des ersten Teils der Bibel), die haben nur deswegen noch nicht für großen Aufruhr gesorgt, da sie in den Übersetzungen immer so “lieb und nett” klingen. Aber da werfen Menschen Gott Dinge an den Kopf – da bleibt dir die Spucke weg. Gott hält das aber aus! Er hat nicht gekündigt! Im Gegenteil: er erfreut sich größter Gesundheit und Lebendigkeit!

Weil Beten Atemholen und Kämpfen zugleich bedeutet, können, sollen, müssen, dürfen wir Gott unbedingt alles sagen, was uns auf dem Herzen liegt. Es gibt keine Tabus!

Macht euch um nichts Sorgen! Wendet euch vielmehr in jeder Lage mit Bitten und Flehen und voll Dankbarkeit an Gott und bringt eure Anliegen vor ihn.Die Bibel, Philipper 4,6

Da steckt alles drin: Danken, Bitten bis hin zum Flehen – und alle Anliegen. Alles. Meinen Kindern sage ich immer und immer wieder: “Ihr dürft mir alles sagen und mich um alles bitten!” Das wissen sie. Und sie kennen mich inzwischen schon so gut, dass sie das auch tun – auch wenn sie manchmal den Vorschub bringen: “Papa, ich weiß, dass ich das wahrscheinlich nicht darf, aber….” Dann bin ich besonders gespannt – und vor allem bin ich besonders dankbar – warum? Weil meine Kids es gecheckt haben, was wir bei Gott scheinbar irgendwie nicht so ganz verstehen, verstehen wollen oder verlernt haben: Ihm alles (A L L E S) zu sagen. Nirgends in der Bibel sagt Gott: “Ihr dürft immer zu mir kommen und mir alles sagen: Außer ________________ (setze in die Lücke das ein, was dir grad spontan in den Sinn kommt)!” Es steht nicht in der Bibel – also sag es ihm!

Denn der Umkehrschluss von wegen “Gott weiß doch eh schon alles, wieso soll ich es ihm sagen?” ist unsinnig – weil Gebet kein Weckerklingeln für Gott ist sondern ein Mitkämpfen und Atemholen. Insofern hat alles seinen Platz im Gebet.

Wenn Beten Atemholen der Seele ist, wenn Beten ein Mitkämpfen an Gottes Seite ist und wenn Beten bedeutet, dass wir Gott alles sagen dürfen, dann macht uns das “eins mit Gott“. Etwas, das die Mystiker ganz besonders wichtig finden (und leider manchmal auf der anderen Seite vom Pferd dann runterfallen), aber was in meinen Augen absolut wichtig und genauso unbeschreiblich ist, wie die Tatsache, dass der Schöpfer dieses Universums sich freiwillig und großzügig uns Menschen an seine Seite holt.

Wir bilden mit Gott eine Einheit, wir sind so eng mit ihm verbunden, wie Jesus es seinen Jüngern schon mit auf den Weg gegeben hat:

Bleibt mit mir vereint, dann werde auch ich mit euch vereint bleiben. Nur wenn ihr mit mir vereint bleibt, könnt ihr Frucht bringen, genauso wie eine Rebe nur Frucht bringen kann, wenn sie am Weinstock bleibt.Die Bibel, Johannes 15,5

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Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder

…verpasst ihr euer Leben!

Gut, ok, so hat Jesus es nicht gesagt – aber die vergangenen Tage lassen mich genau zu diesem Schluss kommen. Wieso? Wir hatten in unserer Gemeinde Kinderwoche. Genauer: Asterix und Obelix waren zu Besuch im Wutachtal. Da die Stelle unseres Kinderpastors/Kinderpastorin vakant ist, hatte ich die ehrenvolle Aufgabe inne, diese Woche zu leiten und zu koordinieren.

Und was soll ich sagen? Ich glaube, ich bewerbe mich auf die Stelle des Kinderpastors…. 🙂 Nein. Scherz. Momentan fülle ich diese Stelle als Interims-Kinderpastor zusätzlich aus und es macht mega Spaß.

Vor 25 Jahren habe ich begonnen, in der Kirchengemeinde in der Arbeit mit Kindern einzusteigen – und irgendwie hat es mich nie losgelassen. Kinder sind einfach etwas ganz, ganz, ganz Besonderes!

Diese Woche hat mich nicht nur begeistert – sie hat mir einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig Kinder sind und wie wichtig es für Kirchengemeinden ist, in die Arbeit mit Kindern zu investieren. Daran möchte ich euch teilhaben lassen.

1Kinder sind nicht die Zukunft – sie sind die Gegenwart

Natürlich weiß ich auch, wie der Spruch “Kinder sind die Zukunft” gemeint ist. Nur leider bringt das gar nichts, wenn wir nicht schon heute in die Arbeit mit Kindern investieren. Meine Vermutung ist, dass der Spruch “Kinder sind die Zukunft” eine ähnliche Konsequenz hat wie der Spruch “Was du heute kannst besorgen, das verschiebe stets auf morgen”. Nämlich keine.

Es sei denn, man nimmt nicht nur diesen Spruch an sich, sondern die Kinder selbst wahr und ernst. Und genau das geht im Gemeindealltag ganz schnell unter. Da gibt’s ja auch jede Menge zu tun und zu lassen – Letzteres macht man dann gerne bei den Kindern. Aber das ist fatal.

Dem gegenüber müssen wir viel mehr lernen, Kindern einen eigenen, kreativen, frei zu gestalteten Spielraum innerhalb der Kirchengemeinde zu haben, in dem sie sich entwickeln dürfen. Wir nennen das in unserer Kirchengemeinde (www.wutachblick.de) das “Entdeckerland“. So heißt der “Kinder-Bereich” unserer Gemeinde. Denn:

Uns ist es ein Anliegen, dass Kinder Glaube als positiven Bestandteil ihres Lebens erleben, und wir möchten ihnen helfen, ihn selbst zu entdecken. Diesen Raum zum Selbst-Entdecken wollen wir Kindern durch unsere verschiedenen Angebote bieten.

Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Interview mit dem Schlagzeuger einer Band, der im Erwachsenenalter Christ geworden war. In diesem Interview wurde er gefragt, ob es nicht “cool gewesen sei”, jetzt eben Christ zu sein. Er meinte: Einerseits natürlich – andererseits trauert er den Jahren nach, in denen er kein Christ war.

Das bringt ziemlich gut zum Ausdruck, wieso die Arbeit mit Kindern, das Investieren in Kinder so wichtig ist: Je früher sie in ihrem Leben Jesus kennen und lieben lernen, desto länger können sie mit ihm leben und das Leben leben, das Gott für sie vorgesehen hat.

2Kinder glauben anders – aber nicht weniger

Ich könnte an die Decke gehen, wenn ich manchmal Erwachsene über Kinder und ihren Glauben reden höre. Konkret wird das für mich immer dann spürbar, wenn es um die Musik geht. “Ach, das sind doch nur Kinderlieder” höre ich dann schnell mal. Die Erwachsenen haben keinen Bock, diese Lieder mitzusingen und manche Musiker sind sich “zu schade”, den Familien im Familiengottesdienst damit zu dienen, dass sie die Songs spielen, die eben diejenigen cool finden, die es auch cool finden, einen Wackelzahn zu haben.

Jesus hat einmal gesagt:

Ich versichere euch: Wenn ihr euch nicht ändert und den Kindern gleich werdet, dann könnt ihr in Gottes neue Welt überhaupt nicht hineinkommen.Die Bibel, Matthäus 18,3

Jesus wertschätzt hier nicht einfach nur. Kinder. Das wäre zu einfach und eindimensional ausgelegt. Jesus hält den Erwachsenen den Spiegel vor und macht ihnen deutlich, wer hier Vorbild und wer Nachahmer ist: Die Erwachsenen haben es den Kindern nachzuahmen – und nicht umgekehrt. Jesus bringt hier eines zum Ausdruck, das wir nicht vergessen sollten: Der Glaube eines Kindes ist nicht weniger wert, nicht weniger wichtig, nicht weniger geistlich, nicht weniger tief als der Glaube eines Erwachsenen.

Wo Erwachsene meinen, dass der kindliche Glaube und dessen Ausdrucksformen (Sprache, Lieder, Gebete, Haltungen) weniger “geistlich” ist als der “erwachsene Glaube”, überheben sie sich über Kinder, stellen ihren Stolz und ihren Hochmut öffentlich zur Schau – und da wiederum steht in der Bibel ja auch recht deutlich, wie Gott das findet:

Gott widersteht den Hochmütigen aber den Demütigen schenkt er Gnade.Die Bibel, 1. Petrus 5,5

Natürlich bedeutet das nun nicht, dass wir nur noch uns auf Kinder fokussieren sollen in unserem Gemeindeleben. Alles andere hat genauso seinen Platz und seine Berechtigung und es muss auch niemand gezwungen werden, bei den Angeboten für Kindern mitzuarbeiten (bitte, bitte, bitte, macht so was alleine schon aus Rücksicht auf die Kinder nicht). Es bedeutet “nur” (aber dieses “nur” wird für manche schon herausfordernd genug), dass wir die “NextGen” (Next Generation = nächste Generation), wie es im hippen Kirchensprech momentan so schön heißt, nicht nur nicht aus den Augen verlieren, sondern ihnen mit gleicher Wertschätzung und Aufmerksamkeit begegnen wie Erwachsenen.

3Kinder formen meinen Sprachfähigkeit im Blick auf den Glauben

“Glauben Christen an mehrere Götter? Da gibt es Gott, da gibt es Jesus und dann noch einen Geist.”

“Wer hat eigentlich Gott erschaffen?”

“Wie hat Jesus das an Ostern gemacht mit dem Auferstehen und so?”

“Wieso beendet Gott nicht das ganze Leid, wenn er allmächtig ist?”

“Werde ich mein Haustier im Himmel wiedersehen?”

“Wo ist Jesus eigentlich jetzt gerade?”

“Wo ist der Himmel?”

“Woher weißt du, dass das alles in der Bibel stimmt?”

Neunmalkluge Theologen könnten jetzt hinter jede Frage, die ich so schon von Kindern gehört habe, einen theologischen Fachbegriff schreiben. Den braucht’s aber gar nicht. Die Fragen sind schon kompliziert und faszinierend genug. Dass Kinder solche Fragen stellen, beweist doch, was ich oben geschrieben habe: Ihr Glaube ist weder “simpel” noch ist er weniger wert als der Glaube eines Erwachsenen.

Zusätzlich fordern diese Fragen mich als Erwachsenen aber enorm heraus. Einfache Antworten gibt es hier keine. Und die Kunst besteht darüber hinaus darin, die Antworten so zu formulieren, dass Kinder sie verstehen. Das wiederum schult und formt meine eigene Sprachfähigkeit des Glaubens oder – was noch besser wäre – sie müsste vorher schon geschult sein, dass ich Kindern Antworten geben kann, die sie verstehen.

Immer weniger Menschen können mit “frommen Ausdrücken” noch etwas anfangen geschweige denn wissen, um was es beim christlichen Glauben eigentlich geht. Gleichzeitig nimmt die Zahl derer, die großartige Fragen stellen und auch im Geistlichen auf der Sinnsuche sind, kontinuierlich zu. Da ist es wichtig, so über den Glauben zu reden, dass man verstanden wird. Kinder lehren mich das. Schonungslos. Und das ist gut so! Sehr gut!

4Eine Gemeinde, die nicht in die Arbeit mit Kindern investiert, ist nicht zukunftsfähig

Das klingt schon rein biologisch plausibel und sicherlich nicken hier viele mit dem Kopf. Aber mit Kopfnicken alleine ist noch nicht viel getan. Am liebsten würde ich einen Appell an die theologischen Studieneinrichtungen loswerden, deren Absolventinnen und Absolventen wunderbare Jugendpastorinnen und Jugendpastoren werden.

Aber wo sind die leidenschaftlichen Kinderpastorinnen und Kinderpastoren? Ich glaube, unser “System” krankt. Wenn du eine Stelle als “Kinder- und Jugendreferent” ausschreibst, wird die Arbeit meist zugunsten der Jugendlichen und zuungunsten der Kinder ausgeführt werden. Wenn du zwei Stellen ausschreibst – eine Stelle für einen Kinderpastor, eine Stelle für einen Jugendpastor – wird es ungleich schwieriger, Bewerberinnen und Bewerber für die Stelle des Kinderpastors zu finden. Wir haben das als Gemeinde erlebt und sind noch mittendrin in dem Prozess (by the way: unser Jugendpastor Andre Reich rockt mega. Schau mal vorbei: https://wutachblick.de/team/andre-reich/).

Gemeinde sollte sich genauso organisch entwickeln, wie der Mensch das auch tut. Keine Eltern würden auf die Idee kommen, ihre Kinder erst im Jugendalter zu beachten und zu fördern und im Kindesalter “irgendwie mitlaufen lassen”. Im Gegenteil: Immer wichtiger wird es (zum Glück!), dass wir auf das Wohl und die Entwicklung unserer Kinder ab ihrer Geburt größten Wert legen. Wieso ist das bei Kirchens anders?

Während soziologisch, entwicklungspychologisch und pädagogisch es ein absoluter No-Brainer ist, dass wir den Menschen von seiner Geburt an sowohl im Kindes-, Jugend- als auch Erwachsenenalter fördern, scheint es bei Kirchens irgendwie ein “biologisches Paradoxon” zu geben und wir lassen die Uhr andersrum ticken: Erst die Erwachsenen, dann die Jugend und wenn noch irgendwie Zeit, Kraft, Geld und Energie da ist, investieren wir auch in die Kinder.

Ich bin so froh und dankbar, dass ich in meiner Gemeinde ein Leitungsteam um mich habe, welches das anders sieht und die organische Entwicklung eines Menschen auch in der Gemeindearbeit abbilden möchte: Kinder – Jugend – Erwachsene. Keine Wertigkeit, sondern Investition in jedem Lebensbereich.

So haben wir bei uns einen Co-Pastor (der genauso rockt, schau vorbei: https://wutachblick.de/team/diakon-marc-hoenes/), einen Jugendpastor – und sind nach wie vor auf der Suche nach einem Kinderpastor/Kinderpastorin.

Der Mensch würde verkümmern – oder besser gesagt erst gar nicht gesund heranwachsen – wenn wir uns erst im Erwachsenenalter um ihn kümmern. Im Gemeindeleben ist das nicht anders:

Wo kein Verjüngerungsprozess stattfindet, befindet sich eine Gemeinde im Verkümmerungsprozess.

(Ja, das Wort heißt eigentlich “Verjüngungsprozess” – aber vielleicht entdeckt der ein oder andere das Wortspiel…)

Diesen Automatismus Gemeindegliedern in Kopf und Herz zu schreiben, ist ein andauernder Prozess, dem sich Gemeindeleitung stellen muss. Und ich merke: Das ist ein langer, langer Weg. Viele Erwachsene – auch in meiner Gemeinde – verstehen diesen Prozess nicht. Sie sehen, wo man noch alles im Erwachsenenbereich etwas tun könnte – aber sehen nicht, wie dieser organische Prozess auch in der Gemeinde eine Rolle spielen kann und soll.

Darüber hinaus müssen wir endlich eines verstehen: Wenn (siehe oben) die geistliche Entwicklung eines Kindes nicht weniger wichtig ist als die geistliche Entwicklung eines Erwachsenen, dann sind Kinder nicht einfach nur zu bespaßen. Dann gilt es, in ihnen genauso wie in Jugendlichen und Erwachsenen das Potenzial zu heben und zur Entfaltung kommen zu lassen, das Gott schon längst in sie gelegt hat. Wo das geschieht, wird Gemeinde zukunftsfähig sein!

Aber jetzt mal im Ernst: Bist auf der Suche nach einer Stelle als Kinderpastor/Kinderpastorin?

Oder kennst du jemanden, der eine Stelle sucht?

Hier findest du die Ausschreibung unserer Kirchengemeinde für eine Stelle als Kinderpastor/Kinderpastorin.

AUSSCHREIBUNG

Und da Bilder mehr sagen als 1.000 Worte – hier kommen ein paar Fotos. Und ja – ihr könnt staunen, was unser Team auf die Beine gestellt hat. Das war unglaublich-mega-fantastisch-einzigartig.

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Ein guter Umgang mit Drucksituationen

Wie gehst du mit Drucksituationen um? Ich meine dabei die Momente, in denen du innerlich unruhig wirst, zu schwitzen beginnst, das Herz schneller schlägt, dir die Luft zum Atmen fehlt – und und und. Das können Anfeindungen sein, böse Emails, böse WhatsApp-Nachrichten, ein fürchterliches Gespräch, eine unzutreffende Anschuldigung, Beleidigung, das Vorhalten von “Versagen” oder ein böser Vorwurf. Das können aber auch Situationen sein, in denen du eine weitreichende Entscheidung treffen musst – aber nicht weißt (trotz tausendmaligem Abwägen), was die richtige Entscheidung ist.

In meiner Gemeinde (www.wutachblick.de) predige ich zusammen mit meinem Kollegen gerade über Daniel. Vielen ist er vor allem bekannt aus der Löwengrube. Und damit hat dieser Artikel im weitesten Sinn auch zu tun.

Schauen wir uns Daniel 6 (Daniel in der Löwengrube) genauer an, dann ist für mich das Faszinierende nicht, dass Gott Daniel vor den Löwen bewahrt. Das ist schon crazy, absolut! Aber überleg mal: Für einen Gott, der nur durch sein Wort die gesamte Schöpfung entstehen lässt, ist es ein Klacks, den Löwen das Maul zuzuhalten.

Interessanter war für mich etwas, das ich eine “geistliche Routine” nenne.

Geistliche Routine – in der Stille

Ich konkretisiere: Es geht mir um tägliche Zeiten, die du mit Gott in der Stille hast. Damit meine ich nicht, dass du ins Kloster oder in die Wüste musst, aber schau mal, was über Daniel geschrieben steht. Der König hat durch eine perfide List seiner Beamten ein Gesetz erlassen, nachdem jeder, der nicht ihn (den König) sondern jemand anderes um etwas bittet, den Löwen zum Fraß vorgeworfen wird. Und dann steht das hier in der Bibel:

Daniel hatte im Obergeschoss seines Hauses Fenster in Richtung Jerusalem. Dreimal täglich kniete er dort nieder, um Gott zu preisen und seine Bitten vor ihn zu bringen. Als er von dem königlichen Befehl erfuhr, ging er wie immer in sein Haus und kniete zur gewohnten Zeit am offenen Fenster nieder. Die Bibel, Daniel 6,11

Daniel scheint so etwas wie eine “geistliche Routine” gehabt zu haben, das heißt: Er hat es gelernt und für sich als wichtig empfunden, täglich (!) Zeiten mit Gott zu haben. Das heißt: Zeiten, in denen nur er und Gott wichtig waren – sonst niemand und nichts. Warum ist das so wichtig? Bin ich dadurch ein frommer Mensch, ein guter Christ, ein besserer Jesus-Nachfolger? Nein! Es geht vielmehr darum, dass genau in diesen Zeiten dein “Innerstes” gestärkt wird. Paulus schreibt im Neuen Testament an die Gemeinde in Ephesus einmal Folgendes:

Ich bitte ihn [Gott], dass er euch aus dem Reichtum seiner Herrlichkeit beschenkt und euch durch seinen Geist innerlich stark macht.Die Bibel, Epheser 3,16

Für Daniel war es mega wichtig, diese Zeiten zu haben, um eben an seinem “inwendigen Menschen” (Luther übersetzt es so) oder eben “innerlich” stark zu werden. Für ihn gehörte es wie das Zähneputzen zum Tag dazu, sich Zeit mit Gott zu nehmen.

Und genau das versuche ich, von Daniel zu lernen: Mir Zeit zu nehmen, wo nur Gott und ich eine Rolle spielen. Nichts anderes darf stören. Kein Smartphone, kein Telefon, kein sonstwas. Nur Gott und ich – und genießen, hören, korrigiert werden, danken, loben, anbeten, klagen und bitten. Diese Zeiten sind es, die uns in Drucksituationen die nötige “dicke Haut” geben. Wieso?

Weil wir in diesen Zeiten an dem arbeiten (oder besser: an uns arbeiten lassen) wer wir sind und nicht, was wir tun und leisten. Mir gefällt, dass man das auf Englisch ganz gut unterscheiden kann. Der Mensch ist ein human being und kein human doing. An diesem “being”, also an meinem Sein und Wesen zu arbeiten, ist eine hohe Kunst. Geduld, Mut, Zuversicht und Hoffnung sich nicht rauben zu lassen, sondern darin stärker zu werden, ist nicht leicht – aber wichtig! Genau so: Gelassenheit, Ruhe, Empathie und die Entwicklung einer Frustrationstoleranz sind weitere Faktoren, die unseren “inwendigen”/innerlichen Menschen stark machen.

In der Stille wachsen

Es ist zu spät, wenn wir erst in Drucksituation beginnen, eine geistliche Routine zu entwickeln. Die Zeit mit Gott alleine, die Stille, die Einsamkeit mit ihm, das Gebet, das Lesen in seinem Wort, die Anbetung – nichts ist so wertvoll und nichts lässt unseren Glauben so stark werden wie diese Zeiten.

Es gibt viele Aussagen in den Psalmen der Bibel, was die Stille, die “Einsamkeit mit Gott” für den Psalmbeter bedeutet. Hier nur eine kleine Auswahl:

Vielleicht erwartest du längst schon eine kleine Checkliste zum guten Umgang mit Drucksituationen – die kommt auch noch, keine Sorge! Aber ich glaube, wir müssen lernen, in der Tiefe an uns zu arbeiten und nicht an der Oberfläche. Ich kann viele gute Dinge befolgen – wenn mein Herz nicht mitkommt, wird es mich nicht nachhaltig prägen und verändern.

Gerade in der Stille ist es möglich, dass wir “an uns arbeiten lassen”. In der Stille, in der Einsamkeit mit Gott, fokussieren wir uns ganz auf ihn und empfangen von ihm Ratschläge und Weisung. Wir hören, wer wir wirklich in seinen Augen sind und wie groß, wie mächtig, wie barmherzig und ohnegleichen Gott ist. Das verändert uns. Das verändert mich. Das verändert mein Herz.

Denn eines ist doch klar: Wir werden immer und immer wieder mit Drucksituationen zu kämpfen haben – als Leiter sowieso. Da ist es wie mit einem gesunden Lebensstil, der viel besser ist, als mal “für den Moment” auf Süßigkeiten zu verzichten. Wirkliche Erfolge und Durchbrüche – vor allem im geistlichen Bereich – werden nicht im Sprint, sondern im Marathon erlangt. Deswegen ist es mir so wichtig zu betonen, dass wir an uns selbst, an unserem “inwendigen Menschen”, an unserem Herzen arbeiten müssen, um Drucksituationen gut bewältigen zu können.

Diese “Einsamkeit mit Gott” hat keine festen Regeln. Tu das, was dir hilft, um Gott besser kennenzulernen und zu hören, was er sagt: Gebet, Lesen in seinem Wort, Anbetung – alles hat seinen Platz. Natürlich wachsen wir im Glauben und an unserem inneren Menschen auch dann, wenn wir gute Predigten oder Podcasts hören, gute Bücher lesen oder Menschen uns in Gesprächen inspirieren. Nichts davon aber ersetzt die direkte Kommunikation mit Gott.

Wenn wir es lernen, in der Stille zu wachsen, indem wir Gott an uns arbeiten lassen, ist das schon “die halbe Miete” – ich würde sogar sagen: mehr als die Hälfte!

Die andere Hälfte sind ganz einfache, konkrete Dinge, die Du tun – oder lassen kannst.

Konkrete Tipps

Hier kommt also die oben erwähnte “Checkliste”. Ein paar stichwortartige Gedanken dazu, wie wir gut mit Drucksituationen umgehen können.

  • Reagiere nicht sofort, wenn es die Situation nicht erfordert! Nimm den Druck wahr und frage dich, was genau es ist, das diesen Druck erzeugt. Wenn es in einem direkten Gespräch ist, nimm dir die Freiheit zu sagen: “Wir kommen hier nicht weiter. Ich möchte darüber nachdenken und werde mich bei dir melden.”
  • Wäge ab, ob du in einigen Stunden reagierst oder erst am nächsten Tag.
  • Wenn möglich: Schlafe einmal über die Angelegenheit.
  • Überlege dir, was dein Anteil daran ist, dass dein Gegenüber dir so etwas sagt/schreibt/vorwirft. Hast du einen Fehler gemacht? Dann entschuldige dich dafür.
  • Sei weder feige noch tollkühn. Suche die Mitte, die heißt: sei mutig! Vertritt deinen Standpunkt – allerdings sachlich.
  • Wenn du schriftlich reagierst, lies die Nachricht vor dem Absenden mehrmals durch und überprüfe, ob du nur Sachliches geschrieben hast. Alles andere hat in Mails, WhatsApp-Nachrichten und dergleichen keine Berechtigung in einer Drucksituation.
  • Teile deinem Gegenüber ganz deutlich (und sachlich!) mit, wo er oder sie Grenzen überschritten hat.
  • Bei allem: Ziehe eine Person deines Vertrauens an deine Seite und bitte ihn/sie, dir zu helfen. Lass es nur eine Person sein, die dich auch kritisieren wird – “Ja-Sager” werden dir an dieser Stelle nicht weiterhelfen.
  • Bitte Gott immer und immer wieder um Weisheit, Liebe und Barmherzigkeit. Mach das nicht nur einmal – sondern kontinuierlich und bitte ihn, dir die Augen zu öffnen für die “blinden Flecken”.

Vor über einem Jahr habe ich einen ähnlichen, aber wesentlich kürzeren Artikel geschrieben – falls du ihn nachlesen willst: Kompromissloser Glaube wächst aus der Stille.

Das Prinzip vom festen Boden

In diesem Kapitel geht es vor allem um eines: Vertrauen. Für Maxwell spielt die Vertrauenswürdigkeit eines Leiters ein immens große Rolle. Und ich glaube, er hat Recht. Vertrauen ist das A und O eines guten Führungs- und Leitungsstils, das wie ein Fundament (= “Fester Boden”) allen Dingen zugrunde liegt.

Das “Prinzip vom festen Boden” ist für Maxwell ein Zusammenspiel von Charakter und Vertrauen:

Charakter ermöglicht Vertrauen. Und Vertrauen macht Führung möglich. Das ist das Prinzip vom Festen Boden.Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien, S. 70.

Kompetenz, Kooperation und Charakter

Für Maxwell sind es genau diese drei Eigenschaften, welche eine gute Führungsperson vertritt. Ich denke, dass wir in der Selbstverständlichkeit dieser drei Eigenschaften in dieser Reihenfolge auch keine Probleme hätten, sie sofort zu unterschreiben und sagen: “Natürlich benötigt ein guter Leiter Kompetenz in den Bereichen, die er leitet. Und sicherlich ist es nicht schlecht, wenn er kooperiert und auch gut im Team arbeiten kann. Und ja, ok, von mir aus – auch sein Charakter sollte ok sein.”

Wenn wir so denken, ist das der “Tod im Topf”. Ich bin froh, dass Maxwell, ein international seit Jahrzehnten anerkannter Coach, Redner, Berater, Autor und Pastor diesen Dreischritt fast umdreht und in seinem Kapitel über den “festen Boden” folgendes Zitat des ehemaligen us-amerikanischen Generals Norman Schwarzkopf anführt:

Führung ist eine mächtige Kombination von Strategie und Charakter. Falls Sie mal eins von beiden fallen lassen müssten, dann lieber die Strategie.” Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien, S. 70

…und wenn das mal ein General sagt.

Natürlich bedeutet das nicht, dass wir unsere Kompetenzen nicht weiter ausbauen sollten. Aber in meinem Beitrag “Wenn der Charakter die Kompetenz frisst” gehe ich ausführlich darauf ein, wie dieser “Fressvorgang” geschieht und welche Folgen er hat. An ganz praktischen Beispielen wirst du erkennen: Charakter hat immer (!) das Potenzial, das niederzureißen, was wir mit unseren Kompetenzen (mühsam) aufgebaut haben.

Aber kommen wir noch einmal zurück zum Vertrauen. Maxwell schreibt sehr pointiert, dass Vertrauen Führung möglich macht.

Wie Vertrauen gestärkt wird

Es muss jede Führungsperson interessieren, wie das Vertrauen, das ihre Mitarbeiter in sie setzen, stärker oder tiefer werden kann. Denn je stärker und tiefer das Vertrauen in einen Menschen ist, desto leichter fällt es mir, diesem Menschen zu folgen, seine Meinung zu hören und Kritik von ihm anzunehmen.

Stell dir jetzt eine Person vor, die für dich eine Führungs- oder Leitungsposition besitzt – egal, ob das im Verein, in der Gemeinde oder bei der Arbeit ist. Wie groß ist dein Vertrauen in diese Person? Abhängig davon: Wie dankbar bist du, dass genau diese Person dein(e) Leiter(in) ist? Was würde das Vertrauen in diese Person stärker und tiefer werden lassen?

Vielleicht überrascht es – aber auch Maxwell führt es aus: Fehler erkennen, zugeben und um Vergebung bitten. Oder um es anders zu sagen:

Ihre Mitarbeiter wissen, wann Sie einen Fehler gemacht haben! Es kommt nur darauf an, ob Sie zu ihm stehen oder nicht.Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien, S. 68

Ich habe genau das schon erlebt. Also eigentlich alles davon. Fehler habe ich jede Menge gemacht und ich würde sagen, dass ich die meisten auch als solche erkannt habe. Dann ist die Frage: Wie gehe ich damit um? Überspiele ich den Fehler? Versuche ich gar, den Fehler auf andere abzuwälzen oder das Adam-und-Eva-Spielchen zu spielen und zu sagen: “Die anderen sind schuld!” oder in den Worten meiner Kinder zu sprechen: “Der hat aber angefangen!” Hoffentlich erkennst du, wie sinnlos ein solches Verhalten ist und wie sehr das Vertrauen darunter leidet – und damit auch deine Möglichkeit, Menschen, Gemeinde, einen Bereich oder eine Organisation zu führen.

Aber, aber, aber…!

Ich kann mir vorstellen, dass nicht alle Leiter und Pastoren das cool finden. Ja – es gibt Schöneres, als eigene Fehler zuzugeben. Das fällt uns zwischenmenschlich schon schwer – wie viel mehr dann erst in der Gemeinde. Und ich rede hier noch nicht einmal davon, dass du dich vor die Gemeinde(versammlung) stellst und einen Fehler zugibst (was ich auch schon gemacht habe und glaub mir: Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig).

Das beginnt dort, wo du im Vier-Augen-Gespräch einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin sagst, dass du einen Fehler gemacht hast und dass es dir leid tut. Das ist auch nicht immer easy – aber unumgänglich. Und nur mal so als Nebenbemerkung: Fehler zu machen, ist menschlich. Theologisch gesprochen ist es in einer von der Sünde beherrschten und nach dem Sündenfall existierenden Welt unumgänglich, dass wir Fehler machen. Es gehört zu unserem nach dem Sündenfall existierenden Wesen dazu – auch wenn es ursprünglich anders gedacht war. Aber:

Wir können nicht Gnade predigen und bei eigenen Fehlern nicht um Vergebung bitten.

Es würde den Rahmen sprengen (und ist auch nicht Inhalt von Maxwells Ausführungen), wie wir damit umgehen, wenn mein Gegenüber diese Entschuldigung a) annimmt und entsprechend mit einem vergebenden Herzen lebt, b) annimmt, aber mit einem bitteren Herzen darauf reagiert, c) nicht annimmt und entsprechend lebt und d) sich selbst nicht entschuldigt für selbst begangene Fehler im gleichen Kontext. Too much für den Moment.

Mir geht es schlicht und einfach darum, dass wir als Pastoren und Leiter nicht so tun, als müsse sich alle Welt bei uns entschuldigen. Nein! Wo wir als Pastoren und Gemeindeleiter Fehler machen, müssen wir uns dafür entschuldigen. Punkt! Und eines ist doch klar: Uns fallen nicht alle Situationen auf und ein, in denen wir uns falsch verhalten oder etwas Falsches gesagt haben. Manchmal empfindet unser Gegenüber auch ganz anders, als wir das meinten. Keine Frage. Es geht mir nicht darum, nun alle Schuld auf Leiterinnen und Leiter zu legen, sondern es geht mir um diese Momente, in denen wir auf unser Herz hören und erkennen, dass wir uns falsch verhalten haben.

Zu guter Letzt

Mein Anliegen für euch, liebe Leiterinnen und Leiter, liebe Pastorinnen und Pastoren, ist recht einfach – die Umsetzung mag schwieriger sein: Welche Person fällt dir just in diesem Moment ein, bei der du dich entschuldigen solltest, damit Vertrauen wieder (mehr) wachsen kann?

Maxwell drückt es am Ende des Kapitels recht drastisch aus – aber ich “befürchte”, er hat Recht:

Man kann als Führungspersönlichkeit einfach nicht das Vertrauen seiner Mitarbeiter verletzen und dennoch erwarten, weiterhin Einfluss auf sie zu nehmen. Vertrauen ist das Fundament aller Führung. Sollten Sie das Prinzip vom festen Boden verletzen, sind Sie als Führungspersönlichkeit unten durch.Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien, S. 76

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Alle Beiträge aus der Reihe “Die 21 wichtigsten Führungsprinzipien”:

Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt

Auf dieses Buch habe ich wie auf kein anderes gewartet. Craig Groeschel hat es im Original “Hope in the Dark: Believing God is good when life is not” genannt. Der deutsche Untertitel ist da etwas sperriger, drückt aber genau aus, um was es geht: “Wie wir an Gottes Güte festhalten können, auch wenn das Leben uns etwas anderes sagt”.

Warum habe ich auf dieses Buch gewartet? Weil ich gehofft habe, dass es nicht mit platten Antworten auf die “Warum?”-Frage daherkommt, sondern Gott in seiner Unfassbarkeit genauso wie in seiner grenzenlosen Leibe zu uns Menschen zeichnet. “Warum lässt Gott Leid zu?”, “Wo ist Gott jetzt, wo ich ihn am meisten brauche?”, “Wie kann Gott genau dieses zulassen?” oder “Wo ist Gott? Ich spüre ihn nicht!” sind genau die Fragen und Aussagen, die man im Hintergrund des Buches immer mitliest – oder die explizit vorkommen.

Dabei macht Groeschel zu Beginn des Buches eines deutlich:

Ich möchte vorweg allerdings eines klarstellen: Dieses Buch ist nicht für jeden. Wenn Sie gerade ein geistliches Hoch erleben, weil Sie so leben, wie Sie es sich erträumt haben, dann hören Sie an dieser Stelle lieber auf zu lesen und loben und preisen Sie Gott für seine Güte. Ich freue mich mit Ihnen, aber ehrlich gesagt sind Sie dann momentan nicht die Zielgruppe für dieses Buch. Es ist nämlich für Menschen gedacht, die leiden. Es ist für Menschen geschrieben, die Zweifel haben, für Menschen, die Angst haben, dass ihr Glaube vielleicht nicht trägt, für Menschen, deren Welt sich verfinstert hat. Wenn Ihnen das Leben also zunehmend zusetzt, wenn Ihr Glaube in der Zerreißprobe steht, dann ist dieses Buch etwas für Sie.Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt, S.9-10

Ehrlich gesagt, stimmt es nicht ganz, was Groeschel schreibt. Ich empfehle dieses Buch jedem – egal, ob sein Glaube und Leben gerade Höhen erlebt oder Tiefen durchmacht.

Keine platten Antworten sondern lebensnahe Hilfe

Die Gefahr bei diesem Thema ist, entweder platte Hilfen zu bieten oder so kompliziert und alltagsfremd zu Schreiben, dass ein solches Buch maximal Staubfänger im Regal ist. Deswegen ist “Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt” so anders.

Groeschel verdeutlicht, was er sagen möchte, mit vielen, sehr vielen Praxisbeispielen. Er erzählt Geschichten. Geschichten von Freunden, Geschichten von Gemeindemitgliedern, Geschichten von seiner Familie – und: Geschichten von sich selbst. Die Kunst ist, so viele Geschichten erzählen zu können, dass man beim Lesen gerade nicht denkt: “Oh no. Jetzt kommt die nächste Geschichte.” Groeschel beherrscht diese Kunst, weil er sich auf das Wesentliche der jeweiligen Beispiele begrenzt, gleichzeitig es aber schafft, Emotionen zu wecken und ein Bild vor dem inneren Auge entstehen zu lassen. Sicherlich auch ein großer Verdienst von Übersetzerin Antje Balters. (Schau auch mal auf ihrer Homepage vorbei: www.antjebalters.de)

Diese Geschichten gehen in den seltensten Fällen gut aus. Teilweise sind es brutale Geschichten vom Krankheit, Tod, Trauer und Verlust. Das macht das Buch so lebensnah, so alltagsrelevant – so glaubensrelevant. Groeschel kommt nicht mit schnellen platten Antworten à la “Du musst halt einfach glauben, dann wird das schon wieder”. Im Gegenteil. Man spürt dem Autor ab, dass er selbst jede Menge leidvolle Erfahrungen gemacht hat, die er teilweise auch schildert und damit ganz authentisch wird ohne sich einem Seelen-Striptease zu unterziehen.

Ein kleiner Prophet mit großer Wirkung

Bei seinen Ausführungen dient Groeschel ein so genannter “kleiner Prophet” aus dem ersten Teil der Bibel als Grundlage. “Kleiner Prophet” deswegen, weil die zwölf Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Habakuk, Zefanja, Haggai, Sacharja und Maleachi so genannt werden, da sie gegenüber den “großen Propheten” (Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel) kleinere Bücher sind. Na – welcher dieser zwölf kleinen Propheten ist es wohl, der als theologische Grundlage dient? Es ist einer, der sonst recht selten Erwähnung findet. Einer, dessen Namensbedeutung paradox ist: “ringen und umarmen”.

Es ist der Prophet Habakuk.

“Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt” bekommt dadurch noch mehr Tiefe, dass dieses biblische Buch immer wieder als “Background” auftaucht. Dabei finde ich es äußerst gelungen und faszinierend, wie Groeschel einzelne Abschnitte dieses Buches interpretiert und für unsere heutige Zeit relevant werden lässt.

Weiterführendes Zusatzmaterial

Das Rundum-Paket wird am Ende des Buches dadurch geschnürt, dass das Buch nicht endet mit Groeschels Ausführungen. Zu jedem Kapitel des Buches gibt es weiterführende Bibelstellen und Fragen an die Hand. Diese Fragen dienen dazu, dem Thema persönlich noch mehr nachzuforschen. Dies kann alleine geschehen. Meines Erachtens eignen sich diese Fragen aber auch für Kleingruppen innerhalb der Gemeinde. So wäre es durchaus auch denkbar, dieses Buch in einer Kleingruppe gemeinsam zu lesen und durchzuarbeiten.

Wie oben schon erwähnt, hat Übersetzerin Antje Balters sicherlich auch einen großen Anteil daran: Das Buch liest sich einfach hervorragend flüssig, weil es in einer einfachen, aber nicht trivialen, Sprache erscheint und ohne unnötige Redundanzen auskommt.

Insofern: Ich kann das Buch – im Gegensatz zu seinem Autor – jedem Menschen empfehlen. Selbst denen, deren Leben gerade aus Höhenflügen besteht, denn: Das nächste Tal kommt. Und durch dieses vorbereitet zu gehen, kann nicht schaden. Dazu ist “Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt” eine wunderbare Hilfe. Denn: Am Ende bleibt Groeschel nie beim Zweifel, dem Unrecht und dem Leid stehen, sondern verweist auf einen Gott, der gut ist. Immer.

Wenn Gott kein Licht ins Dunkel bringt
192 Seiten
ISBN: 9783957345929
Verlag: Gerth Medien
Preis: 15,00 EUR

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Die Kunst des Leitens IX: Verlorenes Schaf oder trotziger Bock?

“Den Bock zum Gärtner machen” sagen wir, wenn wir jemandem eine Aufgabe übertragen, für die er vollkommen ungeeignet ist. Gib mir die Aufgabe, ein geeignetes Tanzkostüm für meine Tochter herauszusuchen – dann hast du den Bock zum Gärtner gemacht.

Zwar nicht zum Gärtner aber zum Schaf machen wir den ein oder anderen Bock, wenn wir uns anschauen, was es heißt, Gemeinde zu leiten. Auf diesen Gedanken bin ich durch eine Predigt im Abschlussgottesdienst der Pfarrkonferenz unseres Kirchenbezirks gekommen, denn der Prediger nahm genau diesen Gedanken auf.

Das verlorene Schaf

Der Kern des Ganzen liegt in Lukas 15 versteckt. Jesus erzählt folgendes Gleichnis:

“Stellt euch vor, einer von euch hat hundert Schafe und eines davon verläuft sich. Lässt er dann nicht die neunundneunzig allein in der Steppe weitergrasen und sucht das verlorene so lange, bis er es findet? Und wenn er es gefunden hat, dann freut er sich, nimmt es auf die Schultern und trägt es nach Hause. Dort ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: ‘Freut euch mit mir, ich habe mein verlorenes Schaf wiedergefunden!’ Ich sage euch: Genauso ist bei Gott im Himmel mehr Freude über einen Sünder, der ein neues Leben anfängt, als über neunundneunzig andere, die das nicht nötig haben.” Die Bibel, Lukas 15, 4-7

Ich will das Hauptaugenmerk weder auf die 99 noch auf das Eine legen. Es geht vielmehr darum: Was hat sich hier verlaufen? Ein Schaf. OK, soweit nichts Umwerfendes, magst du denken, aber es ist der Knackpunkt schlechthin. Von diesem Schaf an sich wird nicht viel berichtet. Es verläuft sich, der Hirte findet es und trägt es schließlich auf den Schultern nach Hause.

Würde so etwas von einem Bock hier genauso stehen? Ich glaube nicht. Ein Bock hätte sich nicht verlaufen, sondern verrannt; er hätte sich nicht unbedingt finden lassen wollen und schon gar nicht auf den Schultern nach Hause tragen lassen wollen. Das wäre dann wohl doch schon unter seiner Würde gewesen und er hätte sich gedacht: “Was denken wohl die anderen von mir, wenn sie mich so sehen?”

Das Schaf hingegen wird sich gefreut haben und es werden ihm zentnerweise die Lasten vom Herzen gefallen sein, die Angst, die Furcht, die Ungewissheit – endlich ist der Hirte da und ich komme nach Hause.

Wem laufen wir als Leiter hinterher?

Das ist die Kernfrage und ich will mal ganz provokant fragen: Könnte es sein, dass wir viel zu oft mehr den “trotzigen Böcken” als den “verlorenen Schafen” hinterher rennen? Ich meine das natürlich nur im übertragenen Sinne.

Aber wenn Du Pastorin oder Pastor bist, dann stell dir doch einmal ehrlich die Fragen:

  • Wie viel Zeit investierst du, damit Menschen, die Gott noch nicht kennen, zu hingebungsvollen Nachfolgern Jesu werden?
  • Wie viel Zeit investierst du in Menschen, die motzen, dass ihnen dieses oder jenes nicht gefalle in der Gemeinde?
  • Drehen sich deine Gedanken in ruhigen Momenten eher darum, wie du Menschen für Jesus gewinnst. Oder wie du die, die motzen und jammern, bei Laune halten kannst?
  • Wie viel investierst du darin, Menschen zu gewinnen für Jesus und wie viel darin, Menschen “bei Laune zu halten”?

Ich wähle bewusst den Begiff “bei Laune halten” und nicht den Begriff “Jüngerschaft” – das sind nämlich zwei komplett verschiedene Paar Stiefel. Jüngerschaft darf niemals gegen Evangelisation ausgespielt werden. Beides hat seine absolute Berechtigung und Notwendigkeit in der Gemeinde Jesu. Da gibt es kein “Entweder – Oder” sondern nur ein “UND!”. Jüngerschaft und “Bei Laune halten” sind sozusagen genau das Unterscheidungsmerkmal dessen, was wir als Gemeinde tun, wenn wir uns fragen, ob wir Böcken oder Schafen nachgehen – das wirst du später merken, wenn es um die Unterscheidung von Schaf und Bock geht.

“Bei Laune halten” aber ist kein Qualitätsmerkmal von Gemeinde – wir tun es aber sehr oft. Und das ist fatal! Äußerst fatal, denn wir tappen dann in eine Spirale, die manchmal nur noch schwer aufzuhalten ist. Wir versuchen jemanden, bei Laune zu halten in der Hoffnung, dass es uns gelingt – wird es vielleicht auch für den Moment, indem wir eine Entscheidung zurücknehmen oder indem wir manches “langsamer” angehen oder indem wir uns zum x-ten Mal Zeit für ein Gespräch nehmen.

Es wird aber nicht all zu viel Zeit ins Land gehen, und das “bei-Laune-Halten” funktioniert nicht mehr so gut, der Bock blökt wieder und ist unzufrieden – das ganze “bei-Laune-Halten”-Spielchen beginnt von vorne. Kräftezehrend. Zeitfressend. Ergebnislos.

Scheinbar laufen wir den Böcken hinterher, weil Jesus das ja auch getan hat. Hat er aber nicht. Er ist den verlorenen Schafen nachgegangen – nicht den sturen Böcken.

Nicht den Bock zum Schaf machen

Natürlich würde ich mich freuen, wenn möglichst alle das “gut finden”, was wir als Gemeinde tun und wofür ich als Leiter stehe. Ist doch logisch. Gleichzeitig ist das sowohl Utopie als auch unbiblisch anzunehmen, dass dieses Anliegen der Realität entspricht. Es gab, gibt und wird immer Menschen geben, die kein Schaf sein wollen sondern Bock. Das ist ihr Recht und dazu haben sie sich selbst entschieden – niemand anderes hat ihnen diese Entscheidung abgenommen. Als Leiter sollte ich sie dann auch als solche wahrnehmen und nicht so tun, als seien es Schafe. Das ist deswegen so wichtig, weil es den weiteren Weg der Gemeinde bzw. der Leitungsaufgaben unmittelbar bestimmen wird.

Warum? Versuchst du, aus einem Bock ein Schaf zu machen, dann versuchst du nichts Geringeres als die Quadratur des Kreises. Aus guter Absicht heraus aber mit falschen Annahmen.

Die gute Absicht besteht darin, dass du niemandem “auf den Schlips treten” willst. Gut so. Das will ich nämlich auch nicht. Die falsche Annahme besteht darin, es allen recht machen und die “ganze Gemeinde mitnehmen” zu können. Letzteres will ich dir nicht einmal als “gute Absicht” unterstellen.

Wenn du die Absicht hast, es allen recht zu machen, solltest du Eisverkäufer werden aber nicht Pastor oder in der Gemeindeleitung tätig sein.

Wenn du erkennst, dass das Reich Gottes wesentlich größer ist als deine Gemeinde und an den Grenzen deiner Weide nicht aufhört – dann wird es dir leichter fallen, Abschied zu nehmen von diesen falschen Absichten. Wieso? Weil du erkennst, dass es auch andernorts tolle Gemeinden gibt. Und in diese können sich die Böcke – und das ist das Faszinierende – wieder als Schafe (und zwar als wirkliche Schafe) einklinken. Ich glaube, dass es nur ganz wenige Böcke gibt, die per se Böcke sind. Die gibt es auch. Die, die an jeder Gemeinde etwas auszusetzen haben und nur sich selbst trauen und im Alleinbesitz der allgemeingültigen Wahrheit sind. Die gibt es. Aber sie sind selten. Sehr selten.

Die Kunst des Leitens besteht darin, die Schafe von den Böcken zu unterscheiden. Dann gilt es, seine Schafherde zu leiten und Böcken im Frieden und ohne Missmut zu erlauben, die Herde zu verlassen – und in einer anderen Herde glücklicher zu werden.

Schaf…

Wie nun unterscheiden sich aber Schafe von Böcken – oder andersrum? Schafe sind dankbar für Leitung, weil sie wissen, dass sie einen Hirten haben, der sich nach bestem Wissen und Gewissen zusammen mit seinem Leitungsgremium um die Herde kümmert. Sie sind dankbar dafür und äußern das immer wieder. Sie wissen darum, dass das Leben in der Schafherde Gemeinde kein Leben auf dem Ponyhof ist, sondern sich immer mal wieder auch Zeiten der Dürre, des Unverständnisses oder des Andersdenken ergeben.

Schafe bleiben loyal – ihrer Herde und ihrem Hirten gegenüber. Sie üben Kritik in einer dankbaren Haltung und wollen nicht Krawall – sie wollen das beste für die Herde. Deswegen setzen sie sich auch für die Herde ein und arbeiten in der Gemeinde mit. Sie wissen um ihre Gaben (im besten Fall) und um ihre Begrenzungen, wissen aber auch, dass eine Herde nur dann funktioniert, wenn jeder seinen Teil dazu beiträgt. Das tun Schafe sehr gerne. In der Regel sind Schafe sehr dankbar für das, was sie vorfinden und jammern nicht ständig über das, was sie nicht haben.

Sie freuen sich an der Gemeinschaft mit den anderen Schafen, auch wenn sie nicht alle zu ihren engsten Freunden zählen und es manchmal ziemlich stinkt in der Herde. Aber sie wissen auch darum, dass sie selbst nicht immer gut riechen und es normal ist, dass man sich nicht immer so gut riechen kann. Sie vertrauen dem Hirten, dass er es gut mit ihnen meint und wenn sie mal vom Weg abkommen, sind sie dankbar für Zurechtweisung, Korrektur und Horizonterweiterung.

…oder Bock?

Böcke haben große Schwierigkeiten damit, den Hirten und sein Leitungsgremium als solchen anzuerkennen. Ständig gibt es etwas auszusetzen. Das tun sie mit Vorliebe innerhalb der Schafherde hinter vorgehaltenem Schaffell aber in den seltensten Fällen gehen sie direkt zum Hirten und seinem Herdenleitungsteam. Sie tummeln sich gerne unter ihresgleichen und sind der Ansicht, dass sie besser riechen und es besser wissen als die anderen Schafe. Sie merken gar nicht, dass sie sich von der eigentlichen Herde absondern und dass ihr Gras nicht unbedingt besser schmeckt und schon gar nicht grüner ist als das der großen Herde.

Böcke gehen nicht verloren, denn sie haben ja immer recht – meinen sie zumindest. Das führt nicht selten dazu, dass sie andere eher anblöken als mit ihnen zu reden, denn sie selbst sind ja im Besitz der Wahrheit. Selbst gutgemeinte Annäherungsversuche anderer Schafe blocken (oder blöken?) sie ab.

Böcke vertrauen lieber sich selbst und ihrer (vermeintlich) eigenen Stärke als dass sie sich auf andere (Schafe) verlassen oder sich ihnen anvertrauen. Wenn sie sich jemandem anvertrauen, dann anderen Böcken, so dass es eine kleine Bockherde neben der Schafherde geben kann.

Vor allem aber unterscheiden sie sich von Schafen in einer Sache: Dankbarkeit kennen sie – aus der Theorie. Oder aus der Vergangenheit, als das Gras noch grüner war, am Baum ein anderer Hirte lehnte und das Herdenleitungsteam noch genau das tat, was sie wollten. Schöne Ereignisse und Erlebnisse innerhalb und mit der Herde kennen sie auch meist nur noch aus der Vergangenheit. Sie können einfach nicht über ihren eigenen Schatten springen, und wieder Teil der Herde werden.

Obwohl in den meisten Fällen alle – sowohl Schafe als auch Hirte – sich freuen würden, wenn sie zurück kämen in die Herde. Denn das ist – meistens – ein großes Dilemma: Sowohl den Hirten, sein Herdenleitungsteam als auch viele der Schafe schmerzt es, wenn Böcke sich von der Herde absondern.

Und der Hirte?

Bei aller netten Analogie mit Schaf und Bock möchte ich diesen Artikel jedoch noch mit einem Gedanken schließen, der mir wichtig erscheint für alle Pastorinnen und Pastoren.

Das Wort “Pastor” kommt aus dem Lateinischen und heißt auf deutsch “Hirte”. Ich finde das unglücklich, da es nicht selten zu der Annahme führt, dass jeder Pastor ein “Hirte” sein müsse – und das meine ich nun im Blick auf den fünffältigen Dienst.

Er [Jesus] ist es nun auch, der der Gemeinde Gaben geschenkt hat: Er hat ihr die Apostel gegeben, die Propheten, die Evangelisten, die Hirten und Lehrer. Die Bibel, Epheser 4,11

Innerhalb des fünffältigen Dienstes ist nicht jeder Pastor automatisch ein Hirte – sondern hat eine stärkere Kraft und Vollmacht als Apostel, Lehrer, Prophet oder Evangelist. Und doch meine ich aber, dass es wichtig ist, uns den Hirten aus dem Gleichnis mit dem verlorenen Schaf vor Augen zu führen. Er hat ein barmherziges, weiches und liebevolles Herz für das Schaf.

Das ist es, was jeder Pastor und jede Pastorin braucht – und jetzt sage ich provokant: Auch im Blick auf die Böcke. Nein, nicht um sie dann doch wieder einzufangen, sondern um ihnen in der gleichen Liebe zu begegnen wie den Schafen. Jesus hat uns aufgefordert, sogar für unsere Feinde zu beten und sie zu segnen – dann sollte das im Blick auf Böcke nicht anders sein, denn manch einer begeht einen schwerwiegenden Fehler und meint, Böcke sind Feinde. Sind sie aber nicht. Keineswegs. Deswegen gilt es, dass wir als Leiterinnen und Leiter ein barmherziges, weiches und liebevolles Herz behalten und bewahren und alles daran setzen, dass es nicht unbarmherzig, hart und gehässig wird. Und da habe ich noch viel zu Lernen und zu Verbessern. Ich arbeite daran. Denn das Herz eines Leiters ist das Wichtigste, worauf er zu achten hat. [Dazu empfehle ich dir den Artikel “Ordne dein Leben“.]

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Alle Beiträge aus der Reihe “Die Kunst des Leitens”:

Warum Ruhe unsere Rettung ist

Ruhe in einer unruhigen Welt zu leben, ist eine hohe Kunst. Dessen bin ich mir bewusst, nachdem ich das Buch von Thomas Sjödin gelesen habe. Gleichzeitig ist es aber noch nur eine hohe Kunst – sondern eine absolute Notwendigkeit. Oder wie Sjödin sagen würde:

Die Ruhe ist aber keine Belohnung, nichts, das man sich verdienen muss. Sie ist eine Pflicht.Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 24

Die Frage nach nach dem, was “Ruhe” wirklich ist, lässt Tomas Sjödin keine Ruhe. Er selbst bezeichnet sich als jemanden, der – wie wir heute gerne sagen – “viel um die Ohren hat” als Pastor, Schriftsteller, Autor und Sprecher. Er hat ein bewegtes und bewegendes Leben – konfrontiert mit dem Tod: Zwei seiner Söhne sterben auf Grund einer Hirnerkrankung, die nicht genau diagsnotiziert werden kann, aber im Laufe der Krankheit war nur eines sicher: sie wird mit dem Tod enden.

Sjödin schreibt es nicht explizit, aber solch eine Erfahrung lässt einen niemals los – oder wie er sagt: “Die Narbe bleibt.” Dennoch: In “Warum Ruhe unsere Rettung ist”, steht nicht der Tod, nicht das Leid und auch nicht die Frage nach dem “Warum” im Mittelpunkt. Es geht wirklich um das eine Thema: Ruhe.

Mehrwert Ruhe

Sjödin schreibt in so wunderschönen Bildern und einer so vereinnahmenden Sprache, dass man zwischenzeitlich den Eindruck hat, der gute Mann tut nichts anderes als zu ruhen. Darum geht es aber gar nicht. Sjödin ruft nicht auf zu einem Lebensstil der Langeweile und Faulheit – sondern er ruft dazu auf, in der Ruhe wirkliche Kraft zu finden oder mit seinen Worten:

Ohne die Ruhe reagieren wir bald nur noch auf alle Anforderungen und Ansprüche, die uns entgegenkommen wie Autos auf einer viel befahrenen Straße. Aber wir schaffen es nicht oder versuchen es vielleicht noch nicht einmal, darüber nachzudenken, wohin wir egentlich unterwegs sind, was wir wollen.Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 48

Es würde den Rahmen sprengen, alle Facetten der Notwendigkeit von Ruhe wiederzugeben in diesem Artikel, aber alleine der Unteritel des Buches sagt schon alles: “Stell dir vor, du tust nichts und die Welt dreht sich weiter”. Für manche mag das ziemlich ernüchternd sein, halten wir uns doch zu sehr für unersetzlich. Dem ist aber nicht so. Wirkliche Kraft in den Dingen, die wir tun – und lassen – entsteht dort, wo wir sie aus einer Ruhe heraus tun. Einer Ruhe, die der Geschäftigkeit unserer heutigen Zeit im Zentrum gegenübersteht – und das macht sie auch so schwierig zu finden und zu leben. Daraus macht Sjödin keinen Hehl. Weder glorifiiziert noch romantisiert er die Ruhe:

Während man rut, könnte man etwas Nützlicheres tun, etwas Wichtigeres. Das ist die eine Seite der Medaille. Während man ruht, entwickelt man aber auch die Fähigkeit – das ist die andere Seite -, das wertzuschätzen, was man im schnellen Tempo gar nicht erleben würde, was eine gewisse Zeit braucht, um zu wachsen.Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 75

Ruhe aus vielen Perspektiven

Das absolut Bereichernde und Inspirierende an diesem Buch sind die vielen PErspektiven, welche Sjödin zum Thema “Ruhe” zu Wort kommen lässt. Er reist, er experimentiert, er liest, er forscht – und das vorliegende Buch scheint so etwas wie die “Quintessenz” aus all seinen Erkenntnissen zu sein – ohne, dass sie wie ein Lehrbuch daherkommt. Phasenweise gleicht sie eher einem Tagebuch oder einem Reisebuch, in dem verschiedene Gespräche, Begegnungen oder Zitate aus der Literatzr gesammelt wurden.

Schnell wird deutlich: “Warum Ruhe unsere Rettung ist” liest sich nicht als Sachbuch oder schlauer Ratgeber. Dieses Buch ist mehr. Für mich ist es lebensnah und pholosophisch zugleich. Viele Gedanken und Erkenntnisse Sjödins sind so tief, dass man sie beim Lesen nicht sofort versteht. Sie müssen sich setzen. Langsam. Nach und nach. Und wenn sie es tun, dann wird die Lebensweisheit und -reife Sjödins so deutlich, dass man das Buch einfach nicht aus der Hand legen kann.

Sjödin versteht es, das Thema aber nicht nur abgefahren philosophisch oder als eine Zusammentsellung netter Lebensweisheiten und Zitaten zu verstehen. Vielmehr gibt er hier und da kleine Tipps, Hinweise, Anregungen oder beschreibt sein eigenes Experimentieren mit der Ruhe. Deutlich wird er, wenn es darum geht, Ruhe zu unterschätzen oder als unnötig abzutun:

Die fehlende Grenze zwischen Arbeit und Ruhe lässt leicht eine Art Niemandsland entstehen, das sich ausbreitet – in beide Richtungen. Es frisst sich in die Arbeit als Unvermögen, sich zu konzentrieren, und dabei stiehlt es die tiefe Freude, die zur Arbeit gehört. Auch in Richtung Ruhe breitet es sich aus: als Stress, der zu allem gehört, das man “irgendwie auch noch” tun sollte.Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 64

Sabbat als Vorbild

Den größten Teil des Buches (und der Gedankenwelt Sjödins zum Thema Ruhe) nimmt der jüdische Sabbat ein und warum er uns so hilfreich sein kann im Blick auf das Finden und Einhalten von Ruhe. Ich finde gerade diese Gedanken äußerst faszinierend und inspirirend. Denn es geht um mehr als nur um ein paar Sabbatgebote und Sabbatvorschriften. Es geht um Ruhe, das Miteinander mit wertvollen Menschen und Freunden, gemeinesames Essen und Geschichtenerzählen sowie um das Feiern – des Lebens und der Gottesbeziehung und dem Finden von Ruhe mitte in diesen Dingen.

Die Mahlzeit erinnert uns daran, dass wir Teil einer organisch verbundenen Welt sind, einer Schöpfung, die mehr verdient, als einfach konsumiert zu werden. Sie verdient unsere Aufmerksamkeit, unsere Fürsorge und dass wir sie feiern. […] Der Sabbat ist alles andere als eine private religiöse Übung. In seiner ganzen Symbolik geht es darun, etwas zusammenzuführen und zu verketten – mit Gott und mit den Freunden. Man könnte es eine Spiritualität des Zusammenseins nennen. Nicht die für sich selbst gewonnene Zeit ist die Seele des Sabbats, sondern die gemeinsam und mit Gott verbrachte Zeit.Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 94-95

Es mag paradox klingen, aber je tiefer man in das Buch einsteigt und in die Gedankenwelt Sjödins, desto mehr kann man voll und ganz nachvollziehen, welchen Vergleich des Ruhens mit dem menschlichen Körper er bemüht:

Forschungen haben bestätigt, was Eltern aller Generationen schon wussten: dass Kinder und Jugendliche wachsen, während sie schlafen. Das gilt auch für die Muskeln Erwachsener. Sie entwickeln sich nicht, während man Sport treibt, sondern in den Trainingspausen, wenn sie entspannt sind. Und es gilt auch für das seelische Vermögen: Wenn man nicht ruht, verringern sich die Möglichkeiten zur Vertiefung und Reife. Deshalb gehört die Ruhe zu den Dingen, für die wir Verantwortung tragen. Warum Ruhe unsere Rettung ist, S. 113

Kein schlechtes Gewissen

Vielleich geht es dir manchmal auch so, wie Sjödin es als Einstieg in sein Buch beschreibt (alleine deswegen ist es schon lesenswert): Du wirst “ertappt” beim Ausruhen, Schlafen oder beim Mittagsschläfchen und es ist dir peinlich; du hast ein schlechtes Gewissen. Warum? Weil in unserer Gesellschaft scheinbar nur zählt, dass man arbeitet, leistet und die Zeit ausnutzt für “Produktives”.

“Warum Ruhe unsere Rettung ist” kann als Plädoyer für das Ruhen miten im Alltag verstanden werden; als Ratgeber für alle, die sich fragen, wie sie Ruhe finden können und als Entlastung für alle, die fälschlicherweise ein schlechtes Gewissen haben.

Oder um ein Zitat aufzunehmen, das Sjödin von einem Kollegen hat und immer wieder inmitten herausfordernder Situationen von ihm hörte – und schließlich selbst verinnerlichte: “Da müssen wir uns durchruhen.”

Es gäbe noch viel zu berichten über das, was Sjödin schreibt: Die notwendige Vollbremsung durch den Sabbat, das “Land der Ruhe”, die ewige Ruhe oder auch die theologische Bedeutung der Ruhe im Schöpfungsbericht und die Tatsache, dass Gott zu Adam und Eva sagte, nachdem sie noch nicht mal einen Finger krumm gemacht haben: “Morgen ist Feiertag!”

Aber ich mach’s einfach und empfehle dir schlicht und einfach, “Warum Ruhe unsere Rettung ist” zu lesen und das, was für dich passt, mitzunehmen und auszuprobieren. Das werde ich nämlich auch tun.

Warum Ruhe unsere Rettung ist
192 Seiten
ISBN: 978-3-417-26672-6
Verlag: SCM Verlag
Preis: 16,99 EUR

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