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Finden, fördern, freisetzen

Es war im Zug auf dem Weg nach Karlsruhe. Dort erwartete mich die Prüfung im Fach “Neues Testament” im Rahmen meines ersten theologischen Examens. Ich saß mit einem Kommilitonen in der Bahn und wir unterhielten uns – ok, eigentlich haben wir noch versucht, manches in den Kopf zu bekommen – über die Ämter und Dienste, welche im Neuen Testament vorkommen.

Uns gegenüber saß eine junge Dame, die uns irgendwie zuhörte (waren wir echt so laut?) und an ihrer Lektüre war unschwer zu erkennen, dass sie Christin war, die es mit ihrem Glauben ernst nahm. Ganz unvermittelt sagte sie zu uns: “Apostel, Lehrer, Hirten, Propheten und Evangelisten – steht doch im Epheserbrief.”

Ich weiß bis heute nicht, was meinem Kommilitonen damals durch den Kopf ging – ich dachte nur: “Du hast schon recht, junge Frau. Nur leider ist das im Rahmen unserer Prüfung nicht so einfach, diese Dienste anzubringen, denn dazu muss man einige Vorzeichen setzen.”

Diese Vorzeichen sind für mich im Grund genommen zwei, die man auch machen sollte, wenn man “Finden, fördern, freisetzen” von Stefan Vatter liest.

1. Vorzeichen: Der Geist Gottes wirkt heute noch genauso wie zur Zeit der Abfassung des Neuen Testaments.

2. Vorzeichen: Was im Neuen Testament über verschiedene Ämter und Dienste ausgesagt wird, ist auch für uns heute im 21. Jahrhundert noch gültig.

Je nachdem, aus welchem kirchlichen Background du kommst, hast du jetzt schon etwas Bauchschmerzen oder denkst “Hä? Erzähl mir mehr, was ich schon weiß”.

“Wirksam führen – die Wiederentdeckung des apostolischen Dienstes”

So lautet der Untertitel dieses Buches – und der ist Programm. Stefan Vater beschreibt mit solch einer großen Leidenschaft und theologischen Tiefe den apostolischen und fünffältigen Dienst, dass ich mir beim Lesen immer wieder zwei Fragen stellte:

  1. Wie konnte es nur dazu kommen, dass wir diesen Dienst im Laufe von fast 2000 Jahren Kirchengeschichte so sträflich vernachlässigt und inzwischen in weiten Teilen der Kirche aufgegeben haben?
  2. Wie kann der apostolische Dienst konkret in einer Gemeinde Gestalt gewinnen?

Um ehrlich zu sein: Vielleicht habe ich mir diese beiden Fragen vor allem deswegen gestellt, weil sie mehr oder weniger andauernd im Buch implizit behandelt werden. Dieses Buch ist die zweite, komplett überarbeitet und um viel wertvolle Seiten und Einsichten ergänzte Auflage der ersten Ausgabe. Soweit zu den Rahmenbedingungen. Gehen wir in medias res.

Vatter gliedert seine Ausführungen über den apostolischen Dienst in fünf große Kapitel:

  1. Der Ursprung des apostolischen Dienstes
  2. Wesen und Kennzeichen eines Apostels
  3. Apostolisches Wirken in Reich Gottes, Gemeinde und Welt
  4. Der Apostel im Team
  5. Wege zu einer apostolisch geprägten Gemeinde

Am Aufbau sieht man schon sehr gut, was sich an Kostbarkeiten in diesem Buch wiederfinden: Zunächst geht es um eine biblisch-theologische Grundlegung dessen, was “apostolisch”, “Apostel” und “apostolischer Dienst” überhaupt meinen. Super spannend finde ich Vatters Ausführungen über den “apostolischen Dienst” in der Kirchengeschichte. Hoch spannend, wie er bspw. die irrschottische Mönchsbewegung des frühen Mittelalters beschreibt – aber bis in die heutige Zeit Beispiele und Entwicklungen des apostolischen Dienstes aufzeigt.

Wer trockene theologische Ausführungen befürchtet, der sei beruhigt: die theologischen Ausführungen sind immens – aber sie sind absolut gut verständlich und nachvollziehbar (auch für Laien) ohne aber an Gehalt zu verlieren. Vatter schafft es, hochkomplexe theologische Zusammenhänge so zu beschreiben, dass sie verständlich sind – das ist wahre geistige und geistliche Reife und Weisheit! Es ist ein Genuss, seinen Ausführungen nachzuspüren und die Leidenschaft für den apostolischen Dienst darin zu erkennen.

Aber es bleibt nicht bei diesen theologischen Ausführungen, sondern wird vor allem im zweiten Teil des Buches immer praktischer. Den größten Gewinn hat man zweifelsohne aber nur dann, wenn man die (implizit) herausfordernden Fragestellungen an sich heranlässt bzw. an die Gemeinde (vgl. S. 228):

Ich glaube, ich bin nicht der einzige, der sich bei manchen Fragen “ertappt” fühlt und – positiv ausgedrückt – verspürt, dass da noch Luft nach oben ist…

Das nächste Programm?

Unweigerlich stellt man sich aber auch die Frage: “Ist das jetzt das nächste Programm, dem ich hinterherrennen muss?”

Sagen wir mal so: Müssen tust du nix. Aber wenn jemand auf sehr, sehr einleuchtende, tiefgreifende und nachvollziehbare Art und Weise biblische Zusammenhänger über den apostolischen Dienst sowie dessen Geschichte in fast 2000 Jahren Gemeinde Jesu darlegt – dann solltest du dir zumindest Gedanken darüber machen, ob da nicht was dran wäre. Denn: “Finden, fördern, freisetzen” ist kein Programm, das man methodologisch einordnen müsste sondern es beschreibt vielmehr das Wesen von Kirche auch heute noch, sozusagen eine Darlegung von Gemeinde auf ontologischer Ebene, auf der wiederum natürlich verschiedene Methoden ihren Platz finden können.

Um es mal ein wenig plastischer auszudrücken: Was bringt es, wenn man als Gemeinde einem Programm à la Willow Creek, ICF, Fresh X, kontemplativ, attraktiv, undsonstwas-iv nachfolgt, dabei aber die biblische Grundlegung vergisst?

Für mich war die Lektüre des Buches sehr, sehr herausfordernd, da ich mich natürlich auch Frage, welchen Stellenwert der apostolische Dienst bzw. der fünffältige Dienst in meiner Kirchengemeinde haben. Nicht umsonst werden wir als Kirchengemeinde an einem Leiterschaftstraining teilnehmen, das genau auf diesen biblischen Grundlagen beruht – dem K5 Leitertraining (www.k5-leitertraining.de).

Bereichert wird dieses ohnehin geniale Buch durch Gastbeiträge bspw. von Peter Wenz oder Wolfhard Margies sowie von thematischen Exkursen Vatters.

Finden, fördern, freisetzen
Stefan Vatter: Finden, fördern, freisetzen

Verlag: Neufeld Verlag

291 Seiten / 14,90 EUR

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