“Was ist das für eine bescheuerte Frage?” Ja, du hast ja recht. Aber weißt du was? Es begegnen mir immer wieder in Gesprächen Aussagen von Menschen, die mich zum Schluss kommen lassen: Es gibt Christen (und Gemeinden), die Trauer zu schnell übergehen oder gar abtun nach dem Motto: “Als guter Christ trauert man nicht.” What? Ja genau! Da zieht’s mir auch die Schuhe aus.
In den Statistiken meines Blogs finden sich immer wieder auch Suchanfragen, über die Leserinnern und Leser auf meine Seite kamen, die beginnen mit “Darf ich als Christ….” Warum also nicht diese Frage stellen. Als Christ trauern? Unbedingt! Aber wie?
Was ist Trauer?
Gestern war Ewigkeitssonntag. An diesem Sonntag wird nicht nur der Blick auf die Ewigkeit gerichtet, sondern bewusst und mehr als sonst der Trauer Raum gegeben. Ich habe darüber gesprochen, wie Christen trauern. Dabei habe ich versucht, in einem ganz einfachen Satz zusammenzufassen, was Trauer ist. Der klingt dann so:
Trauer ist der Umgang mit bzw. die Reaktion auf eine existenzielle Schmerzerfahrung.
Diese existenzielle Schmerzerfahrung muss nicht zwangsläufig der Tod sein. Das kann auch eine Schmerzerfahrung im Blick auf unsere zwischenmenschlichen Beziehungen sein, im Blick auf die Familie, im Blick auf die Gesundheit, den Arbeitsplatz oder unsere Finanzen – bis hin zu unserer Würde.
Entscheidend nun ist, dass wir ganz unterschiedlich auf solch eine Schmerzerfahrung reagieren. Der eine wird wütend, während ein anderer versucht, “die Sache” zu verdrängen (so lange, bis er merkt, dass das überhaupt nicht funktioniert). Wieder andere werden melancholisch oder beginnen zu zweifeln – und zwar an allem: an Menschen, an Gott, an der Liebe.
Hier gibt es kein “richtig” oder “falsch”. Jeder Mensch trauert anders wie sich auch jeder Mensch auf andere Weise freut. Während der eine in ekstatisches Lachen und Jubeln gerät, freut sich der Introvertierte eher innerlich, still – aber nicht weniger herzlich.
Im zweiten Teil der Bibel, dem Neuen Testament, schreibt Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki zwei Briefe. Im ersten Brief – einem der ältesten Dokumente des Neuen Testaments – schreibt er (wohl auf Anfrage aus der Gemeinde) einige Verse über die “letzten Tage”, das Leben nach dem Tod sowie die Wiederkunft Jesu.
Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott auch die, die entschlafen sind, durch Jesus mit ihm einherführen.
Denn das sagen wir euch mit einem Wort des Herrn, dass wir, die wir leben und übrig bleiben bis zur Ankunft des Herrn, denen nicht zuvorkommen werden, die entschlafen sind.
Denn er selbst, der Herr, wird, wenn der Befehl ertönt, wenn die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallen, herabkommen vom Himmel, und zuerst werden die Toten, die in Christus gestorben sind, auferstehen.
Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden auf den Wolken in die Luft, dem Herrn entgegen; und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.
So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.Die Bibel, 1. Thessalonicher 4, 13-18
Trauern erlaubt!
Mit keiner Silbe verbietet Paulus den Christen in Thessaloniki das Trauern. Im Gegenteil. Er führt es näher aus, weshalb sie nicht “traurig sein sollen wie die, die keine Hoffnung haben”.
Es ist so unglaublich wichtig für unsere Seele und unseren Glauben, dass wir der Trauer Raum geben und sie nicht verdrängen. Schon gar nicht sollten wir als Christen jemals auch nur den Satz denken “Jetzt stell dich nicht so an!”. Weder uns selbst gegenüber noch jemand anderem gegenüber.
Wenn Trauer eine existenzielle Schmerzerfahrung ist, dann schlägt der Grund dieser existenziellen Schmerzerfahrung eine Wunde in unserer Seele und vielleicht sogar in unserem Glauben. “Jetzt stell dich nicht so an” zu sagen wäre genauso schwachsinnig, wenn ich das jemandem sage, der sich soeben das Bein gebrochen hat.
Leider begegnet mir im Blick auf Trauer immer wieder diese übergestülpte “Happy End”-Polemik, wie ich sie auch manchmal in der Osterzeit wahrnehme nach dem Motto: “Wieso soll ich an Karfreitag ernst sein, wenn ich doch schon weiß, dass ich am Sonntag an einem leeren Grab tanze?”
Leider ist das ziemlich oberflächlich gedacht. Genauso oberflächlich ist die Haltung “Stell dich nicht so an – XY ist jetzt bei Jesus, es geht ihm gut und wir werden ihn wiedersehen.” Aber der Schmerz ist da. Der Verlust ist da. Die Lücke, die ein Mensch hinterlässt, schließt sich nicht.
Und der Mensch nimmt einen Schmerz wahr, der tiefer geht als manches körperliches Leiden. Ein Schmerz, der sich in die Tiefen unserer Seele gräbt und bearbeitet werden möchte.
Insofern ist die Frage “Darf ich als Christ trauern?” für mich falsch gestellt. Die Frage müsste besser lauten: “Wie soll ich als Christ trauern?”.
Hoffnungsvoll trauern
Und hier gibt uns Paulus einen Ratschlag, den ich zusammenfassen möchte mit dem Claim “hoffnungsvoll trauern”. Am Anfang des oben zitierten Abschnitts schreibt er:
Hoffnungsvoll trauern setzt Hoffnung voraus – was aber ist Hoffnung? Sicherlich gibt es viele gute Definitionen dafür – mein Versuch lautet:
Hoffnung ist die Zusage für bzw. die Einstellung zum Leben, die damit rechnet, dass der IST-Zustand nicht der Beste ist.
Warum so kompliziert? Weil wir Hoffnung manchmal in uns tragen – und manchmal überhaupt nicht. Da braucht es die Zusage von außen, ein gutes Wort, eine Ermutigung, ein Bibelvers, ein Freund – whatever. Sozusagen intrinsische und extrinsische Hoffnung, wie es ja auch die intrinsische und extrinsische Motivation gibt. Schräg wird es nur dann, wenn wir meinen, immer und zu jeder Zeit eine intrinsische Hoffnung an den Tag legen zu müssen. Auch Christen kommt die Hoffnung abhanden. Und da braucht es den Zuspruch, die Zusage von außen, wie schon Dietrich Bonhoeffer sagte:
Ja, das ist eines meiner Lieblingszitate von Bonhoeffer – deswegen findest du es auch in dem Artikel “5 Gründe, warum Christsein ohne Gemeinde nicht funktioniert“. Es gibt gerade in Zeiten der Trauer die unbedingte Notwendigkeit, dass mir jemand diese Hoffnung von außen zuspricht, weil in mir alles dunkel und hoffnungslos scheint.
Worin nun diese Hoffnung besteht, werde ich im letzten Teil dieses Artikels beschreiben – denn jetzt kommt sozusagen ein kleiner aber nicht unerheblicher Einschub.
Problemzone Gefühle
Der postmoderne Mensch scheint in erster Linie ein fühlender Mensch zu sein. Solange wir “Gott spüren”, ist alles ok. Solange wir “fühlen, dass mich jemand liebt”, schauen wir nach vorne. Aber wehe, wenn die Gefühle weg sind – oder wir sogar das Gegenteil “fühlen”, was bei Trauer ja alles andere als unwahrscheinlich ist.
Da fühlen wir schnell mal Gott – nicht. Da spüren wir schnell mal, dass wir von Gott weit entfernt zu sein scheinen.
Auf der Gefühlsebene widerspreche ich gar nicht. Das ist übrigens nicht erst das Problem von Menschen unserer Zeit, sondern ein Phänomen, das sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht, dass wir uns mal mehr mal weniger geliebt, verstanden oder getröstet fühlen.
Gefühle sind aber nicht alles – und sie werden uns zum Fallstrick, wenn wir ihnen die Macht geben, dass sie uns geistliche Wahrheiten rauben. Eine dieser geistlichen Wahrheit ist, dass Gott trauernden Menschen nahe ist und sie alles andere als weit entfernt sind von ihm.
Wird diese Wahrheit nun durch meine eigenen Gefühle außer Kraft gesetzt? Natürlich nicht! Ist Gott mir wirklich nahe, wie sein Wort es verspricht, auch wenn ich es nicht fühle? Natürlich ist er das!
Gerade in Zeiten der Trauer als Reaktion auf eine existenzielle Schmerzerfahrung stehen wir in der Gefahr, uns auf unsere Gefühle zu verlassen. Das ist in diesem Zusammenhang aber alles andere als ratsam. Es gilt, die geistlichen Wahrheiten und göttlichen Verheißungen weiterhin ernst zu nehmen – so fern sie auch scheinen mögen. Und gerade deswegen benötigt es immer wieder die Zusage der Hoffnung von außen. Denn diese Hoffnung ist kein Wunschdenken – sie ist eine begründete Hoffnung.
Begründete Hoffnung
Als Paulus seine Briefe an die ersten Gemeinden schrieb, standen diese vor einer Herausforderung, die wir heute in der Form gar nicht kennen. Die ersten Christen starben nämlich. Das klingt trivial, aber wenn wir davon ausgehen, dass Paulus seine Briefe grob gesagt ca. 20-30 Jahre nach Jesu Tod und Auferstehung schrieb und damals vor allem erwachsene Menschen zum Glauben an Jesus kamen und sich taufen ließen, dann bedeutet das auch, dass nun eben die große Frage im Raum stand, wie man “richtig” mit dem Tod umgeht – und wie es nach dem Tod weitergeht. Letzteres beschrieb Paulus in dem oben zitierten Abschnitt im ersten Thessalonicherbrief.
Im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth begründete er die Hoffnung, die Christen haben, mit der Auferstehung Jesu.
Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.Die Bibel, 1. Korinther 15, 14-20
Ich finde Paulus ganz generell recht cool – aber was er hier schreibt bzw. wie er seine Aussagen auf die Spitze treibt, ist schon genial. In der Tat wären Christen die “elendesten” – auf gut deutsch: die größten Vollpfosten – aller Menschen, wenn Jesus nicht auferstanden wäre, weil ihr gesamter Glaube sonst auf einem Hirngespinst aufgebaut wäre.
Nun aber – so Paulus – ist Jesus auferstanden! Und er muss es wissen, schließlich ist er dem Auferstanden begegnet (nachzulesen in Apostelgeschichte 9). Und das Interessante ist doch: Paulus argumentiert an keiner Stelle im Neuen Testament mit eben dieser Auferstehung nach dem Motto: “Jetzt komm’ mal runter! Ist doch alles nicht so wild! Das wird schon wieder!”
Nein. Vielmehr ist die Auferstehung Jesu für ihn das feste Fundament, auf dem Christen hier leben – und trauern. In der Gewissheit, dass “das Beste” erst noch kommt und dass der IST-Zustand niemals der beste Zustand sein kann.
Das lässt die Hoffnung, dass “die Dinge besser werden”, in einem neuen Licht erscheinen, weil es tatsächlich Hoffnung und nicht Wunschdenken ist. Es ist kein “Sicht-selbst-am-Schopf-Packen” wie Baron Münchhausen sondern eine Hoffnung, die eben gerade nicht von mir abhängig ist, sondern “extern begründet” ist.
Diese Hoffnung hat auch ein Ziel und beschreibt die Grundhaltung, welche Christen auf der Erde haben sollten.
Weltflucht? Jenseitsvertröstung? Beim besten Willen nicht! Gott hat dir und mir das Leben auf dieser wunderbaren Erde geschenkt. Dieses Leben gestalten und genießen wir. Der Vers im Hebräerbrief ist aber deswegen die Grundhaltung eines Christen, weil er eines ausdrückt: Unsere wirkliche Heimat, ein endgültige Ankommen und Zufriedensein wird es hier auf der Erde niemals geben – sondern erst in der Ewigkeit bei Gott.
Manchmal wird das gerne vergessen und sorgt dafür, dass man sich diese Erde als “letzte Heimat” schön einrichtet und vergisst: Das ist nicht alles! Schon gar nicht das Beste! Und auch nicht das Ende!
Denn das Beste kommt erst noch. Jesus verspricht allen, die an ihn glauben, etwas wirklich Großartiges:
Der Tod eines mir lieben Menschen ist wahrscheinlich die äußerste Form einer existenziellen Schmerzerfahrung. Aber nicht die einzige. Wie oben schon erwähnt gibt es diese in ganz unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens: die Ablehnung durch einen Freund, der unlösbare Konflikt innerhalb der Familie, die niederschmetternde Diagnose des Arztes, das finanzielle Fiasko oder die Tag für Tag wiederkehrend untragbare Situation am Arbeitsplatz.
Ein Gott, der den Tod besiegt, ist stark genug, uns in jeder existenziellen Schmerzerfahrung zur Seite zu stehen, uns zu trösten, uns zu stärken, zu heilen und Zuversicht zu geben. Das tut er durch sein Wort, die Bibel oder indem er durch den Heiligen Geist zu uns spricht. Er lässt es aber auch dort geschehen, wo ein lieber Mensch mir stärkend, tröstend und verständnisvoll zur Seite steht. Er tut es in seiner Gemeinde, dem real existierenden Leib Jesu, wo du Trost und Stärkung empfängst, wie Paulus am Ende des Abschnittes an die Gemeinde in Thessaloniki schreibt:
In alledem gilt, dass Christen ihrer wirklichen Heimat und dem letzten Ort der Geborgenheit und Zufriedenheit erst noch “entgegen leben”. Und bis dahin wird es auf dieser Erde immer wieder Momente existenzieller Schmerzerfahrung geben. Leider. Aber es gilt entgegen aller widersprüchlichen Gefühle in uns: In diesen Momenten Gott ganz besonders nahe. Und niemand kann dem menschlichen Herzen und der menschlichen Seele so viel Gutes und Balsam geben wie der Schöpfer des Universums, der zugleich ein liebender Vater ist.
Nur eines müssen wir dabei unbedingt beachten: Trauern erlaubt!