Ich bin unglaublich bewegt, begeistert, berührt, überrascht, dankbar. Die Geschichten, die Judy Bailey und Patrick Depuhl in Erzählungen und Songs erklingen lassen, sind so tiefgründig, dass mir immer noch wohl die richtigen Worte fehlen, sie zu beschreiben. “Das Leben ist nicht schwarz-weiß” ist ein großartiges Doppel-Album.
Rassismus
Die Lieder und Erzählungen spiegeln das ganze bunte Leben von Judy, Patrick und ihrer Familie wider. Familie? Ja, nicht nur ihre drei Jungs, die sie haben. Vielmehr auch die Geschichten ihrer Eltern und deren Eltern. Geschichten der Generationen vor ihnen – durchzogen von Schuld und Rassismus. Was muss an Schmerz, an Verarbeitung, an Versöhnung, an Hoffnung, an Aufs und Abs “dahinterstecken” – und das kann man mit Worten eben nicht ausdrücken, wenn man das “nur hört” – aber nicht die vielen “Geschichten hinter den Geschichten” selbst erlebt hat.
Selten – oder eigentlich noch nie seit ich denken kann – hat mich ein Album so “berührt”, wie man so schön sagt. Es hat mich nachdenklich gemacht, traurig gestimmt – aber dann auch wieder ganz hoffnungsvoll. Irgendwie so das volle Leben halt.
Das große Thema – man mag es sich denken bei diesem Albumtitel – ist der Rassismus sowie die Ungerechtigkeit zwischen Herrschenden und Völkern, zwischen Nationen und Menschen, zwischen den Nachbarn und der Person hinter mir an der Supermarktkasse. Es ist kein “Bashing” auf “die da oben”. Nein, dieses Album ist mehr. Es deckt auf, wo andere vertuschen. Es schaut hin, wo andre wegschauen. Es benennt Unrecht, wo andere sagen “Ach, ist doch nicht so wild.” Und vor allem: es verbreitet Hoffnung, wo andere nur den Kopf in den Sand stecken.
Es sind die “ganz normalen Alltagsgeschichten” des Rassismus und darüber hinaus auch die “großen Geschichten” der deutschen Nazi-Zeit, die durch biografische Bezüge plötzlich ganz, ganz nah einschlagen wie eine Bombe. Alleine schon die Alltagsgeschichten reichen aus, um zu erkennen, wie unsere Gesellschaft ein massives Rassismus-Problem hat. Wenn bspw. Judy und Patrick einkaufen, Judy bezahlt – aber das Rückgeld geht an Patrick. Übel, oder? Ich finde das dramatisch – und gleichzeitig so schön ehrlich, authentisch und nahbar, wenn Patrick auf dem Album davon erzählt.
Ich nehme hier ganz bewusst nicht zu viel vorweg und zitiere auch nicht viel. Aus zwei Gründen: Ich würde es zum einen aus dem Zusammenhang reißen, wodurch so mancher “Aha-Effekt” und die ein oder andere Pointe ins Leere läuft, da ich niemals so gut die Dinge beim Namen nennen kann, wie das Judy und Patrick tun- vor allem aus eigener auch leidvoller Erfahrung im Hier und Heute aber auch in ihrer Biografie. Und zum Zweiten lege ich dir sehr nahe, dir dieses Doppelalbum selbst zu kaufen und zu Gemüte zu führen.
Hoffnung
Aber wer jetzt denkt, dass dieses Album Trübsal bläst und wie eine graue Maus daherkommt, liegt komplett daneben – und würde wohl Judy und Patrick auch nicht wirklich kennen. Zwei so wunderbare Menschen, zwei so großartige Hoffnungsträger, zwei einzigartige Botschafter der Liebe Gottes – wie könnten ausgerechnet die beiden stehen bleiben in der Tristesse, dem Grau in Grau, der Depression? Eben. Geht nicht.
Und deswegen berührt mich dieses Doppel-Album noch auf ganz andere Weise. Es ist die Hoffnung, die Leidenschaft, der Optimismus, den die beiden verbreiten. Sie bleiben nicht stehen bei dem unglaublichen Hass, Trennung, Zerstörung, Wut und Verzweiflung, die Rassismus mit sich bringen. Und vor allem (und das ist wahre Größe): Sie zeigen nicht mit dem Finger auf die Täter (auch wenn man es nur allzugut verstehen würde). Vielmehr laden sie den Hörer ein, Teil der “Hoffnungsbewegung” zu werden, welche Judy und Patrick durch dieses Album (und streng genommen durch alle ihre Alben) sind.
Eine wunderbare Reise
“Willkommen auf dieser kleinen Reise jetzt und hier. Geschichten und Songs, deutsch und englisch durch schwarz, weiß, bunt; durch Welt und durch Dorf” erklingt es auf dem Album. Und genau das sind diese 2 Stunden und 22 Minuten: Eine Reise durch die Welt von Judy und Patrick, die rein äußerlich Station machte auf Barbados, Chicago, London, in über 30 Ländern, in denen sie gesungen und gespielt haben und nicht zuletzt in Alpen am Niederrhein, wo sie leben.
Kein Wunder, dass diese Welt nicht schwarz und weiß ist, auch nicht grau, sondern bunt, vielfältig und so wunderschön bereichernd.
Es sind nicht nur die oben angesprochenen Themen, welche diese Reise zu einer Abenteuer- und Entdeckungsreise machen. Nein, es ist kein Urlaubstrip und auch kein Luxustrip. Es ist eine Entdeckungsreise hinein in eine Welt einer wunderbaren Künstlerfamilie – aber nicht nur das. Es geht um mehr – und sehr wahrscheinlich auch um eine Reise zu meinen eigenen, inneren Überzeugungen.
Was diese Reise auch auszeichnet ist – Humor. Ja genau, richtig gelesen. Humor.
Er ist tiefsinnig und charmant. Er ist nicht platt und nicht billig. Er ist eher so der schmunzelnde und nicht an der Oberfläche schreiende Humor, der die Schwere dieser Themen aber nicht nur erträglich macht, sondern wohl so richtig ins Herz rutschen lässt. Mal findet sich der Humor in den Lesungen, mal in den Songs, mal sind die Lesungen “schwer”, mal sind es die Songs. Auch da ist das Album eben nicht “Schwarz und Weiß”.
Ein Album über die Schönheit des Lebens, der deutschen Sprache und der Verschiedenheit aller Menschen. Ein Album voller Hoffnung, Liebe, Zuversicht und Realismus. Letzteres überrascht in solch einer fast schon euphemistischen Aufzählung hinsichtlich eines doch ernsten Themas. Aber das ist es, warum ich dieses Album so liebe. Es ist realistisch. Es zeichnet keine Utopie und Zukunftsvision, sondern das Leben hier und heute, das eben nicht schwarz und weiß ist, sondern viel mehr Farbtöne hat, als wir uns ausmalen können.
Herausfordernd und bewegend. Tiefgründig und erheiternd. Schmerzhaft und heilsam. Aber immer: Hoffnungsvoll. Musikalisch ein wahrer Genuss. Die Erzählungen “auf den Punkt” und sprachlich reinste Inspiration. Das ist “Das Leben ist nicht schwarz-weiß”.
Gehe nicht über Los, sondern direkt auf ihre Homepage, um das Album zu kaufen: www.judybailey.com.