Wenn ein Autor diese Zeilen über sein Buch schreibt – dann muss was dran sein. Und es ist etwas dran! Vorab: Dieses Buch kann man durchaus einfach mal so durchlesen und zieht schon jede Menge Gewinn daraus.
Noch wesentlich mehr Gewinn erbringt dieses Buch aber, wenn man sich am Ende eines jeden Kapitels die Zeit nimmt, zu reflektieren, was man gerade gelesen hat und die Fragen/Tests in aller Ruhe macht, die Scazzero jedem Kapitel anschließt.
Insofern findet sich in diesem Buch beides: ein guter Ratgeber und ein nachhaltiges Arbeitsbuch. Beides für sich ist schon Gewinn – in der Summe macht es wohl meine Wertung von 10 Punkten aus.
Was ist Scazzeros Anliegen? Antwort darauf gibt ein wenig der Text auf der Rückseite des Buches:
Wie kann man ein Team effektiv und kraftvoll leiten, ohne sich völlig zu verausgaben – und ohne dass das Privatleben leidet? Aus seiner langjährigen Führungserfahrung weiß Peter Scazzero: indem man sein Inneres, seine Emotionen und die Beziehung zu Jesus genauso pflegt wie die eigenen Führungskompetenzen.
Wie das gelingen kann, erläutert er anhand praktischer Schritte. Sie führen zu einer befreiten und nachhaltigen Leiterschaft, die Stärken und Schwächen berücksichtigt und Konflikte sauber löst.
Dieses Zitat bringt im Prinzip auch schön zum Ausdruck, in welche beiden großen Themen Scazzero sein Buch gliedert – in “Das innere Leben” und in “Das äußere Leben”.
Themen des 1. Teils “Das innere Leben” sind:
- Sich dem eigenen Schatten stellen
- Führen aus einer guten Ehe oder einem erfüllten Singleleben
- Der Liebe Gottes Raum geben
- Den Ruhetag feiern
Themen des 2. Teils “Das äußere Leben” sind:
- Planen und Entscheiden
- Gemeindekultur und Teamentwicklung
- Macht und gesunde Grenzen
- Abschied und Neuanfang
Die Kraft dieses Buches liegt sicherlich auch in den tiefen Erfahrungen verborgen, die Scazzero in seinem jahrzehntelangen Leben als Leiter gemacht hat und an denen er den Leser in seinem Buch teilhaben lässt. Selten habe ich einem Leiter so sehr abgespürt, dass er das, was er da schreibt, auch erlebt, gelebt und durchlebt hat. Und an vielen Stellen nickte innerlich und dachte: “Oh ja, das kenne ich auch nur zu gut.”
Zu bedenken möchte ich eine gewisse “Folie” geben, auf der man Scazzero verstehen kann oder muss. Er drückt es in seinem Buch auch immer wieder aus, was ich in meinen Worten als einen “kontemplativen Lebensstil” bezeichnen würde. Scazzero hat sich viel prägen und beeinflussen lassen von monastischer Tradition und findet große Glaubensstärkung und auch Stärkung in seiner Leiterschaft durch Zeiten der Stille, des Schweigens, der (inneren) Einkehr. Das ist Teil seiner Persönlichkeit und bekannt, wenn man andere Bücher von ihm gelesen hat wie bspw. “Das Paulus-Prinzip”. Man sollte beim Lesen nicht den Fehler machen und denken “Ich bin halt nicht der Typ dafür”, denn Scazzeros Gedanken sind nicht von seinem monastisch geprägten Glaubensleben abhängig sondern gerade darin liegt die Stärke, dass es unabhängig vom jeweiligen Glaubensstil sehr, sehr viele Schätze bereithält.
…und schaden kann es mit Sicherheit nicht, sich immer wieder sagen zu lassen, dass die Stille und Einkehr bei Gott keine verschwendete Zeit ist, sondern Kraftfutter für Seele, Geist und Körper.
Scazzero bemüht immer wieder den Begriff der “emotional gesunden Spiritualität”, also einer Spiritualität, die aus einer achtsamen Haltung gegenüber den eigenen Emotionen und des “inneren Menschen” resultiert – bleibt aber nie (und das finde ich so sympathisch) auf einer spirituellen Metaebene, sondern bekräftigt seine Aussagen entweder mit praktischen Beispielen, konkreten Fragen, die wirklich ins Nachdenken führen oder legt dar, wie sich diese Gedanken in seiner Gemeinde, der “New Life Fellowship” (www.newlife.nyc), konkret auswirken.
Exemplarisch dazu folgender Abschnitt zu der Frage, was “Erfolg” in Gottes Augen ist.
“Der Schlüssel, durch den wir Menschen für Christus erreichen wollen, ist in New Life eine emotional gesunde Spiritualität. Sie hat absolute Priorität. Diese Entscheidung machte es erforderlich, einen Maßstab dafür zu entwickeln, was tief greifende Veränderung und geistliches Wachstum bedeuten. Ein paar Maßstäbe sind:
- Jeder, der in New Life in irgendeiner Weise leitend tätig ist, verpflichtet sich, seine Beziehung zu Gott zu pflegen. 10 bis 30 Minuten morgens und einige Minuten am Spätnachmittag oder Abend sollen für Gebet und Bibellesen freigehalten werden.
- Alle hauptamtlichen und ehrenamtlichen Leiter nehmen sich jede Woche eine Auszeit von 24 Stunden (Sabbatpraxis).
- Alle hauptamtlichen und ehrenamtlichen Leiter üben das Gebet der liebenden Aufmerksamkeit bzw. den Tagesrückblick, um Gottes Wirken und seinen Willen in ihrem Leben zu erkennen.
- Alle hauptamtlichen Mitarbeiter, ob pastoral oder administrativ, nehmen ihre Aufgaben auf der Basis einer emotional gesunden Spiritualität wahr und entwicklen und praktizieren entsprechende Fähigkeiten und Verhaltensweisen.
- Alle Gemeindemitglieder entwickeln eine persönliche Lebensregel, die ihnen hilft, Gottes Liebe selbst zu erfahren und weiterzugeben. Die Lebensregel ist Thema beim Aufnahmegespräch neuer Mitglieder.
- 85 Prozent unserer Mitglieder gehören zu Kleingruppen oder kleineren Arbeitsteams (ebenfalls eine familiäre Gruppe). Diese Zugehörigkeit gilt als wesentlich für das eigene geistliche Wachstum.
- Alle Kinder und Jugendlichen nehmen an einem Jüngerschaftskurs bei einem ausgebildeten Leiter teil.
- 50 Prozent der Ehepaare lassen sich darin schulen, wie sie ihre Ehe so leben können, dass darin zeichenhaft Gottes Liebe zu seiner Welt sichtbar wird.” (S. 179)
“Ja klar, das steht jetzt so mal auf dem Papier. Ob die das da so machen, sei ja mal dahingestellt”, mag jetzt der typische Deutsche denken. Und ich sag nur: “Kann sein. Aber immerhin steht’s auf dem Papier.”
Mich fasziniert dieses Buch sehr. Ich bin nicht in allem gleicher Meinung wie Scazzero, frage mich auch, ob seine Sicht der Dinge nicht sehr eindimensional ist, wenn man so sehr das Hauptaugenmerk auf eine “emotional gesunde Spiritualität” legt – auf der anderen Seite ist es aber wiederum auch gerade alles andere als eindimensional, weil durch die Lektüre dieses Buches ganz schnell deutlich wird, wie allumfassend dieses Thema ist und wie sich eine gesunde oder leider auch ungesunde emotionale Spiritualität auf den Leiter selbst, sein Team, seine Mitleiter und letztlich die gesamte Gemeinde auswirkt.
Vielleicht es genau das, was dieses Buch so wertvoll macht: Scazzero zeichnet schonungslos und klar die Konsequenzen auf – im Positiven wie im Negativen. Das macht sicherlich Mut und Hoffnung – konfrontiert den Leser/die Leserin aber auch mit eigenen Schwachstellen und blinden Flecken und den Zusammenhang darüber, was das mit Leiterschaft und der Gemeinde zu tun hat.
Das Gesamtpaket wird für mich dadurch abgerundet, dass das Erscheinungsbild des Buches sehr ansprechend ist und die Sprache Scazzeros (bzw. der Übersetzerin) sehr gut zu folgen ist und auch theologische Sachverhalte nicht unnötig kompliziert ausgedrückt werden.
Ich kann das Buch nur jedem empfehlen, der in Leitungsposition tätig ist und nicht stehen bleiben, sondern sich weiter entwickeln möchte.