Einmal mehr hatte meine Frau eine grandiose Idee: Wir schreiben allen 154 Abgeordneten des Landtages von Baden-Württemberg eine Email. In dieser Email schildern wir ihnen unsere Situation als Familie mit zwei Kindern im Alter von 10 und 12 Jahren. Denn: am Mittwoch (24. November) wird im Landtag darüber debattiert, welche weiteren Corona-Verordnungen in Baden-Württemberg am Donnerstag verkündet werden.
Viele motzen – wenige handeln
Warum aber haben wir diesen Weg gewählt? Ziemlich simpel: Viele Menschen (um nicht zu sagen: die meisten) sind gerade unzufrieden mit der “Corona-Politik”. Und da spielt es gar keine Rolle, “von welcher Seite” die Lage betrachtet wird. Die Positionen mögen noch so unterschiedlich sein. In eine sind sich momentan scheinbar alle einig: Es ist unzufriedenstellend und deswegen wird gemotzt und gelästert, was das Zeug hält – und ganz ehrlich: Ich könnte nicht behaupten, dass ich NIE motze und NIE lästere. Sorry.
Aber was bringt’s? Hast du jemals in deinem Leben festgestellt, dass sich an den Dingen etwas ändert, wenn du motzt? Ich habe das noch nie festgestellt und wage zu behaupten, dass ich das auch in Zukunft nicht feststellen werde. Motzen ist sowieso ungesund – oder hast du den Eindruck, dass es dir besser geht, wenn du gemotzt hast?
Also haben wir uns gedacht: Lass uns denen schreiben, die wirklich “an der Macht sind” und darüber entscheiden, wie sich unser (Bundes-)Land in den nächsten Wochen und Monaten entwickeln wird unter Pandemiebedingungen. Und ich betone nochmals: Die Idee kam zuerst von meiner Frau. Ehre, wem Ehre gebührt.
Aber nur so kannst du etwas bewegen: wenn du die Dinge anpackst und nicht nur motzt und jammerst und klagst und motzt und jammerst und klagst….denn ganz ehrlich: Mir gehen Menschen, die “nur” motzen und wenig handeln tierisch auf die Nerven!
Wir haben uns also hingesetzt und ziemlich lange an einer Email gefeilt. Denn uns waren drei Dinge wichtig:
- Der ehrliche Dank an alle Abgeordneten für ihren Einsatz und ihre Verantwortungsübernahme in der Politik.
- Deutlich und klar unsere persönliche Lage zu schildern, die vielleicht auch stellvertretend für viele andere Familien stehen mag, aber wir haben nicht den Anspruch, “für alle” zu sprechen.
- Freundlich, schnörkellos und ohne wohlgefeilte Formulierungen und Blabla zu schreiben. Also einfach: authentisch.
Nun denn – dann waren halt mal die 154 Emails draußen und wir haben wirklich ALLEN Abgeordneten geschrieben.
Drei Learnings
Und jetzt, nach einigen Stunden, ziehe ich schon drei Lehren oder eben drei Learnings daraus.
1. Höre auf deine Frau!
Der beste Ehetipp schlechthin. Und um ehrlich zu sein: Eigentlich müsste ich es besser wissen und eigentlich hatte ich dieses Learning schon so oft – aber diese Aktion hat’s mir noch mal verdeutlicht.
Ich habe in meinem Lebe schon so oft auf meine Frau “gehört” – auch dann, wenn’s unbequem für mich war. Ich erinnere mich an keine einzige Situation, die für mich dann von Nachteil war. Aber ich erinnere mich an viele, viele Situationen, in denen ich dankbar war, dass ich auf meine Frau gehört habe! Also – liebe Männer: Wenn euch eure Frau liebt (davon gehe ich einfach mal aus) – dann hört auf sie! Es lohnt sich!
2. Bleibe dankbar!
Als wir die Mail formuliert hatten bzw. schon im Formulierungsprozess selbst, habe ich etwas festgestellt: Dadurch, dass wir mit dem ehrlich gemeinten Dank für ihr politisches Agieren die Mail begannen, war es einfach unmöglich, danach den Abgeordneten “verbal eins überzubraten”. Das ging gar nicht. Das hat sich gar nicht ergeben. Das war ein Ding der Unmöglichkeit.
Meine Herzenshaltung war keine angreifend-aggressive, sondern eine zunächst von Dank bestimmte und damit auch von Respekt für diese Abgeordneten, die ich größtenteils gar nicht kenne – und da wir allen Fraktionen geschrieben haben, waren natürlich auch Abgeordnete von Parteien dabei, die ich nicht wähle.
Natürlich blieben wir direkt und deutlich in dem, was (!) wir sagen wollten, aber immer – so meine ich zumindest – fair und sachlich in dem, wie (!) wir geschrieben haben.
Und ich dachte mir: Wie cool wäre das denn, wenn wir ganz generell in unserem Gegenüber erst einmal das sehen, wofür wir dankbar sind, selbst wenn wir anderer Meinung sind. Es würde unsere Gesprächs- und Debattenkultur wahrscheinlich auf ein angenehmeres Level heben.
3. Handeln schafft Verbundenheit!
Etwas faszinierend ist bis jetzt schon geschehen: Einige Abgeordnete haben mir geantwortet. Dabei war keine einzige Mail dabei, bei der du denkst: “Vielen Dank für die Standardantwort!”
Im Gegenteil: Jede Antwort war individuell verfasst – und teilweise sogar mit eigenen persönlichen Aussagen und Erfahrungen versehen. Das hat mich am meisten positiv (!) überrascht: dass man selbst Kinder habe und deswegen das Thema wichtig sei oder dass man selbst eine Corona-Erkrankung überstanden habe oder dass man selbst es für wichtig erachte, Kindern und Familien mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Wow!
Ich war (und bin) wirklich total fasziniert, welche Verbundenheit dadurch entsteht. Damit meine ich, dass “die anonymen Abgeordneten” zu Menschen werden “wie du und ich”. Das hat mir die Augen geöffnet für mein Gegenüber – in diesem Fall eben für die Politiker. Es hat mir gezeigt, dass sie genauso zu kämpfen haben, hin- und hergerissen sind und wirklich nach bestem Wissen und Gewissen handeln.
Hätte ich das alles erlebt, wenn ich nur gemotzt hätte?
Nein!
Ich habe es erlebt, weil ich gehandelt habe. Und ich will keine “Oh wow, cooler Typ”-Reaktion mit diesem Artikel generieren. Ich möchte nur eines: Dich ermutigen, aus der komfortablen Motz-Zone herauszutreten und in die herausfordernde Dialog-Zone zu treten.
Und mit Dialog meine ich das Ding, das man verwenden muss, um den anderen zu verstehen – auch wenn man seine Ansichten nicht teilt. Ich meine keine Konfrontations-/Demonstrations-/Schreihals-Zone. Ich meine die Dialog-Zone, wo mir wichtig ist, die Haltung hinter der Meinung, den Mensch hinter der Meinung kennenzulernen.
Probier’s mal aus! Es lohnt sich.