Sonntag, 16. Juni 2019. Thema des Gottesdienstes: “Werft euer Vertrauen nicht weg!” Wochen vorher stand es fest, in den Tagen davor bekam es für viele plötzlich eine besondere Dringlichkeit auf Grund von extrem schwierigen Lebensumständen. Und ich denke: In der Theorie ist das echt einfach – aber ganz praktisch?
Der ganze Vers aus dem Hebräerbrief im Neuen Testament der Bibel lautet:
Zerbrochenes Vertrauen in Gott ist nicht unchristlich
Leider gibt es bis heute (und ich befürchte: auch bis morgen und übermorgen) Christen, die der Ansicht sind, dass ein in Gott zerbrochenes Vertrauen frevelhaft, unverzeihlich und im Ranking irgendwo bei den vermeintlichen Todsünden einzuordnen ist. Dabei ist das großer Unsinn und ich bitte dich, das aus deinem Kopf zu streichen – was schwierig ist, wenn es dir über Jahre eingetrichtert wurde.
Ein Blick in die Bibel genügt und wir sehen Menschen, deren Vertrauen in Gott zerbrochen wurde. Diese Menschen machen kein Hehl daraus und sprechen es sehr deutlich aus.
Menschen wie Hiob, Jeremia oder Johannes der Täufer – um nur ein paar wenige zu nennen – erleben mit Gott großartige Dinge und sind gleichzeitig wie bei einer Achterbahnfahrt auch wieder auf dem Boden der Tatsachen oder im Looping des Zweifels, der sie hin und her wirft. Und es fehlte nicht viel, dann hätten sie ihr Vertrauen komplett über Bord geworfen.
Natürlich will ich dich nicht ermutigen, dein Vertrauen in Gott über Bord zu werfen – im Gegenteil. Ich möchte dir aber sagen, dass du weder ein schlechter Mensch noch schlechter Christ bist, wenn dir das Vertrauen für den Moment abhanden kommt. Es fühlt sich schrecklich an und dennoch ist es “normal”. Normal deswegen, weil du nicht der oder die Erste bist. In der Bibel gibt es viele Personen, denen es so ging.
Gott ist größer
Und Gott? Dem macht das wenig aus. Seit Jahrtausenden muss er damit leben, dass Menschen ihr Vertrauen in ihn verlieren. Und er muss aushalten, dass sie das ihm schonungslos um die Ohren hauen.
Wie gut, dass es die Psalmen in der Bibel gibt. In der ganzen Bandbreite des Lebens und der Gottesbeziehung drücken sie aus, was Menschen empfinden: Glück, Dankbarkeit, Anbetung Gottes – und gleichzeitig zerbrochenes Vertrauen, Frust und Wut.
In all diesen Facetten mit Gott reden – das nennen Christen “Gebet”. Ein von Herzen ehrliches Reden und kein frommes Geplapper, von Dingen, die uns gar nicht auf dem Herzen liegen. Kurz und knapp hat es der große C.S. Lewis ausgedrückt:
Gott hält es nicht nur aus, sondern er sehnt sich danach, dass wir ihm das sagen, was uns auf dem Herzen liegt. Für mich beruhigend, tröstend und gleichzeitig Zuversicht weckend ist eine Stelle im Neuen Testament, die wenig bekannt ist oder zitiert wird. Ein Vers aus dem ersten Johannes-Brief, der sehr betont, wie großartig die Liebe Gottes zu uns Menschen ist und wie wir Menschen gleichzeitig dazu berufen sind, einander zu lieben. Ein großer Anspruch, an dem wir schnell auch scheitern können. Deswegen wohl schreibt Johannes:
Das ist beruhigend und ermutigend zugleich, weil es einen Gott beschreibt, der nicht richtend und verurteilend auf uns Menschen schaut. Vielmehr ist er der liebende Vater, der uns durch und durch kennt. Er kennt uns mit unserem Vertrauen und unserem Misstrauen genauso wie mit unseren Möglichkeiten und Begrenzungen. Und in allem ist er barmherzig, liebevoll, gnädig, wohltuend und durch und durch gut – wie es in einem anderen Psalm auch heißt:
Warum Vertrauen in Gott zerbricht…
Es wird immer unterschiedliche Gründe geben, weshalb unser Vertrauen in Gott erschüttert oder gar zerbrochen sein mag. Das können persönliche, biografische Katastrophen sein. Krankheit, Todesfälle, Verlust der Arbeit, schwierige finanzielle oder familiäre Situationen.
Oder es sind Enttäuschungen, die wir durch Menschen (oder auch durch Gott) erleben, wobei es manchmal schon hilft, sich das Wort “Enttäuschung” mal genau anzuschauen. Ent-täuschung bedeutet doch, dass eine Täuschung zu Ende geht. Oder um es anders zu sagen:
Auch die “Unfassbarkeit Gottes” kann uns manchmal an den Rand unseres Vertrauensvermögens bringen. Dort, wo wir Gott nicht verstehen, wo wir gehofft hätten, dass er anders reagiert oder dass er überhaupt etwas tut. Das kann manchmal ganz schön hart sein.
Andererseits möchte ich aber auch an keinen Gott glauben, den ich mit meinem begrenzten Verstand 100%ig fassen kann. Das wäre kein Gott, sondern ein Trugbild, ein Zerrbild, ein Möchtegern-Gott, der aber niemals dem Gott der Bibel entspricht.
Martin Luther spricht in seiner Gotteslehre deswegen auch vom “deus absconditus”, dem “verborgenen Gott”. Unter anderem stützt er seine Lehre auch einen Vers aus dem alten Testament.
Ich erinnere mich noch gut, wie ich im Studium mit dem damaligen Leiter eines christlichen Studentenwohnheims diskutiert habe und mich darüber aufgeregt habe, wie man von einem “verborgenen Gott” sprechen könne. Denn durch sein Wort, die Bibel, als auch durch den Heiligen Geist habe sich Gott doch vollständig offenbart. Nun, auch ich werde älter und hoffentlich ein bisschen weiser und muss heute sagen: Ja, diese verborgene Seite Gottes gibt es. Ich sehe darin aber keinen Hinweis auf einen in sich nicht konsistenten oder gar einen in sich selbst widersprechenden Gott. Vielmehr muss ich als Mensch anerkennen, dass ich Gott niemals vollständig verstehe oder gar erklären kann.
Das mag es in der Theorie und in der Erklärung einfacher machen – in der Praxis aber kann es mein Vertrauen in Gott ziemlich auf die Probe stellen.
Kleines Vertrauen – großer Gott
“Werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.” So lautet der Vers aus Hebräer 10 und man muss doch fragen: Was ist denn diese Belohnung? Schauen wir in den Kontext der Empfänger dieses Briefes, dann wir es wohl das ewige Leben bei Gott sein, das sie erhalten werden. Das soll ihnen zum Trost in einer Situation schlimmster Verfolgung sein, da der Hebräerbrief an Christen gerichtet ist, die unter Verfolgung, Folter und Hinrichtung auf Grund ihres Glaubens litten.
Dennoch glaube ich aber, dass es kein Vertrösten auf das Jenseits ist. Ich glaube, dass ein Vertrauen in Gott schon hier auf der Erde eine Belohnung erhält. Es reicht ein kleines bisschen Vertrauen – und es kann Göttliches entstehen. Ich bin der festen Überzeugung: Gott kann viel mehr, als ich mir das jemals ausdenken oder zurechtlegen könnte. Deswegen gilt:
Davon bin ich überzeugt – und ja: Ich wünschte mir manchmal (ok, zugegeben: sehr oft), dass es schneller sichtbar und erlebbar ist.
Gleichzeitig weiß ich aber, dass Gott nichts unmöglich ist und mein kleines Vertrauen vollkommen ausreicht, weil Gott schon groß ist. Da muss es mein Vertrauen nicht auch noch sein. Kleines Vertrauen – großer Gott. Das reicht – und doch ist es manchmal so schwer. Deswegen am Ende ein paar Tipps, wie du in Momenten und Phasen, in denen dein Vertrauen in Gott zu zerbrechen scheint, am besten “überlebst”.
1. Nichts fromm kaschieren
“Aber in der Bibel steht doch, dass uns alle Dinge zum besten dienen. Das wird schon wieder. Kopf hoch!” So oder so ähnlich klingen manche (hoffentlich wenigstens gut gemeinte) fromme Ratschläge, die man schnell mal zu hören bekommt. Ganz ehrlich: Wenn du das nicht glauben kannst, dann lass es! Es bringt nichts, dass du dich einem frommen Druck aussetzt und anfängst, Dinge zu sagen oder zu glauben, die du eigentlich gar nicht glaubst.
Sei ehrlich zu dir selbst. Lass zu, dass dir nicht danach ist, Gott jetzt anzubeten mit Liedern und Gebeten. Lass zu, dass dir eher danach zumute ist, Gott anzuklagen und ihn anzuschreien.
2. Klagen. Klagen. Klagen.
Und dann klage, was das Zeug hält. Den oben zitierten Psalm 22 hat Jesus am Kreuz gebetet. Er hat Gott angeschrien. Wieso solltest du das nicht auch tun dürfen? Eben. Und es gibt noch viele andere so genannte “Klagepsalmen” in der Bibel. Sie zeigen eines: Menschen haben dann, wenn ihnen das Vertrauen in Gott abhanden zu kommen schien, Gott angeklagt und angeschrien. Tu es ihnen gleich! Ansonsten frisst du die Enttäuschung, die Wut, den Schmerz nur in dich hinein – und glaub mir: Das schmeckt nicht!
3. Nicht alleine sein
Ich glaube, dass es für den Teufel eines der größten Möglichkeiten ist, unser Vertrauen in Gott komplett zu zerstören, wenn wir in solchen Phasen alleine für uns bleiben. Dann hat er die große Chance, uns Lügen ins Hirn und Herz zu hämmern, die hinten und vorne nicht stimmen. Er wird versuchen, unseren Zweifel an Gottes Liebe, Gnade, Güte und Barmherzigkeit noch größer werden zu lassen.
Deswegen: such die Gemeinschaft! Zumindest mit einem Christen oder einer Christin. Ja, dir mag vielleicht nicht danach sein, in den Gottesdienst zu gehen und vielen anderen zu begegnen. Ok. Aber: Bleib nicht ganz allein. Dietrich Bonhoeffer hat dazu mal ein wunderbares Wort gesagt, das ich schon oft zitiert habe und das ich zu komplett unterschreibe:
4. Das große Bild vor Augen haben
Schreib es dir auf, häng es dir an den Kühlschrank, lass es in deinem Smartphone dich immer wieder erinnern oder schreib es an den Badezimmerspiegel – whatever. Aber behalte das große Bild vor Augen. Behalte vor Augen, dass Gott es gut mit dir meint, dass er nichts Schlechtes für dich im Schilde führt, sondern dass er dir Zukunft und Hoffnung geben will.
Du kannst es mit eigenen Worten formulieren oder einen Bibelvers verwenden; du kannst dir ein Foto als Hintergrund auf deinem Smartphone wählen, welches das “große Bild” ausdrückt oder, oder, oder. Ein möglicher Vers wäre dieser:
Und sei dir sicher:
Gottes Wort gilt!
Gottes Trost setzt sich durch!
Gottes Liebe gewinnt!