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Die Essenz des Seins

Wer bin ich? Was ist meine Identität? Wie finde ich diese? Wie lebe ich sie aus? Und wer bin ich im Blick auf die Menschen um mich herum – egozentrisches Individuum oder unterwürfiger Irgendwer im Meer der Ideologien?

Uns Menschen des 20. und 21. Jahrhunderts treibt die Frage der Identität um. Sie liegt all unseren politischen Exzessen und Extremen zugrunde und spielt die zentrale Rolle in einem Kulturkampf, der uns einmal mehr vor eine absolute Zerreißprobe stellt.Die Essenz des Seins, S.39

“Die Essenz des Seins” geht diesen Fragen auf den Grund und die Antworten werden nicht jedem gefallen. Dazu gleich mehr. Zunächst stellen wir kurz die Frage:

Wer schreibt hier eigentlich?

Jordan B. Peterson und Jonathan Pageau. Letzterer wird wohl weniger bekannt sein als Jordan B. Peterson. “Jonathan Pageau ist ein französisch-kanadischer Ikonenschnitzer, gefragter Redner und erfolgreicher YouTuber” heißt es im Buch. Alleine die Kombination “Ikonenschnitzer” und “erfolgreicher YouTuber” hat mich neugierig auf die Suche gehen lassen, wer Jonathan Pageau ist – denn: Ich kannte ihn vor der Lektüre des Buches nicht.

Auf seinem YouTube-Kanal gelandet, dachte ich: “Den Kerl hast du schon mal gesehen” – und in der Tat: Sehr wahrscheinlich habe ich das ein oder andere Video von ihm schon gesehen, denn “Ikonenschnitzer” ist nur die eine Art seiner Bezeichnung – viel bekannter (schätze ich mal) ist er durch seine Website www.thesymbolicworld.com und seine Videos, die sich mit christlichen Symbolen und Mythologie beschäftigen.

Jordan B. Peterson wiederum ist wiederum bekannter und vermutlich einer der einflussreichsten Konservativen unserer Zeit – so sehr, dass Progressive vor ihm warnen. Also muss schon mal etwas dran sein an dem, was er sagt, sonst würde seine Gegnerschaft nicht so laut schreien. Von haus aus ist er Psychologe und inzwischen als gefragter Sprecher weltweit unterwegs und sicherlich einer der Intellektuellen, die versuchen, unsere Gesellschaft und die Phänomene unserer Zeit nicht mit billigen Plattitüden zu beschreiben, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen – wo wir schon bei der “Essenz des Seins” gelandet sind.

Keine Extreme – und doch klar positioniert

So würde ich kurz und knapp “Die Essenz des Seins” beschreiben und damit komme ich zurück zu den eingangs gestellten Fragen.

Es geht um nichts Geringeres als die Frage nach der menschlichen Identität. Für Leser, die sich in christlichen Kreisen bewegen, ist das schon mehr als ein Klassiker. Bei manch einem mag es ein Gähnen oder gar Augenrollen hervorrufen – aber zu Unrecht. Denn “Die Essenz des Seins” legt den Finger in eine Wunde, die leider sehr groß klafft, wenn man nur die sehr vereinfachten, frommen Antworte hört nach dem Motto: “Du bist ein geliebtes Kind Gottes” – nichts verkehrt; das stimmt für jeden, der an Jesus glaubt. Aber es lässt eines meistens außer Acht, was in “Die Essenz des Seins” meiner Meinung nach, so wie ich das Buch wahrgenommen habe, fast schon das Zentrum ist, nämlich:

In welchem Zusammenhang befinde ich mich als Individuum zu einem Kollektiv, in dem ich lebe?

Auf der einen Seite vom Pferd heruntergefallen ist der, der den Menschen als rein objektives Wesen sieht, das sich im Kollektiv zu ergeben hat – wie bspw. in Diktaturen, in denen der Wert und die Stimme des Einzelnen nichts zählen.

Auf der anderen Seite vom Pferd ist der heruntergefallen, der den Menschen in einer wahnhaften Super-Anthropologie als den Nabel der Welt sieht und dessen Selbst sich unabhängig seiner Umwelt immer und überall durchsetzen muss – wie bspw. im expressiven Individualismus zu finden. Wenn du dich noch mehr mit dem letzteren Phänomen beschäftigen möchtest, empfehle ich dir das Buch “Fremde neue Welt” von Carl R. Trueman.

Jordan B. Peterson verortet die “Essenz des Seins” in der goldenen Mitte, wobei grundlegend vorausgesetzt ist, dass der Mensch an sich eine gesunde Identität und Selbstwahrnehmung hat.

Es gibt so viele Menschen auf der Welt, die durch ihre heillos fragmentierten Identitäten so existenziell verloren sind, dass sie jeden tieferen Sinn in ihrem Leben verloren haben.Die Essenz des Seins, S.23

Das ist leider die Kehrseite dessen (so meine Meinung), was sich durch den expressiven Individualismus in unserer Zeit breit gemacht hat: Ein Phänomen der Selbstfragmentierung anstatt einer heilvollen und vollständigen Identität.

Dabei ist es gerade das Zusammenspiel zwischen dem Individuum und dem übergeordneten Ganzen (sei es eine Gemeinschaft oder der Staat), welches die Identität formt und prägt:

In einem gut strukturierten subsidiären System übernimmt das Individuum aus freien Stücken die Verantwortung für sein Verhalten.Die Essenz des Seins, S.102

Peterson und Pageau geht es gerade nicht darum, reaktionäre oder aktivistische Individuen zu formen, die sich gegen eine Ideologie, einen Staat oder was auch immer auflehnen, sondern es geht um die Findung und Stärkung der individuellen Identität im Zusammenspiel mit den das Individuen umgebenden Systemen – das reicht eben von der Familie bis zum Staat.

Und welche Rolle spielt Gott?

Eine große! Man muss jedoch genau hinschauen und ich zumindest musste manche Abschnitte auch mehrfach lesen, um die Tiefe und Tragweite ermessen zu können. Denn das ist der einzige “Kritikpunkt” (wenn man es so nennen mag) an “Die Essenz des Seins”: Man muss es häppchenweise lesen, wenn man es verstehen will. Auch wenn es nicht viele Seite sind, können es vermutlich nur die Superschlauen am Stück durchlesen und am Ende dir in 10 Sätzen sagen, um was es in dem Buch geht. Ich kann das nicht – und gehöre vermutlich zur Mehrheit der Leser.

Indem wir das Höchste aufgeben, zwingen wir stattdessen das, was eigentlich subsidiär ist, auf den obersten Rang. Politik, Wirtschaft oder gar irgendeine Laune werden zum ultimativen Ziel erkoren, und Gott selbst verkommt, wenn nicht zu Schlimmerem, bestenfalls noch zum Cäsar.Die Essenz des Seins, S.107

Man kann es nicht besser ausdrücken, was das Problem unserer Zeit und damit auch das Problem der Identitätsfindung heutzutage ist: Wir schaffen es nicht mehr, Gott den Platz zu geben, den er verdient hat: den Thron. Und zwar den Thron über alles in unserem Leben, nicht nur über manche Bereiche.

Nicht wenige Menschen suchen ihre Hoffnung (vergebens) in der Politik, in der Wirtschaft oder in den aktuellen gesellschaftspolitischen Themen wie Klimawandel und Gendertheorie. Alles Dinge, über die man trefflich streiten und diskutieren kann, nur eines kann man nicht: seine Hoffnung darin setzen. Wer es tut, ist verloren.

Ohne die endgültige nicht rationale, ekstatische und transzendente Bewegung in das Nicht-Eingrenzbare werden sich Teilaspekte von Identität unweigerlich in Götzen verwandeln. Darum kommt es auch zur Ablösung der Theologie durch ihren seichten Nachahmer, die Ideologie, einer Entartung, die mit höllischen Begleiterscheinungen einhergeht.Die Essenz des Seins, S.108

Bitte dieses Zitat nochmals lesen!

Für mich fasst es wunderbar zusammen, dass jede Ideologie und jede Form der Identitätsfindung, die Gott nicht auf dem Thron lässt, sondern dessen Platz von Teilaspekten der eigenen Identität einnehmen lässt, zum Scheitern verurteilt ist und im wahrsten Sinne in die Verdammnis führt.

Da es Pageau und Peterson so großartig schaffen, in wenigen Worten so viel auszudrücken, schließe ich diese Buchvorstellung mit einem letzten Zitat, das fast schon trivial klingt, aber im Kontext des zuvor in “Die Essenz des Seins” Geschriebenen eine immense Tiefe hat:

Nur subsidiäre Identität ist wahre Identität. Persönliche Verantwortung ist der Preis für unsere Teilhabe an dieser Identität und führt uns in das eigentliche Abenteuer unseres Lebens.Die Essenz des Seins, S.135

Jordan B. Peterson: Die Essenz des Seins

ISBN: 9783038482871

Preis: 15,90 EUR

Verlag: Fontis Verlag (www.fontis-shop.de/products/die-essenz-des-seins)


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