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Wenn der Charakter die Kompetenz frisst

Ist der Charakter wirklich so entscheidend oder müssen wir nicht eher “kompetenzorientiert” denken und jeder bringt ein, was er kann und hat? Lass mich kurz überlegen – JA! Er ist es. Aber so was von! Ich schreibe bekanntlich als Pastor/Pfarrer und deswegen ist mein Fokus – auch in diesem Beitrag – auf Gemeinde gerichtet. Ich glaube aber, dass es egal ist, in welcher “Organisation” du dich befindest: Sei es auf dem Arbeitsplatz, im Verein oder anderen Interessengruppen: Überall, wo Menschen zusammen kommen und ein gemeinsames Ziel haben, ist die Frage: Wie stehen Charakter und Kompetenz in Zusammenhang?

Kompetenz ist nicht alles

Das Wort “Kompetenz” bedeutet laut Wikipedia aus dem Lateinischen (“competentia”) für Eignung; “competere” zusammentreffen, ausreichen, zu etwas fähig sein, zustehen. In vielen Bereichen des Lebens wird seit kürzerer Zeit vor allem auf Kompetenzen Wert gelegt. In der Schule gibt es den an den Kompetenzen der Schülerinnen und Schülern ausgerichteten Unterricht bzw. dieser wiederum soll vor allem dazu führen, dass die Schülerinnen und Schüler gewisse Kompetenzen erlernen. Nicht mehr das reine Fachwissen steht im Vordergrund, sondern Kompetenzen – also Fähigkeiten und Eignungen.

Auch im Kindergarten gilt das übrigens schon, was ich hochproblematisch finde – aber das sei an dieser Stelle nicht weiter vertieft.

Das Problem ist, dass bei der Kompetenzorientierung augenscheinlich betrachtet der einzelne Mensch im Mittelpunkt steht und seine Fähigkeiten und Begabungen “trainiert” und verbessert werden sollen. Das ist doch nicht schlecht, oder? Doch! Wenn es nämlich die Handlungs- und Bewertungsmaxime wird, nach der wir uns richten.

Der Mensch ist nicht, was er tut, sondern was er ist. 

Und deswegen spielt der Charakter eine so wesentliche Rolle. Denn dieser ist Ausdruck dessen, wer wir (wirklich) sind und nicht Ausdruck davon, was wir tun.

Charakter, das unbekannte Wesen

Es wird nicht besser, wenn man sich die gängigen Definitionen anschaut, was denn der Charakter sei. Immer wieder ist davon die Rede, dass der Charakter das Zusammenspiel der “Fähigkeiten” und “Eigenschaften” einer Person darstellt, die wiederum nötig sind, um ethische und moralische Entscheidungen oder Entscheidungen im Blick auf eine bestimmte Situation zu treffen und sein persönliches Handeln bestimmen.

Ich würde nicht so weit gehen und den Charakter so zweckorientiert zu betrachten. Für mich ist der Charakter mehr das Zusammenwirken der Wesenszüge, die ein Mensch hat – bspw. Großzügigkeit, Pessimismus, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Jähzorn, Habgier, Altruismus, Freiheitsdrang, Gemeinsinn und viele andere.

Deswegen bleibt uns unser eigener Charakter manchmal auch so ein wenig verschlossen, weil wir noch nicht einmal unsere Wesenszüge allesamt erkannt haben.

Fakt ist aber: Unser Charakter – egal, ob wir ihn altruistisch oder utilitaristisch verstehen – prägt uns so sehr, dass wir ihn überall mit hinnehmen, wo wir hingehen: In die Schule, auf die Arbeit, in den Fußballverein und in die Kirchengemeinde. Und deswegen kann der Charakter die Kompetenz fressen. Weil es viel wichtiger ist, wer und wie eine Person ist, als das, was sie tut, ist die Stimme unseres Charakters immer deutlicher, lauter und schneller hörbar als die Stimme unserer Kompetenzen.

Der Fressvorgang

Ich gebe dir ein ganz einfaches Beispiel:

Du arbeitest in deiner Kirchengemeinde in einem bestimmten Team mit. Innerhalb dieses Teams sind logischerweise ganz unterschiedliche Menschen – allesamt für sich total begabt. Manchen wir es konkreter: Wir nehmen den Musikbereich und es gibt so viele begnadete Musiker: virtuose Pianisten, Rockstar-Gitarristen, taktvolle Schlagzeuger und jede Castingshow gewinnende Sängerinnen und Sänger.

Das Team könnte so dermaßen gut sein und Sonntag für Sonntag den besten Worship im Gottesdienst zelebrieren, wenn sie sich regelmäßig treffen würden, jeder an sich selbst arbeitet, um besser zu werden und voll und ganz aufeinander abgestimmt und eingespielt sind. Musikalisch und “handwerklich” würde jede Gemeinde die Finger nach ihnen ausstrecken.

Nur leider…

Charakter frisst Kompetenz. Diese Band hat das Zeug dazu, senkrecht durchzustarten. Aber sie bremsen sich immer wieder aus einem Grund aus:

In allem, was du tust, ist dein Charakter mit dabei.

Und wenn dieser Charakter einige Seiten an sich hat, die sich auf das gesamte Team negativ auswirken – dann ist nicht die Kompetenz entscheidend – sondern dein Charakter.

Charakter multipliziert Kompetenz

Das wäre natürlich das Nonplusultra: Unser Charakter ist so gut entwickelt, wir arbeiten so sehr daran, eine bessere Ausgabe unserer selbst zu sein, dass unsere Kompetenz durch unseren Charakter multipliziert wird.

Die gute Nachricht: Ich glaube, das ist möglich.

Die schlechte Nachricht: Es erfordert Zeit und Mut.

Ich lerne viel von anderen Leitern. Egal, wie bekannt sie sind. Natürlich lerne ich auch von denen, die in der “frommen Welt” durchgereicht werden – aber auch von den “ganz normalen Leitern”: in meiner Gemeinde, in der Kirche oder in befreundeten Gemeinden. Immer wieder, wenn ich mit ihnen im Gespräch bin oder etwas von ihnen dazu lese/höre, dann kann man es auf diese einfache Formel bringen (wie es bspw. auch Carey Nieuwhof in seinem Buch “Didn’t see it coming” getan hat).

Nicht Kompetenz sondern Charakter entscheiden über den Einfluss als Leiter. Und Leiter wollen Einfluss nehmen sonst wären sie keine Leiter.

Natürlich braucht es auch Kompetenz, keine Frage. Charakter alleine macht es nicht aus. Wer ein netter Kerl ist, aber nicht singen kann, sollte auch nicht im Worshipteam singen. Nein – auch und erst recht nicht “wenn er es doch für den Herrn macht”.

Aber schauen wir doch mal unsere Band von oben noch mal an. Wenn jedes Bandmitglied sich seiner charakterlichen “Da ist noch Luft nach oben”-Bereiche bewusst wäre, könnte es ganz anders aussehen:

Was das wiederum auf die zwischenmenschlichen Beziehung und auf die Musik selbst an Auswirkungen hat, ist nicht schwer zu erkennen. Ausschlaggebend ist immer die schlichte Erkenntnis: Es beginnt mit mir – nicht mit “den anderen”, sondern mit mir.

Den Charakter schulen

Wie oben beschrieben, lerne ich viel von anderen Leitern. Ich lasse mich inspirieren, herausfordern und konkret zur Veränderung “bitten”. Ich glaube, dass der Mensch nicht zu 100% veränderungsresistent ist. Es gibt Anteile in jeden Menschen, die Veränderung möchten, weil sie wissen: “So weitermachen wie bisher – das geht nicht.”

Und es gibt keinen anderen Bereich als den eigenen Charakter, in dem es so schwierig aber gleichzeitig auch so lohnenswert ist, an sich zu arbeiten. Wenn du nicht sicher bist, welche Defizite bei dir zu finden sind, dann frag ganz einfach eine dir nahestende Person. Sie wird es dir gerne und ganz sicher sagen!

Denn verletzte Menschen verletzen andere, grenzenlose Menschen verlangen zu viel von anderen und ungeliebten Menschen fällt es schwer, anderen mit Wertschätzung zu begegnen.

Das ist an und für sich nicht schlimm – denn es ist ganz menschlich. Und wir leben in einer Welt, die nach dem Sündenfall existiert. Es kann also gar nicht sein, dass die Dinge sich alle in Wohlgefallen auflösen. Wir werden bis zum Ende unserer irdischen Tage immer und immer wieder mit der ein oder anderen charakterlichen Herausforderung zu tun haben.

Aber jetzt stell dir nur mal vor, wie es in unseren Gemeinden, in den Teams und Diensten aussehen würde, wenn jeder an sich und seinem Charakter arbeiten würde. Nein, wir hätten nicht den Himmel auf Erden – aber einen kleinen Schritt weiter in die richtige Richtung getan.

Linkliste

Im Blick auf den eigenen Charakter, die eigenen Wesenszüge, empfehle ich dir einfach einmal unsortiert und nicht nach Priorität geordnet einige Dinge zum Lesen, Hören und Sehen:


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