Dass nicht nur die “fromme Welt”, sondern auch und gerade unsere Gesellschaft unter einem verkorksten Männerbild leidet, ist offensichtlich. “Bruderherz” ist dagegen kein Patentrezept, sondern eher so etwas wie eine Bestandsaufnahme und Diagnose, warum die Lage so ist, wie sie ist.
Eines vorab: Ich habe mich ein wenig vom Klappen und Werbetext beeinflussen lassen und dachte, in diesem Buch geht es primär um Männerfreundschaften. Dem ist nicht so – aber das ist nicht weiter tragisch, denn indirekt geht es doch auch darum. Denn der Untertitel beschreibt es treffend: “Echte Männer, echte Freunde”. Erst Mann – dann Freund, so könnte man es sagen und so ist es sicherlich dann auch wieder gerechtfertigt, sich von diesem Buch einige Tipps im Blick auf “echte Männerfreundschaften” zu erwarten.
Das Ende einer Täuschung und das Beste zum Thema
Allerdings, und vielleicht ist das sowohl der Kern meiner “Enttäuschung” (denn jede “Enttäuschung” ist das “Ende” einer “Täuschung” auf Grund falscher Erwartungen) als auch der Kern des Buches: es geht ans Eingemachte! Liebe Männer, das ist keine leichte Lektüre. Sie wird euch an eure Abgründe und schwarzen Löcher führen, sie wird euch schonungslos über euch selbst Dinge offenbaren, von denen ihr dachtet, dass sie euch nicht betreffen. Das Buch wird euch herausfordern, ein “echter Mann zu werden”. Und ich würde so weit gehen, dass Wes Yoder so viel Tiefgang, so viel Authentizität, so viel Biografie und so viel Ehrlichkeit in das Buch hineingelegt hat, dass es mit Abstand das Beste ist, was ich im Blick auf “Mannsein” bisher gelesen habe.
Yoder selbst hat aber auch jede Menge zu berichten und zu diesem Thema beizusteuern. Aufgewachsen unter den “Amischen” und den Mennoniten, hat er den Glauben nicht nur mit der Muttermilch mitbekommen – er hat ihn in seinen schönen wie auch in seinen einengenden Seiten kennengerlernt. Das führte dazu, wie er in seinem Buch immer wieder beschreibt, dass er sich in seinen jungen Erwachsenenjahren sehr distanzierte vom Glauben, einige Dinge tat, die allesa ndere als förderlich für ihn (und sein Umfeld) waren, zurückfand zu Gott und schließlich Unternehmer wurde.
Er war Teil des “Jesus Movement” in den USA, verhalf einigen christlichen Bands und Künstlern zu ihrem Durchbruch und ist heute Präsident von “Ambassador” – einer Agentur für Autoren und Sprechern und war dadurch u.a. Medienvertreter der weltweiten Bestseller “Leben mit Vision” von Rick Warren oder “Die Hütte” von William Paul Young. Letzterer schrieb das Vorwort zu “Bruderherz”.
Eine Einladung zum Gespräch
So versteht Wes Yoder sein Buch und schreibt als Vorbemerkung:
Entsprechend ist das Buch gegliedert, denn man möchte manchesmal am liebsten einhaken und fragen: “Wie genau meinst du das, lieber Wes?” Manche Gedankengänge scheinen etwas konfus order retardierend. Antworten auf die Fragen erhält man aber im Lauf des Buches, als ob Yoder sagen würde: “Warte ab, Bruder, die Antwort wirst du in diesem Buch schon noch finden.” Also liest Mann weiter, legt das Buch nicht aus der Hand, erfährt die nächste Anekdote aus dem Leben eines faszinierenden Mannes oder ist be(un)ruhigt darüber, dass es allen Männern doch irgendwie ganz ähnlich geht: Es geht um Zerbruch, um Scham, die Geschichte mit dem eigenen Vater, der Umgang mit Sexualität, die Versuchungen und Verlockungen des Alltags, herbe Enttäuschungen, Lust und Frust im Glauben, erfahrenes Leid sowie um Enttäuschung. Das alles aber so, dass nicht einmal der Gedanke kommt. “Ach, komm schon, Wes, das ist jetzt aber schon bisschen schubladenmäßig.”
Gefühlt – aber dass mag wirklich sehr subjektiv sein – geht es in diesem Buch sehr viel um das, was Männer in ihrem Leben an Negativem erfahren haben und wie es sie mehr prägt und formt, als sie das vielleicht wahrhaben wollen. Es kommer aber weder schablonenhaft noch platt daher. Es begegnet imer wieder in den unterschiedlichen Facetten, wie es auch Yoder erlebt hat.
Ich empfehle dieses Buch jedem (!) Mann und jedem männlichen Individuum, das auf dem Weg ist, ein “echter Mann” werden zu wollen. Auch das schreibt Yoder, was das denn ist bzw. “wer ein echter Mann ist”. Aber das hier vorwegzunehmen wäre Spoilern im Quadrat. Deswegen lasse ich es und hoffe, dass Du, lieber Leser, dieses Buch lesen wirst und Du, liebe Leserin, dieses Buch einem männlichen Freund, deinem Ehepartner, Vater, Bruder oder Sohn zu lesen empfiehlst.
Ein letzter Gedanke
Ich empfehle, dieses Buch nicht zu sehr “scheibchenweise” zu lesen, sondern in großen Happen, da der große Bogen sonst verloren gehen kann bzw. die oben angesprochenen im Buch “versteckten” Antworten nicht gefunden werden. Yoder liefert auch sehr, sehr viele konkrete Tipps und Anregungen zum Nachdenken – aber nicht über’s Buch verstreut, sondern in kompakten Dosierungen. Wer es also praktisch mag, muss schon einige Seiten lesen, um immer wieder an diese ganz praktischen Ratschläge zu kommen.