StartGedankenChristsein ohne Nachfolge?

Christsein ohne Nachfolge?

Was würde geschehen, wenn Christen auf diese zerbrochene und oftmals so kranke Gesellschaft nicht mit Verachtung, sondern mit Liebe und Hingabe reagieren? Wie würde sich die Kultur und damit das Zusammenleben in Gemeinden ändern, wenn wir radikal von Jesus lernen? Wie würde es in Kirchen und Gemeinden aussehen, wenn wir Jesus nachfolgen und uns nicht einfach nur das zu Herzen nehmen, was wir ohnehin schon “ganz ok” finden?

John Mark Comer (www.johnmarkcomer.com) schreibt in seinem Buch “Leben vom Meister lernen” (Rezension folgt) einen Satz, der mich ins Nachdenken gebracht hat. Dieser Denkprozess ist noch nicht beendet. Ich stolpere immer noch über diesen Satz und frage mich nach wie vor, ob ich ihn in seiner Tiefe überhaupt schon ergriffen habe.

Das Problem ist, dass wir im Westen ein kulturelles Milieu geschaffen haben, in dem wir Christ sein können, ohne ein Lehrling von Jesus zu sein. Wir haben Nachfolge zu einer Option gemacht.Leben vom Meister lernen, S.33

Wir haben Nachfolge zu einer Option gemacht.

Ja genau – Nachfolge. Also diese Art von Lebensstil und Lebensführung, die sich ganz an Jesus Christus ausrichtet, die Christsein nicht einfach nur als “nice to have” und Sahnehäubchen versteht, sondern als Grund und Fundament des ganzen Lebens. Und vor allem: Nachfolge nicht verstanden als fünf Schritte oder zehn Punkte, sondern als einen Lebenssstil, der aus meinem Innersten heraus kommt, der meinem Herzen entspringt, der sich nicht an Äußerlichkeiten messen lässt, auch wenn gewisse “Punkte” und “geistliche Übungen” dazugehören – aber die Frage ist: Aus welcher Motivation heraus tun wir diese? Meine etwas provokante Antwort: Wir haben den christlichen Glauben vielerorts zu einem System gemacht, das es zu befolgen gilt und nicht zu einem Lebensstil, aus dem alles weitere entspringt.

Dabei ist Nachfolge das, was einen Christen ausmachen sollte.

Und das haben wir zur Option gemacht!?

Wie geht denn so was – und: Wer ist wir?

Ich bin der Überzeugung, dass John Mark Comer damit “die Kirche”, die Christenheit des Westens meint. Diese Vermutung liegt nahe, wenn man sich mit seinem Buch “Leben vom Meister lernen” auseinandersetzt bzw. mit seinem Jüngerschaftsmodell “Practicing the way”. Auf der gleichnamigen Homepage gibt es jede Menge Einblicke, Ressourcen und Videos – sehr empfehlenswert: www.practicingtheway.org

Muss ich alles gut und richtig finden, was John Mark Comer schreibt? Nein. Beim besten Willen nicht! Nenne mir einen Autor – außer den Heiligen Geist – bei dem du 100% zustimmst. Und um ehrlich zu sein: Wir tun es nicht einmal beim Heiligen Geist, wobei wir schon wieder beim Thema wären.

“Wir” – also die westliche Christenheit – hat aus Nachfolge eine Option gemacht. Und wenn ich in die Gemeinde- und Gottesdienstkultur blicke, beginne ich zu ahnen, was Comer meint. Achtung: Das kann schmerzhaft werden!

Was wir singen – und was wir tun

Wie sehr machen wir unser Leben von Jesus wirklich abhängig, obwohl wir singen “Herr, wohin sonst, sollten wir gehen?”

Wie sehr glauben wir mitten im Alltag der Güte Gottes wirklich, auch wenn wir singen: “Your goodness is running after me.”

Glauben wir, dass niemand und nichts stärker ist als Jesus, auch wenn wir singen “You have no rival”, aber in unserem Alltag so tun, als müssten wir alles in die Hand nehmen, wenn sich Widerstände auftun, anstatt Jesus den Kampf zu überlassen.

Apropos. Wir singen zwar “Und wenn ich kämpf’, dann auf meinen Knien”, aber die wahrscheinlich am schlechtesten besuchten Veranstaltungen in Gemeinden sind Gebetstreffen – ja, ich spreche aus Erfahrung.

Klar wollen wir Erweckung, denn wir singen ja “I see a near revival. It is stirring as we pray and seek. We’re on our knees, we’re on our knees” – vergessen aber, dass das alles seinen Preis hat. Oder um’s anders zu sagen: Wie sehr bist du denn auf den Knien und betest um Erweckung oder willst du einfach nur ein “geiles Ding” für (deine) Gemeinde?

Ehrich: Ich bin es so leid, immer wieder zu hören “Wie schön, wie cool, wie nice wäre eine Erweckung. Ich habe so Lust drauf!” – Aber dann sehe ich diese Person herzlich wenig dafür tun – und das erste, das wir tun können, ist: Still sein. Bei Jesus sein. Auf ihn hören.

Oh, ich vermute, dass dies nicht der letzte Artikel zu diesem Thema wird, aber im Folgenden will ich einen Aspekt herausgreifen, der für mich sehr zentral ist im Blick auf das, was Nachfolge bedeutet.

Schlimmer als gedacht

Im Neuen Testament wird uns eine Szene der beiden Schwestern Marta und Maria überliefert, die Besuch von Jesus bekommen (nachzulesen in Lukas 10,38-42). Marta ist eifrig dabei, das Haus auf Vordermann zu bringen, Jesus und seine Freunde zu bedienen und alles Mögliche und Unmögliche zu schaffen. Maria dagegen tut nur eines: sie sitzt zu Jesu Füßen und hört ihm zu.

Wir tun so, als ob die zu Jesu Füßen sitzende Maria und die umtriebig schaffende Marta zwei Arten von Glaubenstypen darstellen: Der Marta-Typ, der viel schafft, und macht und tut, der leidenschaftlich Dinge auf die Beine stellt und arbeitet ohne Ende. Auf der anderen Seite der Maria-Typ, der die Ruhe, die Stille, die Kontemplation, die Gegenwart Jesu genießt und ihm zuhört und viele Gebetszeiten hat.

Um es deutlich zu sagen: Wir vergessen, dass Jesus nur eine von beiden Arten als “gut” bezeichnet – nämlich die, die zu seinen Füßen sitzend auf den Meister, den Rabbi, hört – Maria. Über Marta hat er kein positives Urteil.

Ich lerne sehr viel aus den Büchern von John Mark Comer und ahne, dass wir (jetzt rede ich auch schon von “wir”) Nachfolge zu etwas Optionalem in Gemeinde gemacht haben. Nicht einmal nach dem Motto “Es ist ok, wenn du Jesus noch nicht so ganz nachfolgen kannst – sei einfach hier und fühl dich wohl”, denn das wäre noch verständlich.

Es ist schlimmer. Viel schlimmer!

Wir geben uns mit einem Leben zufrieden, das weit, weit unter dem liegt, was Jesus denen verspricht, die ihm nachfolgen: Leben in Fülle. (Johannes 10,10)

Je nachdem in welchem gemeindlichen Kontext wir uns befinden, reicht es schon aus, wenn wir die gut sichtbaren Praktiken ausüben, die man als Christ eben so tut: Gottesdienst besuchen, beten, in der Bibel lesen und spenden. Ist das nicht das, was Maria (im übertragenen Sinn) getan hat? Seien wir doch auch hier mal ehrlich: Nicht, dass das schon “das Ende der Fahnenstange” ist – diese vier geistlichen Übungen sind für mich die absoluten Basics:

Den Gottesdienst nicht als “wenn ich halt Lust habe, gehe ich hin”-Objekt zu sehen, sondern als die geistliche Gemeinschaft, die sich hier (ver-)sammelt und deswegen den Gottesdienst absichtlich regelmäßig zu besuchen, ist doch schon etwas, was nicht jeder “schafft”.

Wie sieht es dann mit dem Lesen in der Bibel und dem Beten aus? Ich sehe manche (dich vielleicht auch?) schon innerlich und äußerlich die Augen rollen: “Nicht schon wieder diese Leier.” Ok, von mir aus. Aber soll ich dir etwas sagen? Es ist erschreckend, wie wenig Christen beten und in der Bibel lesen. Aber wieso? Weil Nachfolge optional ist. Weil der äußere Schein und die angelernte Tradition die Oberhand gewonnen haben. Oder darf ich dich mal so direkt fragen: Ist das tägliche Lesen in der Bibel und die tägliche innige und einsame (weil du allein) Zeit mit Jesus fester Bestandteil deines Lebens in der Nachfolge?

Oder höre ich da etwa schon die Ausreden wie “Ich habe einfach keine Zeit” (ne klar, Netflix und YouTube müssen erst mal leergeguckt werden) oder “Ich bin halt nicht so der Lese-Typ” (ähm, Moment: Du liest gerade).

Oh glaube mir: Ich habe in meinen Jahren als Pfarrer schon so viele Ausreden gehört – und dabei wurde mein Gegenüber noch nicht mal rot (wie auch immer man das anstellt).

Sollen wir über’s “Geben aus Großzügigkeit” noch reden oder kapitulieren wir schon? Ok, wir kapitulieren.

Christentun statt Christentum?

CUT

Einatmen.

Ausatmen.

Ich habe bewusst und absichtlich überzeichnet und provokant geschrieben. Natürlich unterstelle ich dir nichts. Aber mein Wunsch ist, dass wir unseren Glauben, unser Christsein überdenken. Ich habe immer mehr den Eindruck, dass wir kein “Christentum”, sondern ein “Christentun” leben:

Dazu gehört, fromme Dinge zu tun – und manchmal ist sogar mein Herz dabei. Dazu gehört auch zu glauben, dass viele Programme und Konzepte wichtiger sind als Gebetstreffen. Manchmal ist es zwar mühsam, aber wir wahren unseren äußeren Schein. Dadurch machen wir aus dem Christentum mehr und mehr ein Christentun.

Anstatt unser Christsein ernst zu nehmen: Christ S-E-I-N. Vom Meister lernen. Zu Jesu Füßen sitzen wie Maria – denn das ist die Haltung eines demütig lernen wollenden Schülers und Nachfolgers.

Will ich damit sagen, dass Bibellesen, Beten, Gottesdienstbesuch und den Zehnten zu geben schlecht sind? Um mit Paulus zu sprechen: “Das sei ferne!” Aber soll ich dir was verraten? Das sind die Basics. Die absoluten B.A.S.I.C.S. und ich habe eine ganz schlimme Befürchtung. Das Christentum in Deutschland ist auch deswegen so kraftlos, weil diese vier geistlichen Grundübungen nicht gelebt werden.

Wie um alles in der Welt sollen dann “noch größere Dinge” geschehen, wenn wir nicht einmal im Kleinen treu sind? Wie sollen denn Gemeinden für eine Erweckung bereit sein? Sie sind kaum imstande, so viele Menschen auf ihrem geistlichen Weg zu begleiten?

Und das Verrückte: Das ist erst der Anfang. Wenn wir diese vier Übungen nicht routinemäßig tun, sondern sie aus tiefster Überzeugung leben, wird sich etwas ändern. In uns wird sich ein Lebensgefühl und eine Glaubensgewissheit einstellen, die nichts anderes möchte, als einfach nur von Jesus zu lernen.

Ich bin jetzt 46 Jahre alt (für’s Protokoll), schaue auf manches zurück und kann nur den Kopf schütteln. Über meine Fehler, mein Versagen, mein falsches Einschätzen und Priorisieren von dem, was wirklich wichtig ist in Gemeinde.

Viel zu oft und viel zu lange bin ich auch den “Hypes” gefolgt. Ob da Wortspiel “Bill Hypels” jetzt angebracht ist, weiß ich auch auch nicht, entscheide du selbst. Natürlich gibt es viele großartige Veranstaltungen, Kongresse, Prediger, Bücher, Podcasts und was weiß ich nicht noch alles.

Eine Frage der Prioritäten

Die Frage ist nur: Was kommt zuerst? Wo setzen wir Prioritäten? Und vielleicht merkst du an dieser Fragestellung, dass nicht um ein “Entweder – Oder” geht, sondern um die richtige Reihenfolge.

Keine Sorge: Ich hinterfrage nicht alles, nur ein bisschen. Ich werde auch weiterhin auf Kongresse und Konferenzen gehen und all die inspirierenden Dinge mitnehmen. Nur hat mich die Lektüre von “Leben vom Meister lernen” sehr inspiriert – und auch das Buch “Glaubensriesen – Seelenzwerge?” von Pete Scazzero. Dieses las ich direkt vor “Leben vom Meister lernen”. Interessanterweise nimmt Comer in einem Kapitel sehr, sehr viele Gedanken von Scazzero auf. Scheint also durchaus etwas miteinander zu tun zu haben.

Jakobus schreibt im Neuen Testament in seinem Brief:

Liebe Freunde, seid schnell bereit, zuzuhören, aber lasst euch Zeit, ehe ihr redet oder zornig werdet.Jakobus 1,9

Mit ihm möchte ich sagen:

Liebe Freude, seid schnell bereit, Zeit mit Jesus zu verbringen, auf ihn zu hören.

Seid schnell bereit

  • Dinge stehen und liegen zu lassen, um nah bei Jesus zu sein und zu hören, was er euch sagt.
  • in dieser hektischen und lauten Welt die Stille, die Zurückgezogenheit, die Einsamkeit täglich zu suchen, um in der Stille bei Jesus anzukommen.
  • auf das zu hören, was Jesus euch aufträgt und im Vertrauen auf ihn zu leben und nicht im Vertrauen auf irdische Sicherheiten.

Und lasst euch Zeit, wenn es um alles andere geht, denn das hat Zeit und kommt an zweiter Stelle.

Ich kehre zurück zur Eingangsfragestellung: Was würde geschehen, wenn Christen auf diese zerbrochene und oftmals so kranke Gesellschaft nicht mit Verachtung, sondern mit Liebe und Hingabe reagieren? Wie würde sich die Kultur und damit das Zusammenleben in Gemeinden ändern, wenn wir radikal von Jesus lernen? Wie würde es in Kirchen und Gemeinden aussehen, wenn wir Jesus nachfolgen und uns nicht einfach nur das zu Herzen nehmen, was wir ohnehin schon “ganz ok” finden?

Ich will nicht das Bild vom “Himmel auf Erden” bemühen, aber ich glaube dennoch, dass diese Beschreibung ganz nahe kommt. Jesus nannte es immer wieder das “Reich Gottes”. Als er auf Erden zu wirken begann, sagte er:

“Jetzt ist die Zeit gekommen”, verkündete Jesus. “Das Reich Gottes ist nahe! Kehrt euch ab von euren Sünden und glaubt an diese gute Botschaft!”Markus 1,15

Maria saß zu Jesu Füßen. Sie lernte von ihm. Sie hörte auf ihn. Sie verbrachte einfach Zeit mit ihm. Sie wusste, dass das Beste, was sie jetzt tun kann, das Lernen von Jesus ist.

Wenn wir das tun, geschieht eine Zurüstung. Eine Zurüstung, dass wir das “Reich Gottes” erleben und weitertragen. Zum Schluss die einfache Frage: Was verändert diese Welt mehr: Programme und Strukturen oder Nachfolger von Jesus, die bei ihm in die Lehre gehen und als Jünger in dieser Welt “Salt und Licht” sind?

Letztere kostet mehr – ist aber auch wesentlich nachhaltiger. Letzteres ist die Voraussetzung dafür, dass Gottes Reich auf der Erde wächst. Letzteres ist alternativlos. Alles andere rutscht an seinen Platz und dient uns, hilft uns, ermutigt uns – aber nichts ist so wichtig, wie von Jesus zu lernen.


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4 Kommentare

  1. Vielen Dank, lieber David, für den Artikel, der mir aus dem Herzen spricht. Das Thema berührt mich alleine schon deswegen da ich ein “lebendiges” Beispiel dafür bin: Vom Suchenden und Nichtgläubigen zum Christen und schließlich nach längerer Zeit erst zum Nachfolger/ Jünger Jesu “all in” durch einen liebenden Gott, der neues Leben schenkt, eine neue Kreatur erschafft und Dinge gerade rückt, dabei aber immer versorgt und nie zu spät kommt.

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