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Generation Gleichschritt

“Ich habe den Eindruck, dass ich nicht mehr alles sagen darf” ist so ein Satz, der in letzter Zeit immer lauter wird. Personen, die dafür verantwortlich sind, wiegeln natürlich ab. Das stimme nicht, jeder dürfe sagen, was er will.

Also gut. Dann schauen wir uns mal Fakten an.

Mai 2022. Deutschland. Das Meinungsforschungsinstitut INSA stellt die Frage: “Haben Sie manchmal das Gefühl, dass man bestimmte Aussagen nicht mehr tätigen kann, ohne dafür von anderen Menschen kritisiert oder verurteilt zu werden?”

70% antworten, dass sie manchmal das Gefühl haben, bestimmte Aussagen nicht mehr äußern zu dürfen, ohne dafür von anderen verurteilt zu werden. Nur 19% fühlen keine Einschränkung der Meinungsfreiheit.

Wie kann das sein? Wo ist sie hin, die vielbeschworene Toleranz in unserer Gesellschaft?

Genau damit beschäftigt sich Ralf Schuler in seinem Buch “Generation Gleichschritt. Wie das Mitlaufen zum Volkssport wurde“.

Um was geht’s?

Diese Frage zu beantworten geht am besten dann, wenn man die Geschichte des Autors zumindest in groben Zügen kennt. Ralf Schuler (Jahrgang 1965) hat schon in seinen Zeiten als Jugendlicher und junger Erwachsener in der DDR erfahren müssen, was es heißt, seine Meinung zu sagen. Auf Grund seiner nicht immer “staatskonformen” Meinung wurde ihm ein Studienplatz nach dem Abitur verwehrt. Später war Schuler Redakteur bei der Tageszeitung “Die Welt”, Politikchef bei der “Märkischen Allgemeinen Zeitung”, ab 2011 bei der BILD-Zeitung und leitete ab 2013 das Parlamentsbüro der BILD-Zeitung bis zu seinem dortigen Ende im Jahr 2022 und begleitete Bundeskanzlerin Angelika Merkel auf unzähligen Reisen.

Das ist insofern nicht unerheblich zu wissen, da es das Mindset und die Haltung von Ralf Schuler kontextualisiert in eine Biografie, die zeitlebens sich nicht anpasste sondern auch gegen die vorherrschende(n) Meinung(en) die je eigene Meinung zum Ausdruck brachte.

Schuler betrachtet in seinem Buch die Entwicklung der Gesellschaft in Deutschland im Blick auf Meinungsvielfalt, wie sie vor allem in der Öffentlichkeit durch Medien und Politik präsent ist – oder eben auch nicht.

Um es vorweg zu nehmen und auf den Punkt zu bringen – Schuler formuliert es schlicht und klar:

Eine Debatte, die nur aus einer Meinung besteht, ist keine.Generation Gleichschritt, S.133

Deswegen ist sein Buch eine Hinführung zu seiner Wahrnehmung (die ich voll und ganz teile), dass in unserer Gesellschaft heute es zu einem Gleichschritt zu kommen scheint (und teilweise schon gekommen ist), dass eben nur diese eine Meinung existieren dürfe.

In vier plus eins Teilen geht Schuler dem Ganzen auf den Grund:

1 Links, zwo, drei… Oder: Eine Bestandsaufnahme

2 Herdentrieb: Wie Konformität die Freiheit unterwandert

3 Der Preis der Meinungsfreiheit: Man kann alles sagen, aber…

4 Vom Jeder zum Ich… Oder: Wie man mentale Leitplanken aufbricht

5 Merkel-Jahre

Ich schreibe “vier plus eins” Teile deswegen, da das fünfte Kapitel “Merkel-Jahre” natürlich stark gefärbt ist durch die subjektive Sicht Schulers auf Angela Merkel und die Arbeit ihrer Regierung. Für mich war es nicht erheblich oder erhellend, was den “Volkssport Mitlaufen” betrifft, gleichzeitig bekommt der Leser Einblicke in das Wirken Angela Merkels, das sicherlich überraschend und besonders ist, da Schuler über Jahre sehr nah an Angela Merkel war.

Der Beitrag, der in diesem Kapitel für das gesamte Buch zu finden ist, liegt darin, dass in der Tat in den “Merkel-Jahren” diese Generation Gleichschritt ihren Anfang nahm. Wer jedoch die vier Kapitel zuvor aufmerksam gelesen hat, wird das auch schon festgestellt haben.

Freie Meinung – ja aber…

Diesen Gedanken hatte ich immer wieder beim Lesen des Buches und ich finde, dass Schuler genau das herausstellt und nicht polemisch behauptet: “Man darf nicht mehr seine Meinung sagen.” Das ist nicht das Problem – auch nicht bei der INSA-Umfrage, die ich eingangs zitierte und die im Buch im ersten Kapitel aufgegriffen wird.

Vielmehr geht es um die Folgen für diejenigen, die eine zum vorherrschenden Mainstream konträre Meinung haben. “Ist ja klar, dass jemand mit dieser Biografie so etwas schreibt” mag der ein oder andere denken.

Weit gefehlt! Die Vergleiche zur eigenen DDR-Vergangenheit halten sich stark in Grenzen. Vielmehr schafft es Schuler, sachlich und mit Fakten belegt zu benennen, dass freie Meinungsäußerung schön und gut ist – jedoch einen herben Dämpfer bekommt, wenn Konsequenzen folgen für diejenigen, die nicht das sagen, was die Meinungsmacher unserer Zeit hören wollen.

Schuler ist dabei nicht alleine. Im Buch kommen verschiedene Personen zu Wort. Beispielsweise Anna Schneider von der “WELT”, die folgendermaßen zitiert wird:

Wie frei kann man also sprechen, wenn man nicht nur mit Kritik (die im Meinungskampf naturgemäß auch hart sein kann), sondern mit sozialer Ächtung oder gesellschaftlichem Ausschluss zu rechnen hat? […] Wagt man es, seine nonkonformistische Meinung zu äußern, neigen vor allem die Angehörigen des politisch linken Spektrums dazu, gar nicht erst in der Sache zu argumentieren, sondern mit Totschlagschmähungen wie “rechts”, “Rechtsradikal” oder gar “Nazi” um sich zu wrfen.Generation Gleichschritt, S.146

Es ist dieser kleine aber wichtige Unterschied, den Schuler in seinem Buch immer wieder deutlich macht: Es geht nicht darum, nichts mehr sagen zu dürfen, sondern darum, was die Folgen sind, wenn man sich nicht der Meinung der politisch Linken anschließt. Soziale Ächtung kann ganz offensichtlich aber auch versteckt geschehen.

Ideologie des Kollektiven

Schuler zitiert in seinem Buch aber auch andere. So zum Beispiel Publizist und Autor Markus Günther. Dieser schreibt unter anderem sehr treffend:

Der Mensch, der in einer Masse aufgeht, wird manipulierbar, er büßt seine Kritikfähigkeit und sein Differenzierungsvermögen ein, bildet sich seine Meinung quasi automatisch durch “geistige Ansteckung” im Strom der Masse.”Generation Gleichschritt, S.153-154

Um dann zu der Schlussfolgerung zu kommen, die meines Erachtens auch Schuler teilt, wenn es darum geht, zu fragen, wie diese “Generation Gleichschritt” überhaupt entstehen konnte und was die große Gefahr darin ist:

Die verheerendsten Ideologien waren die Ideologien des Kollektivs.Generation Gleichschritt, S.154

Zugegeben: Das klingt ein bisschen gespenstisch und sehr pessimistisch – gleichzeitig hat dieser Gedanke seie Berechtigung und für Schuler liegt hierin der Grund, weshalb die momentane Entwicklung der Gesellschaft bzw. der Debattenkultur unserer Gesellschaft als äußerst kritisch zu bewerten ist.

“Generation Gleichschritt” ist ein enorm wertvolles Buch. Es liefert nämlich einen Beitrag zur momentanen Debatten- und Meinungskultur in unserer Gesellschaft, den man sonst kaum findet. Schuler beteiligt sich nicht an Verschwörungstheorien oder stellt krude Theorien auf. Vielmehr deckt er auf – und zwar schonungslos. Er deckt auf, dass in vielen Teilen unserer Gesellschaft und vor allem in den Medien die Meinung einer Minderheit der Mehrheit aufgezwängt wird. Bestes Beispiel ist hierfür die Frage nach der sogenannten “gendergerechten Sprache”. Die absolute Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen eine solche Sprache mit Sternchen oder Doppelpunkt im Wort – einige Meinungsmacher halten jedoch krampfhaft an ihr fest.

Insofern empfehle ich das Buch “Generation Gleichschritt”, weil es einen wichtigen Beitrag in unserer heutigen Debattenkultur liefert und so manche Augen öffnet.

📕 Seiten: 240

➡️ Verlag: Fontis

💶 Preis: 22,90 EUR


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