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Mehr als ein Zellhaufen

Ist es möglich, über das Reizthema Abtreibung so zu schreiben, dass zum einen die eigene Meinung klar und deutlich wird und zum anderen aber so viel Sachlichkeit herrscht, dass ein Buch nicht noch mehr Öl ins Feuer gießt, sondern zu einer konstruktiven Auseinandersetzung beiträgt?

Nachdem ich “Mehr als ein Zellhaufen” gelesen habe, kann ich aus tiefstem Herzen sagen: “Ja, das ist möglich!” Sabina Scherer hat es mit ihrem Buch geschafft, das nicht umsonst den Untertitel trägt “Wie wir konstruktiv über Abtreibung sprechen können”.

In der Einführung ihres Buches schreibt sie über dieses:

Das Entscheidende ist, dass wir überhaupt in den Diskurs gehen und unsere Standpunkte begründet, empathisch und respektvoll darlegen können. Dazu soll dieses Buch eine Hilfe sein.Mehr als ein Zellhaufen, S.17

Zugegeben: Es wäre eine ziemliche Katastrophe, wenn man nach der Lektüre des Buches konstatieren müsste, dass Sabina Scherer ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde. Aber ganz ehrlich: Ich erachte das oben erwähnte Zitat noch als Understatement. “Mehr als ein Zellhaufen” ist nicht nur eine “Hilfe”. In meinen Augen ist es eine ausgewogene und gleichzeitig pointierte Darlegung der vielen Dilemmata rund um das Thema “Abtreibung” bei einer zugleich klar eingenommenen “Pro Life”-Position. Dass diese jedoch außerhalb so mancher Schubladen daherkommt, macht dieses Buch nur noch empfehlenswerter, aber dazu später mehr. Zunächst müssen wir mal kurz die Frage klären: Wer ist Sabina Scherer, die Autorin von “Mehr als ein Zellhaufen”?

Wer schreibt hier eigentlich?

Sabina Scherer bezeichnet sich selbst als “Aktivistin” – und irgendwie habe ich noch selten zuvor bei diesem Wort eine so sympathische Frau vor meinem inneren Auge gesehen. Meist wird das Wort “Aktivistin” oder “aktivistisch” negativ konnotiert und vor unserem Augen ziehen Prototypen unseres Feindbildes empor. Vergiss das, wenn Sabina Scherer davon spricht, dass sie selbst “aktivistisch” ist. Sie ist es – und das schreibt sie in ihrem Buch auch -, weil sie eine Lücke füllen möchte, die meiner Meinung nach auch heute noch klafft: Die Lücke, dass man mit einem pointierten “Pro Life”-Standpunkt dennoch sachlich und ausgewogen zum Thema “Abtreibung” sich äußert – und das Ganze auch noch fundiert und mit einer ganzen Menge Ahnung – sozusagen das Gegenteil von dem, was heutige Diskussionen so oft kennzeichnet: “Ziemlich viel Meinung für reichlich wenig Ahnung.” Bei Sabina Scherer lautet das ganz klar: “Ziemlich viel Meinung mit richtig viel Ahnung”.

Sabina Scherer ist Psychologin und Mutter – und ich glaube, dass ihr das sehr zugute kommt, auch wenn es vielleicht unbewusst ist (das kann nur ein Eigentor werden, wenn ich im Blick auf eine Psychologin etwas Psychologisches schreibe), da man ihre empathische Art auf jeder einzelnen Seite herausliest – und das ist nicht übertrieben! Oben habe ich schon beschrieben, dass sie zwar “Pro Life” ist, aber alles andere als in klassische “Pro Life”-Schubladen passt. Ganz sicher liegt das daran, dass sie diesen “Pro Life”-Slogan ausweitet auf “Pro Woman, pro Child, pro Life”.

Ein letzter Hinweis auf Sabina Scherer: Vielleicht geht es dir wie mir, dass du im wahrsten Sinne schon von ihr gehört hast, bevor du von ihr gelesen hast. Sie betreibt den Podcast “Ein Zellhaufen spricht über Abtreibung”, den ich dir sehr ans Herz lege.

Ist das ein Argument oder kann das weg?

“Äh ja, ich glaube, vielleicht hast du recht, aber ich denke oder meine, das kann man vielleicht ja auch anders….oder nicht?” Wetten, dass du dich schon mal so gefühlt hast in einem Gespräch oder gar einer Auseinandersetzung über Abtreibung und – wenn du ehrlich zu dir selbst wärst – die Segel hättest streichen müssen, weil du entweder keine Ahnung (vom Thema) hattest oder nicht wusstest, wie du auf das (Schein-)Argument deines Gegenübers reagieren solltest?

Herzlich willkommen – hier wird dir geholfen. Der Großteil des Buches ist nämlich in der Art aufgebaut, dass Sabina Scherer die wichtigsten Argumente in der Abtreibungsdebatte als einzelne Kapitel sehr ausführlich aufführt und dabei ihren eigenen Standpunkt klar äußert sowie sachlich auf diese Argumente eingeht. Nicht jedes der Argumente ist ein Scheinargument, aber beim Lesen des Buches wirst du merken: Viele sind es. Aber Vorsicht: Jetzt geht es gerade nicht darum, dein Gegenüber in die Ecke zu stellen und mit dem Finger auf sie oder ihn zu zeigen, sondern auf einer sachlichen Ebene deinem Gegenüber zu begegnen. Das ist – wenn ich es richtig verstanden haben – das Anliegen von Sabina Scherer, wenn sie diese (Schein-)Argumente der Abtreibungsdebatte aufführt. Und ganz ehrlich: Wie oft geschieht es – vor allem in den “sozialen Medien” -, dass eben nicht sachlich, sondern hoch emotional und explosiv argumentiert wird und es – so hat es zumindest oftmals den Anschein – mehr darauf ankommt, das Gegenüber “fertig zu machen” als mit sachlichen Argumenten zu überzeugen. Sabina Scherer entscheidet sich klar und zu 100% für die zweite Option: Es geht um eine Versachlichung der Debatte.

An dieser Stelle nenne ich nur ein paar der Argumente, um die es geht, damit du schnell einen Eindruck davon bekommst, dass es wirklich die Aussagen sind, die immer und immer wieder auf den Tisch kommen: “Das ist ein Embryo, kein Mensch”, “Das ist noch kein richtiger Mensch”, “My body, my choice”, “Bevor das Kind nicht geliebt wird, ist es besser, es wird nie geboren”, “No uterus, no opinion”, “Was ist, wenn die Frau vergewaltigt wurde oder ihr Leben gefährdet ist?” oder “Abtreibung ist ein Menschenrecht”.

Am Ende eines jeden Kapitels gibt es eine Kurzzusammenfassung sowie – was ich einen besonders inspirierenden Gedanken finde – ein paar wörtliche Zitate, die man in einem Gespräch dem entsprechenden Argument entgegnen könnte.

Innerhalb dieser Kapitel schafft Sabina Scherer eines: Sie legt nicht einfach nur ihre Sicht der Dinge dar, sondern schafft es überzeugend, auch Argumente und valide Informationen der “Gegenseite” klar zu benennen. Das ist sachlich, das ist fair, das ist ein mäßigender Ton, den es in dieser Debatte braucht.

Dadurch, dass Scherer ihre eigene Meinung nicht zurückhält, sondern überzeugend darlegt, tut es ihrem Anliegen eben genau keinerlei Abbruch, auch die Gegenseite an einigen Stellen klar darzulegen.

Besonders gelungen ist dies im Kapitel 5 “My body, my choice”. Darin geht es um die Frage nach psychischen Folgen einer Abtreibung. Auch wenn es leicht aus dem Zusammenhang entnommen ist, spricht dieses Zitat für sich:

Welchen Gewinn bringt es, festzulegen, ob wir ein Konglomerat an Symptomen als Syndrom definieren oder nicht? Fest steht: Es gibt Frauen, die nach einer Abtreibung leiden. Fest steht auch: Nicht alle tun es.Mehr als ein Zellhaufen, S.111

Gleichzeitig konstatiert Scherer am Ende dieses Kapitels vollkommen zurecht:

Das Kleinreden und Rechtfertigen von Leiden nach Abtreibung ist das Gegenteil von Empowerment.Mehr als ein Zellhaufen, S.127

Klare Meinung – ohne Schublade

Wahrscheinlich geht es dir ähnlich wie mir: Man hat so seine “Schubladen” und Stereotypen, wenn es um das Thema Abtreibung geht – oder noch “schlimmer”: Wenn man die Begriffe “Pro Life” oder “Pro Choice” hört. Und nein, ich tu dir den Gefallen nicht, diese Stereotypen jetzt nachzuzeichnen – ich denke, du weißt sehr wohl, wovon ich spreche.

Was ich unglaublich wohltuend finde: Sabina Scherer passt in keine Schublade. Nein, sie ist nicht die typische “Pro Life”-Aktivistin, die mit einem Schild bei einer Demo auftaucht, auf dem irgendwas von “Abtreibung ist Mord” steht. Übrigens: Genau diesen Punkt greift Scherer auf fantastische Weise auf. Und noch einen Gedanken führt sie ins Feld, der mich vollkommen überzeugt, den ich zuvor jedoch nicht hatte und schon beim Lesen des Inhaltsverzeichnisses ein leichtes Stirnrunzeln nach sich zog: “Abtreibung ist Sünde. Warum wir den Glauben in der Diskussion gar nicht brauchen”. Das Ganze unter der großen Headline “What not to say. Weniger hilfreiche Argumente”. Mein erster Reflex: “Hä? Soll ich jetzt meinen Glauben leugnen? Ist es nun egal, wie ich als Christ zu dem Thema stehe?” Zwei mal nein! Und beide Einwände/Fragen meinerseits hat Scherer behutsam und liebevoll entkräftet, so dass ich – nicht nur an dieser Stelle – ein innerliches: “Ach so, ja stimmt. So habe ich das noch gar nicht gesehen” von mir gab.

Am besten zusammengefasst ist es im Buch wohl an dieser Stelle:

Wer die Notwendigkeit zum Schutz des ungeborenen Lebens biblisch begründet, kann nicht davon ausgehen, bei Menschen Anklang zu finden, die die Bibel nicht als Autorität akzeptieren. Warum sollten sie die Prinzipien eines Gottes achten, an den sie nicht glauben?Mehr als ein Zellhaufen, S.180f

Und dann gibt es in “Mehr als ein Zellhaufen” noch einen Themenbereich, der mich zugegebenermaßen ebenso die Stirn runzeln ließ, ich Sabina Scherer aber vollkommen verstehe und ihr dankbar bin, dass sie diese Gedanken geäußert hat und mir den Horizont geweitet hat. Es geht um das Kapitel 13: “Wie Feminismus mit Lebensschutz zusammenpasst und warum Pro Life auch immer Pro Woman heißt”. Wenn du – wie ich – dich in einer gewissen Bubble bewegst, dann kann alleine schon der Begriff “Feminismus” Gefühle und Assoziationen hervorrufen, wie es das “Grünkohlbratling” bei einem leidenschaftlichen BBQ-Liebhaber oder “Schalke 04” bei einem Dortmund-Fan tut.

Aber auch hier zeigt sich die leidenschaftliche und zugleich empathische Art von Sabina Scherer, über Themen zu sprechen, die in sich schon ein gewisses “Potenzial für emotionale Regungen” tragen. Ich glaube, dass dieses Kapitel mit dem oben bereits erwähnten Kapitel über psychische Folgen einer Abtreibung nicht umsonst das umfangreichste Kapitel ist. Man liest deutlich heraus, welches Herzensanliegen es Scherer ist. Für mich gesprochen kann ich nur sagen, dass ich ihre Gedanken zum Feminismus voll und ganz unterstreichen kann. Nicht nur, aber auch auf Grund dieser Aussage.

Es ist eine gemeinsame Forderung aller feministischen Strömungen, dass Männer sich ihrer Verantwortung diesbezüglich [gemeint ist die Verantwortung für oder gegen ein gemeinsam gezeugtes Kind; Anm. d. Verfassers] in vollem Umfang stellen sollten. Dennoch ist zu beobachten, dass das in der Realität nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Immer wieder benutzen Männer emotionale Erpressung, um Frauen zur Abtreibung zu drängen und lassen sie alleine, sollten sie sich anders entscheiden.Mehr als ein Zellhaufen, S.162

Im letzten Teil des Buches fragt Scherer “Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?” – und hier überzeugt mich voll und ganz, was sie unter der Headline schreibt “Schwangeren vor, während und nach dem Konflikt zur Seite stehen”. Das sind so konkrete Tipps und Ratschläge, die sich jeder zu Herzen nehmen sollte.

“Bereit für das nächste Gespräch?” fragt Sabina Scherer am Ende und gibt ganz konkrete Tipps für ein gelingendes Gespräch über Abtreibung. Das sind sehr wertvolle und sehr praktisch anwendbare Gedanken.

Fazit

“Mehr als ein Zellhaufen” ist mehr als nur eine Hilfe in der Kommunikation rund um das Thema Abtreibung. Es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Frau, für das Kind, für das Leben. Scherer schafft es auf absolut überzeugende Weise, ihren eigenen Standpunkt immer wieder deutlich zu machen, dabei sachlich und empathisch zu bleiben und die Gegenseite nicht in die Ecke zu drängen.

“Mehr als ein Zellhaufen” ist aber tatsächlich einen große Hilfe für alle, die sprachfähig(er) werden möchten, wenn sie sich im nächsten Gespräch zum Thema Abtreibung wiederfinden.

Last but not least ist “Mehr als ein Zellhaufen” deswegen ein großartiges Buch, da es zu einer “Kultur des Lebens” aufruft, nicht einfach nur Missstände anprangert. Scherer zeichnet immer wieder Bilder einer (gesellschaftlichen) Zukunft, in denen das Leben im Mittelpunkt steht – auch und gerade das noch nicht geborene Leben. Mit einem letzten Zitat will ich deutlich machen, warum diese Stimme gerade jetzt so wichtig ist im Blick auf das Recht des ungeborenen Menschen auf Leben:

Die Bestrebungen der aktuellen Regierung, die Rechtslage zu ändern, zeigen auf, dass diese Tatsache von höchster Stelle infrage gestellt wird. Deshalb ist die Fürsprache für die Ungeborenen heute wichtiger denn je.Mehr als ein Zellhaufen, S.191

Voller Überzeugung empfehle ich “Mehr als ein Zellhaufen” nicht nur denen, die mit dem Thema in irgendeiner Weise betroffen sind (auch wenn das schon mehr sind, als wir meinen) – sondern jedem, weil es schlicht und einfach ein grandioses Buch ist, das ein so wohltuendes Gegenstück in einer immer mehr misslingenden Debattenkultur ist, weil es nicht nur “richtig” oder “falsch” kennt, sondern auch Zwischentöne und es schafft, die eigene Meinung stark zu machen, ohne jemand anderen schwach erscheinen lassen zu müssen.

Sabina M. M. Scherer: Mehr als ein Zellhaufen

ISBN: 9783775162128 | Preis: 20,00 Euro

Verlag: SCM Hänssler (www.scm-shop.de/mehr-als-ein-zellhaufen.html)

Mehr zu Sabina Scherer findest du auf www.sabinascherer.de.


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