Manchmal geschieht es, dass Gott meine Predigtgedanken “umschmeißt”. So auch bei der aktuellen Predigt, die ich am Sonntag gehalten habe. Es geht um Elisabeth und Zacharias – in Lukas 1,5-25 wird davon berichtet, wie die beiden als “ganz frommes Ehepaar” (Zacharias war Priester) lange mit einem unerfüllten Kinderwunsch leben mussten. Eigentlich hatte ich vor, über ihre Sehnsüchte und Erwartungen an Gott zu predigen – das tat ich auch.
Jedoch schob sich ein anderer Gedanke ins Zentrum und ich würde mal ganz vermessen behaupten, dass es der Heilige Geist war, der mich in diese Richtung geschoben hatte. Denn: Zacharias verlor seine Sprache und wurde stumm von der Ankündigung des Wunders, dass er doch noch Vater werden wird, bis zur tatsächlichen Geburt seines Sohnes Johannes.
Und ich dachte mir: Zacharias, der arme Kerl, wurde mit Stummheit geschlagen – ich dagegen (und du auch übrigens) haben jedoch die Wahl, selbst zu verstummen und still zu werden vor Gott. Als ich über das Leben, die Geschichte, das Leiden und das Wunder im Blick auf Elisabeth und Zacharias nachdachte und was das mit “still werden vor Gott” zu tun hat, kamen mir folgende Gedanken – oder anders gesagt: Was geschieht eigentlich, wenn ich still werde vor Gott? Was schenkt mir Gott und wofür kann ich mich sogar bewusst entscheiden, so dass es einen positiven Einfluss auf mein Leben hat?
Ich lasse nicht alles auf mich einprasseln.
Bedenke immer: Du bist Gestalter deines Lebens – kein Opfer. Je nachdem, wie dein Alltag aussieht, welchen Beruf du ausübst, was dein Tagesablauf ist, mit welchen und wie vielen Menschen du dich umgibst, kannst du nicht alles bestimmen. Das ist klar. Jedoch kannst du selbst darüber entscheiden, ob du dich abends auf dem Sofa mit dem nächsten Netflix-Film/Serie abgibst oder ein gutes Buch liest. Du kannst selbst darüber entscheiden, ob du eine Stunde auf Social Media herumsurfst oder ob du eine Stunde mit deinem Schöpfer verbringst oder raus in die Natur gehst. Du kannst selbst darüber entscheiden, ob du eine Stunde irgendein Spiel zockst oder Zeit mit deiner Familie verbringst. Du entscheidest selbst darüber, auf welchen Seiten im Internet du surfst, welche Podcasts du dir anhörst und wenn du den Fernseher einschaltest, welches Programm du wählst.
Du entscheidest, wieviel Zerstreuung und Ablenkung du wählst, wie viel Qualitäts-Zeit du wählst, wie viel Stille du wählst.
Meine Anklagen gegen Gott verstummen.
Versteh mich nicht falsch: Gott anzuklagen ist erst einmal nicht verkehrt, solange du dich nicht über ihn erhebst und ihn auf die Anklagebank setzt. Du darfst, du sollst, du musst ihm alles entgegenwerfen, was dir schwer zu schaffen macht. Gleichzeitig wirst du erfahren, dass du die Stille vor Gott selbst füllen und definieren kannst. Du kannst beispielsweise auch einfach mal hören, aufmerksam und achtsam sein, was er – der Schöpfer des Universums – dir zu sagen hat und was er dir zuspricht. Du kannst hören und empfangen, dass “barmherzig, gnädig, geduldig und gütig” (nach Psalm 103,8) ist.
In diesem Momenten werden deine Anklagen deswegen verstummen, weil du selbst merkst: Es macht mehr Sinn, all das Gute, das Gott für dich bereithält, zu empfangen, als ihm immer und immer wieder all das Schlechte (oder zumindest von dir als schlecht Wahrgenommene) zu entgegnen.
Meine Menschenfurcht weicht zurück.
In der Stille vor Gott erkennst du, wer du wirklich bist: sein geliebtes Kind, für das er alles gegeben hat und das er segnen möchte. Ich bin davon überzeugt, dass Menschenfurcht eines der größten Übel ist, weshalb der christliche Glaube in unserer Gesellschaft so wenig Durchschlagskraft hat und weshalb Christsein so wenig ansteckend ist.
Im Getöse dieser Welt machen wir uns Gedanken darüber, was andere über uns denken. Wir überlegen gut, was wir sagen, was wir schreiben, wie und wo wir diskutieren, wo wir den Mund aufmachen – und wo lieber nicht, um ja niemandem auf den Schlips zu treten und um nicht als der “ewig Gestrige” dazustehen.
Wären wir davon überzeugt, dass der Herr aller Herren, der König aller Könige an unserer Seite ist und uns den Rücken stärkt, wäre uns nicht mehr wichtig, was andere über uns denken. Dazu benötigst du die Stille vor deinem Schöpfer, um zu empfangen, was du wirklich brauchst – und dann gestärkt zu sein für all das “Getöse dieser Welt”.
Mein Bad des Selbstmitleids fließt ab.
Ich weiß: Der Punkt ist heikel. Und da ich dich nicht kenne, wenn du das hier liest, will ich dir auch nicht zu nahe treten. Aber ich weiß es ja aus eigener Erfahrung: Wir Menschen sind manchmal ziemlich gut darin, in Selbstmitleid zu baden. Immer dann, wenn Dinge nicht so laufen, wie wir das gerne hätten. Und je nach dem, wie wir so gestrickt sind, weitet sich das dann aus in ein “Keiner mag mich. Niemand hat mich lieb. Alles ist schlecht.” Wem ist damit geholfen? Genau. Niemandem.
Wie reinigend ist dagegen die Zeit der Stille vor Gott. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle kurz “Stille” beschreiben. Ich meine damit gar nicht, dass du ins Kloster musst und Schweige-Exerzitien durchführen solltest. Es geht mir um ein bewusstes “Nein” zu all den Ablenkungen des Alltags und um ein bewusstes “Ja” zu “Quality Time” mit Gott. In dieser Zeit empfängst du – wie oben schon beschrieben – neu das Bewusstsein darüber, wer du bist – neudeutsch “deine Identität”. Und die ist sicher nicht, dass du im Selbstmitleid badest, sondern deinen Stand einnimmst und dem Vermächtnis, das Jesus allen seinen Nachfolgern hinterlassen hat, nämlich “Menschen zu Jüngern machen” (Matthäus 28,18-20), nachkommst.
Mein Frust über Gemeinde wandert in die Tonne.
Glaube mir: Auch als Pfarrer kann man Frust schieben über “seine” Gemeinde – nicht nur als Gemeindemitglied. Wir kämpfen also mit der gleichen Sache. In der Stille vor Gott entdecke ich neu den Schatz, den ich in “meiner” Gemeinde habe, ich sehe die Menschen, die Ressourcen, das bisher Erreichte und wertschätze es, weil ich den Blickwinkel Gottes einnehme.
Kleine Nebenbemerkung: Mit einer anderen Gemeinde “zu liebäugeln”, weil die eigene Gemeinde so schlecht ist, ist ähnlich sinnfrei wie eine Affäre einzugehen, wenn du in einer festen Partnerschaft bist. Woanders ist das Gras immer grüner – bis du Teil davon bist und entdeckst: Stimmt ja gar nicht.
In der Stille vor Gott empfange ich neu meine Berufung. Ich empfange und ich entscheide mich dafür, welchen Platz mir Gott in seiner/meiner Gemeinde zumisst. Ich muss nicht auf andere Gemeinden schielen, sondern erkenne, welchen Wert es hat, in der Gemeinde, in der ich bin, einen Unterschied zu machen, meine Gaben einzubringen und Menschen zu dienen.
Meine Enttäuschung über Menschen gebe ich ab.
Dieser und der folgende sind sicherlich etwas, das gar nicht so einfach ist, das auch ein Prozess sein kann (und muss). Gleichzeitig kenne ich keinen anderen Ort, als die Stille vor Gott, die bewusste Zeit mit Gott, der so heilsam ist im Blick auf Enttäuschungen und Schmerzen (siehe nächster Punkt).
Denn: Menschen können uns täuschen und wenn wir dahinter kommen, sind wir ent-täuscht. Ich halte jedoch nichts von der Aussage, dass eine Enttäuschung doch eigentlich gut sei, da dann der Täuschung ein Ende gesetzt ist. Das ist mir zu einfach und zu schnell über den Schmerz hinweggegangen, der mit Enttäuschung zu tun hat. Nimm nur mal als Beispiel eine Freundschaft. Du investierst über Jahre in eine Freundschaft, ihr erlebt tolle Zeiten gemeinsam, geht durch Höhen und Tiefen – und dann gibt es diesen einen Moment, diese eine Begebenheit, diese eine Handlung, die dich furchtbar enttäuscht sein lässt von deinem Gegenüber. Da kann mir doch keiner daherkommen und sagen “Siehst du, ist doch gut. So hat die Täuschung ein Ende.”
Inhaltlich mag ja was dran sein – aber Empathie geht anders. Wie gut aber ist es doch, wenn wir den Ort der Stille, den Ort des bewussten sich-Gott-Auslieferns haben, der mich nicht enttäuscht, weil es bei ihm kein Wechsel von “Licht und Finsternis” von “gut und böse” (vgl. Jakobus 1,17) gibt.
Hier kann ich meine Enttäuschungen rausschreien und Gott vor die Füße legen und hoffen, beten und warten (der schwierigste Part vom Ganzen), dass er meine Enttäuschung in etwas Gutes verwandelt, was mich zum letzten Gedanken führt.
Meinen Schmerz lasse ich los.
Tja. Das ist leichter gesagt als getan. Ich weiß. Aber ich möchte es dir mit einem Wort aus der Bibel verdeutlichen, in dem zwar nicht der Schmerz, aber die Sorgen vorkommen. Lies den Vers einmal und dann noch einmal und ersetze das Wort “Sorgen” durch “Schmerzen”.
Vor vielen Jahren habe ich eine Andacht zu diesem Bibelvers gehört. Sie muss mindestens 15 Jahre, vielleicht sogar schon 20 Jahre zurückliegen. Der die Andacht hielt sagte sinngemäß: “Das Wichtige beim Werfen ist das Loslassen.”
Das hat gesessen und ich weiß es bis heute. Deinen Schmerz loszulassen und auf Gott zu werfen ist die große Herausforderung, die nicht so ohne weiteres geht. Aber genauso wie bei der Enttäuschung ist die Stille vor Gott, das bewusste Wahrnehmen seiner Gegenwart und Heiligkeit, der einzige Ort, an dem ich meinen Schmerz loslassen kann – ohne wieder neuen Schmerz zu empfangen. Was meine ich damit?
Wenn du einen Schmerz (und damit meine ich nicht körperlichen, sondern seelischen und emotionalen Schmerz) empfindest und dich vor einem Menschen öffnest, ihm davon erzählst, den Schmerz sozusagen loslässt und auf diesen Menschen wirfst – und dann nicht das bekommst, was du brauchst, kann neuer und noch größerer Schmerz in dir entstehen. Das ist furchtbar.
Der einzige, der aus unserem Schmerz, den wir loslassen, weniger Schmerz macht, ist Gott. Wo wir loslassen, schenkt er Heilung, Befreiung und die Möglichkeit eines (behutsamen) Neuanfangs. Ich bin davon überzeugt:
Du merkst aus der Beschreibung der einzelnen Punkte: Bei manchem entscheide ich mich ganz bewusst – manch anderes wird mir geschenkt – und dann ist es auch wieder eine Mischung aus beidem.
Aber eines wird immer wahr sein und wahr bleiben – nämlich das, was Gott seinem geliebten Volk schon im Alten Testament (übrigens in einer Zeit der äußersten Not) verheißen hat:
Du kannst dir die gesamte Predigt hier anschauen – in dieser gehe ich auf die Punkte natürlich noch ausführlicher ein, als in diese Artikel.
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