„Du darfst über alles predigen – nur nicht über 20 Minuten!“ Haha. Ja. Ich weiß. Der ist nicht nur alt, der ist auch schlecht. Aber wie steht’s um die Predigt und das Predigthören?
Natürlich ist in erster Linie der Inhalt wichtig. Gar keine Frage. Fünf Minuten Nonsense können extrem lang wirken, während 45 Minuten Thriller einen so dermaßen catchen, dass man sich fragt: „Hä? Schon vorbei?“
Deswegen – dass das von Anfang an klar ist: Der Inhalt einer Predigt ist entscheidend – nicht die Dauer.
Dennoch möchte ich ein Plädoyer halten für längere Predigten. Damit meine ich Predigten, die länger als 30 oder sogar 45 Minuten gehen. Warum?
Hier sind meine 5 Gründe:
1 Bibeltexte sind keine Glückskekse

Einer guten Predigt liegen biblische Texte zugrunde und nicht das „Wünschdirwas“ des Predigers. Und ja, ich schreibe bewusst „biblische Texte“ und nicht nur ein einzelner Text, da in den seltensten Fällen eine gute Predigt sich nur um eine einzelne Textpassage dreht. Und das hat auch einen guten Grund: Bibeltexte sind keine Glückskekse!
Du kennst diese Dinger, die du in der Mitte durchbrichst, einen Zettel rausziehst und auf diesem stehen dann tiefe philosophische Aussagen wie „Mal verliert man, mal gewinnen die anderen“ oder „Das Glück, das du suchst, befindet sich in einem anderen Keks“. Wenn ich das nun einfach mal so hinnehme, beginne ich, einen Keks nach dem anderen zu futtern und am Ende ist mir garantiert schlecht: Entweder von der Menge an Keksen oder auf Grund der Unmenge an philosophischen Trivialitäten.
Biblische Texte sind anders. Biblische Texte sind keine aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, die wir einfach mal so als Richtigkeit von uns geben als Prediger. Biblische Texte sind von Gott inspirierte Texte, sie sind Gottes ewig gültiges Wort, spiegeln aber gleichzeitig auch Erfahrungen und Erlebnisse von Menschen mit Gott wider: Sei es ein Gebet wie Psalm 23 oder die Begegnung des zweifelnden Thomas mit dem Auferstandenen.
Wir werden diesen Texten nicht gerecht, wenn wir sie nur mal so kurz erwähnen und weiter springen zum nächsten Gedanken. Ich bin mir sicher: Biblische Texte benötigen Zeit, um sich zu entfalten, um tief einzudringen in das Herz der Zuhörer, um aufgefangen zu werden. Dann muss man den Text eben nochmals lesen, anders betonen, Zwischenbemerkungen. Glückskekssprüche ziehe ich aus dem Keks, lese sie, lach mich schlapp oder schüttel den Kopf und schmeiße sie weg. Mit Gottes Wort will ich anders umgehen – und das braucht Zeit.
2 Wer will schon den Heiligen Geist limitieren?

Wer kam eigentlich als erstes auf die Idee, den Heiligen Geist limitieren zu wollen? Was, wenn der Heilige Geist an diesem Sonntagmorgen es lieben würde, dass der Prediger sich eine Stunde lange in den biblischen Text eingräbt und die größten Gold Nuggets rauszieht für sich und die Zuhörer, die er nur finden kann? Was, wenn er nach 15 Minuten vielleicht erst einmal die Erde weggeschaufelt hat und die Schatzkiste zum Vorschein gekommen ist?
„Cut. Pause. Nächste Woche geht’s weiter!“ Das wäre mal ein großartiger Cliffhanger.
Ich habe den Eindruck, dass wir durch Ablaufpläne, deutsche Pünktlichkeit (die ich generell sehr schätze), technische Rahmenbedingungen („Nein, bitte nicht hier lang laufen, das ist schlecht für’s Bild!“) und das anstehende Mittagessen („Um 12 wird gegessen – ob gekocht ist oder nicht!“) den Heiligen Geist mehr limitieren als wir sollten.
So lustig die Beispiele klingen mögen – darf ich dich mal was fragen? Ach, egal, ich mach’s einfach:
Wie oft hast du den Heiligen Geist schon gefragt, wie lange du predigen sollst oder wie lange es jetzt gut wäre, dass die Predigt geht?
Und wie oft hast du dich von Ablaufplänen, Mittagessen (oder weiteren Verabredungen am Sonntagmittag), Bühnensetting und deutscher „Ich halte mich aber sehr bewusst an die Zeiten“-Haltung bestimmen lassen?
Nein, sag’s mir nicht. Ich befürchte, dass die Antwort sehr ernüchternd wäre.
….und falls du willst: Frag das doch mal deinen Pastor! (Aber sag ihm nicht, dass ich dich geschickt habe.)
3 Gottesdienstbesucher sind besser als ihr Ruf

„Aber die Leute haben doch nur noch die Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs!“
Echt? Warum gibt es dann YouTube-Videos & Podcasts, die teilweise noch viel länger sind – und nein, nicht alle werden häppchenweise angeschaut oder angehört.
Ich glaube, dass Gottesdienstbesucher weit besser sind als ihr Ruf. Ich glaube, dass Menschen auch heute noch locker mehr als 15-20 Minuten zuhören können, wenn es entsprechend präsentiert ist.
Klar – wenn ich so predige, als ob ich über das Paarungsverhalten des niederasiatischen Tiefseegrottenolms referiere, schläft mir die halbe Mannschaft schon nach fünf Minuten ein. Dann können auch 15 Minuten quälend lang werden. Glaub mir! (Auch wenn ich das mit den Olmen mal weiter verfolgen sollte.)
Aber wie um alles in der Welt kann jemand einschlafen oder sagen, dass es ihm zu lange geht, wenn vom Leben spendenden Wort Gottes in leidenschaftlicher, ja feuriger Weise gepredigt und nicht langweilig referiert wird?
Ich bin mir sehr sicher und ich weiß es aus (eigener) Erfahrung: Der homo praedicatio audiensis ist wesentlich aufnahmefähiger, als du glaubst. Denn einen Fehler dürfen wir nicht machen: So tun, als ob wir einfach mal irgendwelche Untersuchungen über das Hörverhalten eines Vortrags über eine Predigt legen. Denn ganz nach Heinrich Bullingers „praedicatio verbi dei est verbum dei“ („Die Predigt von Gottes Wort ist Gottes Wort“) gelten nun mal im Reich Gottes auch (!) andere Spielregeln als in der Welt.
Klar sollte man psychologische und wissenschaftliche Erkenntnisse nicht außer Acht lassen. Deswegen sollte zu einer guten Predigt auch eine rhetorische Grundfertigkeit gehören. Und dennoch sprach Gott auch schon mal durch einen Esel (4. Mose 22) – also kann er es erst recht durch (lange) Predigten.
4 Leiten durch Predigen

Für mich ein ganz, ganz wichtiger Punkt! Und gleichzeitig ist er brandgefährlich.
Ich bin davon überzeugt, dass ein guter Pastor durch seinen Predigten auch leitet – wann hat er denn sonst „die gesamte Gemeinde im Haus“? Er legt also nicht nur Gottes Wort aus und spricht Wahrheit in das Leben und über das Leben der Zuhörer aus, sondern er leitet und führt die Gemeinde durch das, was er in der Predigt sagt, auch auf dem Weg, den er für den richtigen Weg hält.
Aber Vorsicht! Ganz schnell passiert es, dass Pastoren die Predigt missbrauchen, um nicht einen Bibeltext auszulegen, sondern nur ihre persönlichen Gedanken weiterzugeben nach dem Motto: „Ich trau mich nicht, das den Menschen persönlich zu sagen – also mache ich das in der Predigt. Das geht schneller und ist einfacher – denn dann muss ich nicht mit all denen reden, die ich eigentlich meine.“ No Go!
Leiten durch Predigen geschieht nicht erst bei der Predigt selbst, sondern viel, viel früher – nämlich dann, wenn die Predigtreihen geplant und vorbereitet werden. In diesem Prozess, wenn Predigtreihen konzipiert werden, ist eine der wichtigsten Fragen: „Was will Gott der Gemeinde durch diese Predigtreihe sagen?“ Und dazu gehört immer auch eine Art „Bestandsaufnahme“ über den geistlichen Zustand der Gemeinde.
Unter der Leitung des Heiligen Geistes entstehen dann Predigtreihen und die Themen der einzelnen Predigten. Übrigens ist das mit ein Grund dafür, dass eine Predigt niemals (hörst du? NIEMALS) am Samstag-Abend mal kurz „runtergeschrieben“ werden kann. Also klar, doch – du „kannst“ das machen, sicher. Aber ich bin zu 100% überzeugt, dass du Potenzial verschleuderst und es eine geistliche Verantwortungslosigkeit ist.
Und ja, ich kenne die Ausreden der Kollegenschaft auch: „Aber es war doch so viel los in der Woche!“ Hm. Ja. Genau. So wie bei mir auch und wie übrigens sehr wahrscheinlich auch bei deinem Hausarzt, bei dem du aber dennoch darauf bestehst, dass er gute Arbeit leistet. Und wie willst du dein homiletisches (die Predigt betreffend) Leitungsmandat als Pastor wahrnehmen, wenn deine Predigtvorbereitung nicht den Raum hat, die sie haben muss?
Predigen heißt, die Gemeinde geistlich zu leiten. Das geht nicht mit kurzen Predigten, da nicht die nötige Zeit da ist, um Gedanken zu entfalten.
5 Predigen ist ein geistliches Geschehen

Wann ist eine Predigt fertig? Nie!
Nach 20 Jahren „im Geschäft“ merke ich eines: Eine Predigt ist niemals fertig. Nicht einmal dann, wenn du sie beendet hast – denn sie soll ja weiterwirken in den Zuhörern. Und wie oft kommt es vor, dass ich sonntags teilweise Dinge predige, die ich in der Vorbereitung so nicht auf dem Schirm hatte. Natürlich nicht die „main topics“, aber doch immer wieder Teile einer Predigt.
Ich bin davon überzeugt: Wenn du ihm Raum lässt und offen dafür bist, wird der Heilige Geist auch in der Predigt noch handeln – und zwar nicht nur am Zuhörer, sondern auch an dem, der predigt – und damit die Predigt vom Manuskript (sofern man eines hat) nicht wegführen, aber doch das ein oder andere ergänzen.
Alleine deswegen kann und will ich die Predigt nicht unnötig kurz halten. Wer bin ich, dass ich dem Heiligen Geist vorschreiben dürfe, wie viel Zeit er bekommt? Und ja, ich weiß: Das gilt in beide Richtungen, was die Predigtlänge betrifft – und gleichzeitig kann der Heilige Geist in einer kurzen Predigt genauso wirken wie in einer langen Predigt – er ist souverän.
Mir geht’s drum (ähnlich wie oben schon anklingen lassen), dass wir den Heiligen Geist nicht in menschliche Raster einsperren. Predigen ist vielmehr als einfach nur ein paar nette Dinge zu sagen. In der Predigt wirkt (hoffentlich) der Heilige Geist. Wo in deinem Leben wirkt er denn sonst auch so „zackig“? Ich vermute mal, dass das eher selten der Fall ist.
Ein geistliches Geschehen muss geschehen, sich ereignen, sich anbahnen und vollendet werden. Wie gesagt: Der Heilige Geist bleibt souverän und ob kurz oder lang – das ist ihm egal und für ihn nicht entscheidend. Ich will ihn ja auch nicht anderweitig limitieren und sagen, er könne „nur“ in langen Predigten wirken. Nein. Sicher nicht.
Und doch bin ich überzeugt davon, dass Predigt mehr sein muss wie eine „One-Click-Bestellung“ bei Amazon – auch wenn wir in unserer schnelllebigen Zeit das gerne so hätten. Gott ist anders! Immerhin hält er es auch schon einige tausend Jahre mit dem Menschen aus.
So viel für’s Erste. Ich habe vieles einfach nur kurz angerissen, skizziert und erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Einige Gedanken mögen dich inspirieren – das würde ich freuen. Und – du darfst gerne der Meinung sein, dass auch kurze Predigten gut sind, keine Frage. Am Ende ist immer noch der Inhalt entscheidend. Denn gemessen daran, sind manche 15-Minuten-Predigten schon 15 Minuten zu lang – und manch lange Predigten von 45 Minuten eine unnötig verspielte Fußball-Halbzeit.

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