Du willst wissen, was die frühen Christen und die Christenheit heutzutage gemeinsam haben – bzw. gemeinsam haben sollten?
Erstaunlich! Diese Beschreibung passt sowohl für frühe Christen als auch für Christen unserer Zeit – wohlgemerkt noch viel mehr in Ländern dieser Erde, in denen Christen verfolgt werden, als in Deutschland, wo vielerorts ein recht weichgespülter und der Gesellschaft angepasster christlicher Glaube (wenn man ihn überhaupt noch so nennen kann) vorzufinden ist.
Historisches Christentum als wahres Christentum
Und damit sind wir mittendrin im Buch „Faszination frühe Christen und ihre Strahlkraft für unsere Zeit“ von Professor Dr. Roland Werner.
Zugegeben: Ich lese dieses Buch weder objektiv noch leidenschaftslos. Letzteres, weil mich die frühen Christen (Roland Werner grenzt diese auf ca. die ersten drei Jahrhunderte nach Christus ein) schon während meines Theologiestudiums wie keine andere Epoche der Kirchengeschichte interessierten (ja genau, nicht einmal die Reformation fand ich so spannend). Und objektiv kann ich gar nicht sein, da ich die Beiträge von Roland Werner in schriftlicher Form sowie vor allem auch in seinen Vorträgen (bspw. auf dem YouTube-Kanal glaubendenken) grandios finde, denn sie sind historisch fundiert, sachlich korrekt, humorvoll und ansprechend vorgetragen sowie höchst relevant für Glaube, Kirche und Christsein im 21. Jahrhundert.
Dieser Disclaimer musste sein, denn im Folgenden darfst du keine Literaturkritik und ausgewogene Rezension erwarten, sondern etwas ganz anderes: Austiefstem Herzen die Empfehlung, „Faszination frühe Christen“ zu lesen!
Im Anschluss an das oben erwähnte Zitat nehme ich gleich vorweg, worin die Strahlkraft der frühen Christen für unseren heutigen Glauben liegt und werde dir dann eine Übersicht geben, was dich in dem Buch erwartet.
Wir leben in einer Zeit, in der selbst in ehemals biblisch orientierten und geistlich stark fundierten Gemeinden der Glaube erodiert wird. Glaubensgrundsätze werden nicht einfach über Bord geworfen (das wäre zu einfach), aber dekonstruiert – und nicht wieder rekonstruiert. Dass Jesus leibhaftig auferstanden und zuvor stellevertretend für die Schuld der Menschen gestorben ist, wird immer mehr hinterfragt und abgelehnt wie auch die Exklusivität des Heils in Jesus Christus sowie die bindenden Worte der Bibel im ethischen Bereich.
Dabei muss man sich die Frage stellen: Ist alles christlich, was sich selbst christlich bezeichnet? Ist alles biblisch, was sich biblisch bezeichnet? Wo finden wir Richtschnur und Deutungshoheit? Genau hier liefert „Faszination frühe Christen“ Beitrag, der gar nicht hoch genug bemessen werden kann, weil dieses Buch deutlich macht: In den ersten drei Jahrhunderten nach Christus hat sich in Glaube, Theologie und praktischem Gemeindevollzug genau das herauskristallisiert, was den christlichen Glauben ausmacht.
Oder eben anders gesagt: Ob etwas „christlich“ oder „biblisch“ ist, muss sich daran messen lassen, ob es auch in den ersten Jahrhunderten der Christenheit gelehrt, geglaubt und gelebt wurde.
Acht mal Faszination und Fokus
Das Buch ist aufgeteilt in drei Teile.
Zunächst befasst sich Roland Werner grundsätzlich mit den ersten Christen und mit der Frage nach historisch zuverlässigen Quellen anhand literarischer und archäologischer Zeugnisse. Das ist insofern wichtig und hilfreich, da das Argument der Unzuverlässigkeit der Überlieferung des christlichen Glaubens nicht nur in schlechten YouTube-Videos sondern immer wieder auch im persönlichen Gespräch zu hören ist. Hier nicht mehr verlegen das Thema wechseln zu müssen, sondern profund erwidern zu können, dass die Quellenlage rund um den christlichen Glauben eine hervorragende ist, sollte jedem interessierten Leser einiges an die Hand geben für die nächsten – hoffentlich fruchtbaren – Gespräche über den christlichen Glauben.
Teil 2 handelt von acht Faszinationen (mit jeweiligem Fokus) und Teil 3 von acht Folgerungen für unsere heutige Zeit.
Durch die Faszinationen und den jeweiligen Fokus (gleich mehr dazu) bekommt der Leser Einblick in das Leben der Christen in den ersten Jahrhunderten:
- Wie haben sie geglaubt?
- Wie haben sie miteinander kommuniziert?
- Welche übergemeindlichen Themen und Interaktionen gab es?
- Wie war ihr gesellschaftlicher Stand und Ansehen?
- Welche Themen waren für ihren Glauben und ihre Lebensgestaltung wichtig?
- Welche ethischen Themen bewegte sie damals, die auch heute noch Christen bewegen?
- Welche theologischen Spannungen und Auseinandersetzungen gab es (die es auch heute noch gibt)?

Diese acht Faszinationen sind Grundbegriffe der (altkirchlichen) Theologie: Euangelion (Die Kraft der Botschaft), Koinonia (Die Kraft der Gemeinschaft), Metanoia (Die Kraft der Umkehr), Didache (Die Kraft der Orientierung), Apologia (Die Kraft der Wahrheit), Martyria (Die Kraft des Zeugnisses), Diakonia (Die Kraft der Barmherzigkeit) und Basileia (Die Kraft der Hoffnung)
Diese Grundbegriffe werden nun aber nicht (nur) systematisch-theologisch entfaltet, sondern sie werden – und glaub mir: Da sind regelrechte Schmankerl dabei – anhand von ganz konkreten Personen dieser ersten Christenheit deutlich gemacht. Dabei geht es um Menschen wie Perpetua und Felicitas (ca. 181-203), die Märtyrerinnen waren, um Papias von Hierapolis (ca. 60-130), um Maria, Johanna und andere Frauen der ersten Christen, um Clemens von Rom (ca. 50-97/101), um Irenäus von Lyon (ca. 130-200) oder um Polykarp von Smyrna (69-155), der einen so beeindruckenden Lebenswandel und vor allem ein so beeindruckendes Lebensende hatte.
Die Kapitel der acht Faszinationen enden mit eben einer dieser Personen im Fokus. So wird bspw. das Thema in Kapitel 5 „Apologia: Die Kraft der Wahrheit“ am Ende des Kapitels konkret an Irenäus von Lyon entfaltet.
Ich halte diese Art und Weise der Auseinandersetzung mit dem, was die ersten Christen bewegte, für großartig geglückt. Denn so bekommt man nicht nur einen allgemeinen Überblick über die Themen, sondern anhand konkreter Personen wird deutlich, was das im Leben der ersten Christen bedeutete. Mal geht es um Briefwechsel oder Verkündigungstätigkeiten der Personen, mal sind es mehr biografische Notizen über dieser Personen.
Insofern: Richtig abwechslungsreich zu lesen.
Folgerungen für unsere Zeit
Das ist der dritte und letzte Teil von „Faszination frühe Christen“.
Um ganz im kirchengeschichtlichen Jargon zu bleiben, folgen auf die acht griechischen Begriffe (s.o.) acht lateinische Begriffe (die zweite große Sprache der Kirchengeschichte), die acht Folgerungen für unsere Zeit heute verdeutlichen – oder mit dem Untertitel des Buches gesprochen: Acht Folgerungen, welche die Strahlkraft der frühen Christen für uns heute deutlich machen:
- Veritas: Überzeugtsein von der Wahrheit des Evangeliums
- Communitas: Leben in ganzheitlicher Gemeinschaft
- Identitas: Kraft ziehen aus der Verwurzelung in Jesus Christus
- Caritas: Aus Liebe füreinander einstehen
- Sanctitas: Leben in heiliger Eindeutigkeit
- Auctoritas: Die wirksame Kraft des Heiligen Geistes entdecken
- Testimonium: Jesus in der Welt bekennen
- Aeternitas: Leben unter dem Horizont der kommenden Gottesherrschaft
Diese acht Folgerungen sind nur sehr kurz mit jeweils ein paar Sätzen ausgeführt. Manch einer mag das als „zu wenig“ erachten – ich dagegen würde sagen: „Super. Und jetzt bitte selbständig weiterdenken und leben, was hier gefolgert wird.“
Denn es wäre viel zu einfach, wenn wir „Faszination frühe Christen“ auf den Tisch legen, aufschlagen, lesen und dann meinen: Jetzt haben wir’s! Da ist das Patentrezept für ein ansteckendes und biblisch fundiertes Christsein im 21. Jahrhundert.
Wobei. Ich glaube, dass wir gar nicht so weit davon entfernt sind, wenn wir das Buch uns wirklich zu Herzen nehmen. Ich möchte bei den Folgerungen nur auf zwei eingehen mit jeweils einem Zitat.
So schreibt Roland Werner unter „Veritas: Überzeugtsein von der Wahrheit des Evangeliums“ folgendermaßen:
Ich kann ihm nur zustimmen! Es ist meine persönliche Meinung, aber ich sehe die inneren Angriffe auf das biblisch-historische Christentum hauptsächlich von Seiten der liberalen sowie der progressiven Theologie. Wenn ich nun schaue, was die jeweiligen Ausgangslagen sind, so kann ich von „liberaler Theologie“ (die ich zu Genüge studiert habe und mich ihr als landeskirchlicher Pfarrer immer und immer wieder ausgesetzt sehe) sagen, dass sie zwar verantwortungsbewusst ist, denn ich nehme keinen noch so liberalen Theologen, der es wirklich ernst meint, als verantwortungslos wahr – aber leider kann ich nicht von „guter, biblischer Lehre“ im Blick auf liberale Theologie sprechen.
Progressive Theologie (im Sinne einer dekonstruierenden post-evangelikalen Theologie) nehme ich oftmals in Kontexten wahr, in denen die Theologen oder aber auch Gemeindeglieder sinngemäß sagen: „Bei uns in der Gemeinde durfte man keine Fragen stellen! Wehe, du hast gezweifelt.“ Wie schlimm! Und genau das ist doch, was Roland Werner folgert: „offener, ehrlicher Austausch“. Ja, der fehlt leider in vielen Gemeinden.
Diesen beiden theologischen Strömungen auf eine gerechte Weise zu begegnen und Räume für gute, biblische Lehre sowie einen offenen und ehrlichen Austausch zu schaffen, sind mehr denn je nötig – aber eben auch ein gutes Stück Arbeit! Und deswegen liegt uns mit „Faszination frühe Christen“ nicht die Patentlösung vor – aber immerhin mehr als nur eine „Richtung, in die wir gehen könnten“, denn ich meine: Wir sollten den Folgerungen, die Roland Werner benennt, nicht nur Aufmerksamkeit und Glauben schenken, sondern sie praktisch werden lassen.
Übrigens ebenso bei der zweiten Folgerung, die ich exemplarisch benennen möchte: „Auctoritas. Die wirksame Kraft des Heiligen Geistes entdecken“, wozu Roland Werner Folgendes schreibt:
Ich erlebe das in meiner Landeskirche momentan mehr denn je – und by the way: Vor diesen Prozessen stehen momentan alle Landeskirchen, lediglich die Namensgebung ist eine andere.
Kirche soll neu strukturiert und transformiert werden, die Ortsgemeinden werden mal mehr mal weniger aufgelöst und ausgehöhlt, stattdessen entstehen Kooperationsräume von verschiedenen Gemeinden und am Ende dieses Veränderungsprozesses sieht die Kirchenleitung am allerliebsten die Fusion mehrerer Kirchengemeinden zu einer großen Kirchengemeinde, so dass der Kooperationsraum aus einer Kirchengemeinde besteht – ähnlich wie in der katholischen Kirche die „Seelsorgeeinheit“.
Im Detail möchte ich darauf nicht eingehen, da das den Rahmen sprengen würde. Aber sowohl wenn man diesen Weg mitgehen möchte, als auch wenn man aus guten Gründen andere Wege als besser erachtet: Aus menschlicher Kraft ist das alle nicht zu bewerkstelligen. Wir benötigen mehr denn je die volle Erfüllung und Bevollmächtigung, wie Roland Werner es schreibt, um überhaupt als Kirche noch Relevanz zu besitzen in einer Gesellschaft, die auf eine neue Erweckung zugeht, weil der Traditionsabbruch viel zu groß geworden ist. Uns steht ein neues Pfingsten bevor. Die Frage ist nur, ob wir den Motor von Pfingsten, den Heiligen Geist, nun mal endlich ans Ruder lassen oder weiterhin uns nach menschlichen Kräften bemühen, irgendwie noch „zeitgemäß“ und „modern“ zu sein als Kirche (was übrigens Kirche nie so wirklich war, sondern eher konterkulturell und ihrer Zeit voraus – aber auch dazu empfehle ich dir das hier besprochene Buch zu lesen).
Das war jetzt nur ein winzig kleiner Einblick – die Herausforderungen sind ja noch viel, viel größer.
Fazit
„Faszination frühe Christen“ liefert einen authentischen Blick in das Leben und in den Glauben der Christen in den ersten Jahrhunderten. Man erfährt nicht nur, was theologische Schwerpunkte und konkrete Ausdrucksweisen waren, sondern auch, was für den christlichen Glauben im 21. Jahrhundert höchst relevant ist. Gerade die immer wieder im Buch erwähnte Konter-Kulturalität der ersten Christen macht deutlich, welch immensen Gewinn die Lektüre dieses Buches für das persönliche aber vor allem auch das gemeindliche Glaubensleben heute hat.
Ich empfehle dieses Buch jedem, der sich mit den Wurzeln des christlichen Glaubens in den ersten Jahrhunderten vertraut machen möchte, der Original-Zitate (davon gibt es jede Menge und nicht nur häppchen, sondern oftmals auch abschnittsweise) aus dieser Zeit lesen und damit authentische Zeugen zu Wort kommen lassen will und der sich dafür interessiert, wie eine gute Theologie auch heute noch auf dem historischen Christentum beruhen kann.
Roland Werner: Faszination frühe Christen
ISBN: 9783038482956
Seiten: 288
Preis: 19,90 Euro
Verlag: Fontis Verlag (www.fontis-shop.de/products/faszination-fruhe-christen)
Wenn du neben dem Buch auch noch ein bisschen Video-Input möchtest: Auf dem schon erwähnten YouTube-Kanal „glaubendenken“ hat Roland Werner eine vierteilige Reihe „Fenster in die frühe Kirche“ veröffentlicht.
Prädikat: Absolut sehenswert!

Noch mehr inspirierenden Content bekommst du in meinem Podcast „Einfach glauben“. In einer immer komplexer werdenden Welt, helfe ich dir genau dabei: einfach glauben!
In diesem Podcast bekommst du Anregungen und Inspiration wie „einfach glauben“ mitten im 21. Jahrhundert, mitten im Alltag, mitten in deinem Leben geht.
Meinen Podcast „Einfach glauben“ findest du auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Anklicken, anhören, abonnieren.
Apple Podcasts | Deezer | Spotify | www.david-brunner.de/podcast/
































