Gestern also ist sie gestartet. Die Predigtreihe “Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitergehen.” in unserer Gemeinde (www.wutachblick.de). Der Titel ist geklaut, ja. Aber wir saßen nicht da, hatten den Titel und uns dann überlegt, was wir wohl predigen könnten. Es war andersrum.
Uns ging es im Programming Team, in dem die Predigtreihen angedacht und konzipiert werden, um ein anderes großes Thema: Identität. Dieses Thema war die letzten Wochen und Monate omnipräsent und ich hatte den Eindruck, dass wir darüber mal “richtig” predigen sollten und nicht nur immer mal wieder was “einfließen lassen”.
Irgendwann im Meeting kam einem Mitarbeiter dann die Idee, die Predigtreihe so zu nennen. Und wir hätten es nicht besser wählen können für das, was uns geistlich auf dem Herzen liegt – und mir mit diesem Artikel. Identität. Ein großes Wort – was steckt dahinter?
Wer bin ich eigentlich?
Diese Frage ist so simpel und gleichzeitig so kompliziert. Was mir auffällt: Immer mehr Menschen laufen nur als Kopie durch die Gegend. Provokant – ich weiß. Aber gerade wenn ich in die Gemeinde-Landschaft in Deutschland schaue, bekomme ich diesen Eindruck. Man nimmt sich Vorbilder und “kopiert” diese. Es wird vieles versucht, 1:1 umzusetzen: Von den Predigtreihen und Layouts der Homepages, über die Worshipsongs und sogar die Arrangements der Songs bis hin zu den Posts auf Instagram und Co.
Das ist nicht Identität – das ist Kopie. In der ganzen Hochglanzgesellschaft der so genannten “sozialen” Netzwerke vermisse ich eines: das Hinfallen! Zugeben, eingestehen, deutlich machen: Das Leben ist nicht nur hip und Hochglanz – das Leben ist mitunter so richtig besch…
Und das können wir nur akzeptieren, wenn wir lernen, dass unsere Identität nicht in uns selbst gründet, sondern wir bekommen sie zugesprochen. In keinem anderen Wort oder Zitat kommt das so schön zum Ausdruck, wie in Hans-Joachim Ecksteins Abwandlung des descarteschen “Cogito, erg sum” (Ich denke, also bin ich) wenn er sagt:
Ich bin – weil Gott mich liebt, weil er mich gewollt hat und erschaffen hat. Diese Wahrheit ist so einfach zu merken, dass sie scheinbar umso schwieriger ist, im Alltag zu befolgen und sie zu leben.
Zum Ausdruck kommt das für mich auf ganz besondere Weise in Psalm 139. Worte, die König David betet, die für jeden einzelnen Menschen wahr sind.
Schon als ich im Verborgenen Gestalt annahm, unsichtbar noch, kunstvoll gebildet im Leib meiner Mutter, da war ich dir dennoch nicht verborgen. Als ich gerade erst entstand, hast du mich schon gesehen. Alle Tage meines Lebens hast du in dein Buch geschrieben – noch bevor einer von ihnen begann! Psalm 139, 13-16
Wow! Das muss man sich schon mal ein wenig auf der Zunge zergehen lassen. Und in der Theorie ist das auch alles superschön. Der Haken kommt dann, wenn wir morgens aufwachen und unser Tag beginnt, wir also über unser Leben mehr und mehr selbst entscheiden als wir das im Schlaf tun. Dann ist alles plötzlich nicht mehr ganz so easy. Dann merken wir: Ich muss nicht mit dem linken Fuß zuerst aufgestanden sein, um an diesem Tag einige Male hinzufallen.
Hinfallen ist das neue “Normal”
Es kann gut sein, dass ich jetzt einige Leser verliere. Aber das nehme ich gerne in Kauf. Denn ich will eines vorweg sagen:
Das Evangelium ist keine “Alles wird gut”-Utopie sondern eine “Hinfallen ist normal”-Realität.
Nicht alle Gebete werden erhört, wie wir es wünschen.
Nicht alle Krankheiten werden geheilt.
Menschen werden sterben.
Meine Finanzen werden nicht zwingend durch die Decke gehen.
Die Beziehungen, in denen ich stecke, sind nicht alle heilvoll.
Manche Schicksalsschläge schlagen ein wie Bomben.
Nicht jede Durststrecke ist der Vorbote eines geistlichen Durchbruchs.
Es kann auch gar nicht anders sein, denn wir leben in einer Welt, in der Sünde als Rebellion gegen Gott auf der Tagesordnung steht. Wie kann da “alles gut” werden, bevor diese Welt in ein neues, ewiges Zeitalter übergeht? Solange wir auf der Erde sind, müssen wir die Einschränkungen durch die alles Seiende durchziehende Sünde als Rebellion gegen Gott akzeptieren.
Und jetzt? Resignieren? Hoffnung aufgeben? Im Selbstmitleid ertrinken? Auf keinen Fall! Erst einmal sollten wir erkennen, dass Hinfallen das neue “Normal” ist. Du musst dich nicht schlechter fühlen, als es sich ohnehin schon anfühlt, weil du deine eigene Identität als gebrochen, scherzhaft, schuldhaft oder krumm und schief wahrnimmst. Das ist alles nicht schön – aber “normal”, weil es anders eben gar nicht geht. Also: Entspann dich und lass dir den Druck nehmen.
Deswegen bin ich auch so froh, dass unsere Predigtreihe mit “Hinfallen” beginnt. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir auch und gerade als Christinnen und Christen ehrlich zu uns selbst sind und ehrlich zu unserem Gegenüber und akzeptieren: Das Leben besteht aus sehr, sehr vielen “Hinfallen”-Momenten.
Frei werden durch Jesus
Gleichzeitig aber – und das ist für mich die unglaublich große Kraft des Evangeliums – thront die Macht der Sünde, die Realität des Hinfallens nicht wie ein Damoklesschwert über unserem Leben. Sie hat schon gar nicht das letzte Wort. Nein – es gibt die Möglichkeit, frei zu werden.
Das ist die gute Nachricht, die ewig gilt und ewig wahr ist. Warum? Weil Jesus immer derselbe ist und es bei ihm keine Wesensveränderung gibt. Er ist und bleibt der Garant dafür, dass es einen Gott gibt, der dich liebt, der dich erlöst und der dein Leben erfüllt!
Im Blick auf die Frage “Wer bin ich?” ist es deswegen so befreiend, weil wir sehr praktisch und sehr alltäglich diese Freiheit leben und sozusagen “anziehen” können. Irgendwie nervt es ja, wenn gerade bei diesem so vermeintlich abstrakten Thema “Identität” alles in der Theorie bleibt. Weil das aber alles andere als abstrakt ist, kann es sehr, sehr praktisch werden.
Dabei ist es hilfreich, wenn wir Folgendes im Blick haben:
Die wirksamste Art und Weise, Grenzen zu setzen – und dann auf noch die richtigen – ist “Nein” zu sagen. Deswegen meine Ermutigung an dich:
Sei ein Neinsager!
Sage zu drei Dingen nein, die es dir wohl mit am schwersten machen, deine eigene Identität zu finden und zu leben.
Nein zu Selbstverurteilung
Schau noch einmal die Verse aus Psalm 139 oben an. Sie verdeutlichen, wie sehr Gott dich liebt, wie sehr er dich wollte und dich deswegen erschaffen hat. Du bist weder Unfall noch Zufall – du bist ein Glücksfall! Verbanne jeden Satz und jeden Gedanken aus deinem Leben, der dem widerspricht. Das geschieht nicht von jetzt auf nachher. Schon gar nicht, wenn solche antigöttlichen Sätze und Gedanke von anderen Menschen über deinem Leben ausgesprochen wurden. Mach dich auf den Weg und verurteile dich nicht selbst!
Nein zu Schubladendenken
Lass andere Menschen genau das auch erleben! Wo du dich selbst nicht verurteilst, verurteile bitte auch nicht deinen Nächsten. Mag er noch so komisch rüberkommen, merkwürdig aussehen oder sich nicht so verhalten, wie du es cool fändest. Kennst du seine Geschichte? Kennst du seine Identität? Weißt du, was er alles schon erlebt hat? Lass ihn raus! Raus aus der Schublade, mach sie zu – und nicht mehr auf! Das wird auch für dich befreiend sein, weil du feststellen wirst: Es verändert auch dein Denken über dich selbst.
Nein zu Perfektion
Sie ist der größte Feind bei der Bejahung unserer eigenen Identität. Perfektion knechtet dich unter eine Messlatte, die andere, die Gesellschaft oder sogar du selbst an dich anlegen – und der du niemals gerecht werden kannst. Perfektion ist unbarmherzig und gnadenlos, weil sie auf einem einzigen Fuß steht. Und der heißt: Fehlerlosigkeit. Niemals kannst du dem gerecht werden. Dagegen ist die Exzellenz etwas ganz anderes. Exzellenz lässt dich das Beste aus dir selbst und aus deinen Aufgaben machen, weil du es aus einer bestimmten Haltung heraus tust: Deinem Schöpfer alle Ehre zu geben. Und da darfst du Fehler machen.
Ich bin gespannt
Diese Predigtreihe wird uns in den nächsten Wochen beschäftigen – und ich hoffe und bete: auch weit, weit darüber hinaus. Never ever kann dieses Thema an sieben Sonntagen erschöpfend behandelt werden. Vielmehr ist es eine Lebensaufgabe.
Mein Wunsch, mein Gebet, meine Hoffnung aber ist es, dass wir dadurch ehrlicher werden – zu uns selbst, zu einander. Und dass wir eine Kultur leben, in der “Hinfallen” als normal angesehen wird – und wir aus der Kraft der Freiheit in Jesus leben.
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