…verpasst ihr euer Leben!
Gut, ok, so hat Jesus es nicht gesagt – aber die vergangenen Tage lassen mich genau zu diesem Schluss kommen. Wieso? Wir hatten in unserer Gemeinde Kinderwoche. Genauer: Asterix und Obelix waren zu Besuch im Wutachtal. Da die Stelle unseres Kinderpastors/Kinderpastorin vakant ist, hatte ich die ehrenvolle Aufgabe inne, diese Woche zu leiten und zu koordinieren.
Und was soll ich sagen? Ich glaube, ich bewerbe mich auf die Stelle des Kinderpastors…. 🙂 Nein. Scherz. Momentan fülle ich diese Stelle als Interims-Kinderpastor zusätzlich aus und es macht mega Spaß.
Vor 25 Jahren habe ich begonnen, in der Kirchengemeinde in der Arbeit mit Kindern einzusteigen – und irgendwie hat es mich nie losgelassen. Kinder sind einfach etwas ganz, ganz, ganz Besonderes!
Diese Woche hat mich nicht nur begeistert – sie hat mir einmal mehr deutlich gemacht, wie wichtig Kinder sind und wie wichtig es für Kirchengemeinden ist, in die Arbeit mit Kindern zu investieren. Daran möchte ich euch teilhaben lassen.
Kinder sind nicht die Zukunft – sie sind die Gegenwart
Natürlich weiß ich auch, wie der Spruch “Kinder sind die Zukunft” gemeint ist. Nur leider bringt das gar nichts, wenn wir nicht schon heute in die Arbeit mit Kindern investieren. Meine Vermutung ist, dass der Spruch “Kinder sind die Zukunft” eine ähnliche Konsequenz hat wie der Spruch “Was du heute kannst besorgen, das verschiebe stets auf morgen”. Nämlich keine.
Es sei denn, man nimmt nicht nur diesen Spruch an sich, sondern die Kinder selbst wahr und ernst. Und genau das geht im Gemeindealltag ganz schnell unter. Da gibt’s ja auch jede Menge zu tun und zu lassen – Letzteres macht man dann gerne bei den Kindern. Aber das ist fatal.
Dem gegenüber müssen wir viel mehr lernen, Kindern einen eigenen, kreativen, frei zu gestalteten Spielraum innerhalb der Kirchengemeinde zu haben, in dem sie sich entwickeln dürfen. Wir nennen das in unserer Kirchengemeinde (www.wutachblick.de) das “Entdeckerland“. So heißt der “Kinder-Bereich” unserer Gemeinde. Denn:
Ich erinnere mich noch sehr gut an ein Interview mit dem Schlagzeuger einer Band, der im Erwachsenenalter Christ geworden war. In diesem Interview wurde er gefragt, ob es nicht “cool gewesen sei”, jetzt eben Christ zu sein. Er meinte: Einerseits natürlich – andererseits trauert er den Jahren nach, in denen er kein Christ war.
Das bringt ziemlich gut zum Ausdruck, wieso die Arbeit mit Kindern, das Investieren in Kinder so wichtig ist: Je früher sie in ihrem Leben Jesus kennen und lieben lernen, desto länger können sie mit ihm leben und das Leben leben, das Gott für sie vorgesehen hat.
Kinder glauben anders – aber nicht weniger
Ich könnte an die Decke gehen, wenn ich manchmal Erwachsene über Kinder und ihren Glauben reden höre. Konkret wird das für mich immer dann spürbar, wenn es um die Musik geht. “Ach, das sind doch nur Kinderlieder” höre ich dann schnell mal. Die Erwachsenen haben keinen Bock, diese Lieder mitzusingen und manche Musiker sind sich “zu schade”, den Familien im Familiengottesdienst damit zu dienen, dass sie die Songs spielen, die eben diejenigen cool finden, die es auch cool finden, einen Wackelzahn zu haben.
Jesus hat einmal gesagt:
Jesus wertschätzt hier nicht einfach nur. Kinder. Das wäre zu einfach und eindimensional ausgelegt. Jesus hält den Erwachsenen den Spiegel vor und macht ihnen deutlich, wer hier Vorbild und wer Nachahmer ist: Die Erwachsenen haben es den Kindern nachzuahmen – und nicht umgekehrt. Jesus bringt hier eines zum Ausdruck, das wir nicht vergessen sollten: Der Glaube eines Kindes ist nicht weniger wert, nicht weniger wichtig, nicht weniger geistlich, nicht weniger tief als der Glaube eines Erwachsenen.
Wo Erwachsene meinen, dass der kindliche Glaube und dessen Ausdrucksformen (Sprache, Lieder, Gebete, Haltungen) weniger “geistlich” ist als der “erwachsene Glaube”, überheben sie sich über Kinder, stellen ihren Stolz und ihren Hochmut öffentlich zur Schau – und da wiederum steht in der Bibel ja auch recht deutlich, wie Gott das findet:
Natürlich bedeutet das nun nicht, dass wir nur noch uns auf Kinder fokussieren sollen in unserem Gemeindeleben. Alles andere hat genauso seinen Platz und seine Berechtigung und es muss auch niemand gezwungen werden, bei den Angeboten für Kindern mitzuarbeiten (bitte, bitte, bitte, macht so was alleine schon aus Rücksicht auf die Kinder nicht). Es bedeutet “nur” (aber dieses “nur” wird für manche schon herausfordernd genug), dass wir die “NextGen” (Next Generation = nächste Generation), wie es im hippen Kirchensprech momentan so schön heißt, nicht nur nicht aus den Augen verlieren, sondern ihnen mit gleicher Wertschätzung und Aufmerksamkeit begegnen wie Erwachsenen.
Kinder formen meinen Sprachfähigkeit im Blick auf den Glauben
“Glauben Christen an mehrere Götter? Da gibt es Gott, da gibt es Jesus und dann noch einen Geist.”
“Wer hat eigentlich Gott erschaffen?”
“Wie hat Jesus das an Ostern gemacht mit dem Auferstehen und so?”
“Wieso beendet Gott nicht das ganze Leid, wenn er allmächtig ist?”
“Werde ich mein Haustier im Himmel wiedersehen?”
“Wo ist Jesus eigentlich jetzt gerade?”
“Wo ist der Himmel?”
“Woher weißt du, dass das alles in der Bibel stimmt?”
Neunmalkluge Theologen könnten jetzt hinter jede Frage, die ich so schon von Kindern gehört habe, einen theologischen Fachbegriff schreiben. Den braucht’s aber gar nicht. Die Fragen sind schon kompliziert und faszinierend genug. Dass Kinder solche Fragen stellen, beweist doch, was ich oben geschrieben habe: Ihr Glaube ist weder “simpel” noch ist er weniger wert als der Glaube eines Erwachsenen.
Zusätzlich fordern diese Fragen mich als Erwachsenen aber enorm heraus. Einfache Antworten gibt es hier keine. Und die Kunst besteht darüber hinaus darin, die Antworten so zu formulieren, dass Kinder sie verstehen. Das wiederum schult und formt meine eigene Sprachfähigkeit des Glaubens oder – was noch besser wäre – sie müsste vorher schon geschult sein, dass ich Kindern Antworten geben kann, die sie verstehen.
Immer weniger Menschen können mit “frommen Ausdrücken” noch etwas anfangen geschweige denn wissen, um was es beim christlichen Glauben eigentlich geht. Gleichzeitig nimmt die Zahl derer, die großartige Fragen stellen und auch im Geistlichen auf der Sinnsuche sind, kontinuierlich zu. Da ist es wichtig, so über den Glauben zu reden, dass man verstanden wird. Kinder lehren mich das. Schonungslos. Und das ist gut so! Sehr gut!
Eine Gemeinde, die nicht in die Arbeit mit Kindern investiert, ist nicht zukunftsfähig
Das klingt schon rein biologisch plausibel und sicherlich nicken hier viele mit dem Kopf. Aber mit Kopfnicken alleine ist noch nicht viel getan. Am liebsten würde ich einen Appell an die theologischen Studieneinrichtungen loswerden, deren Absolventinnen und Absolventen wunderbare Jugendpastorinnen und Jugendpastoren werden.
Aber wo sind die leidenschaftlichen Kinderpastorinnen und Kinderpastoren? Ich glaube, unser “System” krankt. Wenn du eine Stelle als “Kinder- und Jugendreferent” ausschreibst, wird die Arbeit meist zugunsten der Jugendlichen und zuungunsten der Kinder ausgeführt werden. Wenn du zwei Stellen ausschreibst – eine Stelle für einen Kinderpastor, eine Stelle für einen Jugendpastor – wird es ungleich schwieriger, Bewerberinnen und Bewerber für die Stelle des Kinderpastors zu finden. Wir haben das als Gemeinde erlebt und sind noch mittendrin in dem Prozess (by the way: unser Jugendpastor Andre Reich rockt mega. Schau mal vorbei: https://wutachblick.de/team/andre-reich/).
Gemeinde sollte sich genauso organisch entwickeln, wie der Mensch das auch tut. Keine Eltern würden auf die Idee kommen, ihre Kinder erst im Jugendalter zu beachten und zu fördern und im Kindesalter “irgendwie mitlaufen lassen”. Im Gegenteil: Immer wichtiger wird es (zum Glück!), dass wir auf das Wohl und die Entwicklung unserer Kinder ab ihrer Geburt größten Wert legen. Wieso ist das bei Kirchens anders?
Während soziologisch, entwicklungspychologisch und pädagogisch es ein absoluter No-Brainer ist, dass wir den Menschen von seiner Geburt an sowohl im Kindes-, Jugend- als auch Erwachsenenalter fördern, scheint es bei Kirchens irgendwie ein “biologisches Paradoxon” zu geben und wir lassen die Uhr andersrum ticken: Erst die Erwachsenen, dann die Jugend und wenn noch irgendwie Zeit, Kraft, Geld und Energie da ist, investieren wir auch in die Kinder.
Ich bin so froh und dankbar, dass ich in meiner Gemeinde ein Leitungsteam um mich habe, welches das anders sieht und die organische Entwicklung eines Menschen auch in der Gemeindearbeit abbilden möchte: Kinder – Jugend – Erwachsene. Keine Wertigkeit, sondern Investition in jedem Lebensbereich.
So haben wir bei uns einen Co-Pastor (der genauso rockt, schau vorbei: https://wutachblick.de/team/diakon-marc-hoenes/), einen Jugendpastor – und sind nach wie vor auf der Suche nach einem Kinderpastor/Kinderpastorin.
Der Mensch würde verkümmern – oder besser gesagt erst gar nicht gesund heranwachsen – wenn wir uns erst im Erwachsenenalter um ihn kümmern. Im Gemeindeleben ist das nicht anders:
Wo kein Verjüngerungsprozess stattfindet, befindet sich eine Gemeinde im Verkümmerungsprozess.
(Ja, das Wort heißt eigentlich “Verjüngungsprozess” – aber vielleicht entdeckt der ein oder andere das Wortspiel…)
Diesen Automatismus Gemeindegliedern in Kopf und Herz zu schreiben, ist ein andauernder Prozess, dem sich Gemeindeleitung stellen muss. Und ich merke: Das ist ein langer, langer Weg. Viele Erwachsene – auch in meiner Gemeinde – verstehen diesen Prozess nicht. Sie sehen, wo man noch alles im Erwachsenenbereich etwas tun könnte – aber sehen nicht, wie dieser organische Prozess auch in der Gemeinde eine Rolle spielen kann und soll.
Darüber hinaus müssen wir endlich eines verstehen: Wenn (siehe oben) die geistliche Entwicklung eines Kindes nicht weniger wichtig ist als die geistliche Entwicklung eines Erwachsenen, dann sind Kinder nicht einfach nur zu bespaßen. Dann gilt es, in ihnen genauso wie in Jugendlichen und Erwachsenen das Potenzial zu heben und zur Entfaltung kommen zu lassen, das Gott schon längst in sie gelegt hat. Wo das geschieht, wird Gemeinde zukunftsfähig sein!
Und da Bilder mehr sagen als 1.000 Worte – hier kommen ein paar Fotos. Und ja – ihr könnt staunen, was unser Team auf die Beine gestellt hat. Das war unglaublich-mega-fantastisch-einzigartig.