StartGedankenAntijudaismus reloaded? Das seltsame Spiel der Kirche

Antijudaismus reloaded? Das seltsame Spiel der Kirche

Der Weltkirchenrat oder auch „Ökumenischer Rat der Kirchen“ hat dieser Tage für mich die Frage aufgeworfen: Hat Antijudaismus wieder Platz in der Evangelischen Kirche in Deutschland? Es wäre verheerend!

Aber der Reihe nach.

Der Ökumenische Rat der Kirchen / Weltkirchenrat vertritt 580 Millionen Christen in 365 Mitgliedskirchen aus mehr als 120 Ländern.

Am 22. Juni 2025 hat der Weltkirchenrat in einer öffentlichen Erklärung dem Staat Israel Apartheid vorgeworfen. Ausgerechnet in Südafrika wurde diese Erklärung veröffentlicht.

Ich zitiere:

In diesem Sinne veröffentlicht der ÖRK-Zentralausschuss den folgenden Aufruf: Er verlangt, dass 1. die Realität der Apartheid beim Namen genannt wird: Wir anerkennen und verurteilen das System der Apartheid, das Israel dem palästinensischen Volk auferlegt und damit das Völkerrecht und das moralische Gewissen verletzt; 2.Sanktionen und die Rechenschaftspflicht umgesetzt werden: Wir fordern Staaten, Kirchen und internationale Institutionen auf, Konsequenzen für Verstöße gegen das Völkerrecht zu ziehen, einschließlich gezielter Sanktionen, Desinvestitionen und Waffenembargos. Der Internationale Strafgerichtshof und die UN-Mechanismen, die mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit untersuchen, müssen umfassend unterstützt werden.

Quelle: www.oikoumene.org/de/resources/documents/statement-on-palestine-and-israel-a-call-to-end-apartheid-occupation-and-impunity-in-palestine-and-israel

Welche Rolle spielt der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende?

Das ist schon heftig. Unter Apartheid versteht man ein System der Rassentrennung, das jahrzehntelang in Südafrika gelebt wurde und von dem sich das Land bis heute nicht erholt hat. Nun wirft man – wohlgemerkt als kirchliches Gremium – Israel diese Rassentrennung im Blick auf den Umgang mit Palästinensern vor.

Kein Wort zum 7. Oktober 2023.

Kein Wort zur Hamas.

Keine Verurteilung der bestialischen Massaker an der israelischen Bevölkerung.

Und das alles unter dem Vorsitz eines Mannes, der in Deutschland relativ bekannt sein dürfte: Heinrich Bedford-Strohm, der von 2014 bis 2021 Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland war – somit der höchste Funktionär der Evangelischen Kirche in Deutschland – und seit 2022 Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen ist. Ausgerechnet unter seinem Vorsitz, dem Vorsitz eines evangelischen Theologen aus Deutschland, leistet sich der Weltkirchenrat diese furchtbare Entgleisung.

Anstatt zurückzutreten, versucht Bedford-Strohm sich nun herauszuwinden. Ähnlich wie er es schon 2016 tat, als er in Jerusalem sein Bischofskreuz nicht tragen wollte.

Er habe nicht mit abgestimmt als Vorsitzender und ebenso habe er den Begriff der Apartheid kritisiert. Ist ja alles schön und gut, aber am Ende ist er der Vorsitzende und kann nicht sagen: „Die anderen waren es! Ich wasche meine Hände in Unschuld.“ Er hat genauso wie alle anderen Mitglieder des Weltkirchenrates Schuld über die Kirche gebracht.

Und die besteht in meinen Augen darin, dass Antijudaismus in der (evangelischen) Kirche wieder Platz hat. Die Schuld, die Schwere, die Tragweite, die auf dieser Erklärung des Weltkirchenrates liegt, ist unermesslich groß.

Natürlich versucht man das seitens des Weltkirchenrates zu relativieren, indem ebenso gesagt wird:

Wir erkennen einen klaren Unterschied zwischen dem jüdischen Volk, unseren Glaubensbrüdern und -schwestern und den Handlungen der israelischen Regierung und bekräftigen, dass der ÖRK entschieden gegen jede Form von Rassismus, einschließlich Antisemitismus, antiarabischem Rassismus und Islamfeindlichkeit, steht. Allerdings zwingen das unerträgliche Leid, das den Menschen in Gaza zugefügt wird, und die eskalierende Gewalt und Unterdrückung im Westjordanland und in Jerusalem die weltweite Gemeinschaft der Kirchen, sich klar, eindringlich und entschlossen für die Grundsätze der Gerechtigkeit nach internationalem Recht und internationaler Ethik auszusprechen.

Quelle: s.o.

Der Weltkirchenrat ist nicht glaubwürdig

Nur leider entlarvt sich der Weltkirchenrat selbst. Aus zwei Gründen.

Zum einen kennen wir doch alle das Schema und Verhaltensmuster, je vehementer ich etwas ablehne, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich damit ein Problem habe. Zum zweiten: Der vermeintlichen Erklärung, sich gegen Antisemitismus einzusetzen, folgt das Wort „Allerdings“. Und damit wird mal schnell alles, was davor war, vom Tisch gewischt, denn es ist klar: Was jetzt kommt, das ist das Wesentliche, das ist das Wichtige, das ist, wofür wir als Weltkirchenrat stehen.

„Mal wieder sind die Juden selbst schuld“ könnte man meinen. Klar: Es leben nicht nur Juden in Israel, aber wann versteht auch noch der letzte Mensch auf diesem Planeten endlich, dass es nur einen jüdischen Staat, nämlich Israel, gibt?

Eine jüdische Replik

Daniel Neumann schreibt in der Jüdischen Allgemeinen Folgendes, dem ich nur zustimmen kann:

Wenn der Vorsitzende eines solchen internationalen Kirchenrates nun einen Beschluss mit den begleitenden Worten veröffentlicht, dass dieser nichts mit Antisemitismus zu tun habe, sind Zweifel angebracht. Erhebliche Zweifel. Und es spricht Bände. Schließlich war die Kirche über Jahrhunderte hinweg der Nukleus des europäischen Judenhasses. Sein Zentrum und seine Energiequelle.

Quelle: www.juedische-allgemeine.de/politik/der-weltkirchenrat-auf-abwegen/

Wenn es nun salonfähig wird, gegen Israel, gegen Juden zu sein – was soll dann noch kommen? Jeder evangelische Christ kann sich nun auf den Weltkirchenrat berufen und sagen: „Schau es dir doch an: Dieses Gremium, das hunderte Millionen von Christen weltweit vertritt, sagt selbst, dass Israel Apartheid lebt und Rassismus fördert. Und das alles unter dem Vorsitz des ehemals höchsten Repräsentanten der Evangelischen Kirche in Deutschland.“

Eine württembergische Replik

Von Herzen dankbar bin ich für ein Statement des Landesbischofs der Württembergischen Kirche, Ernst-Wilhelm Gohl, der ein ganz klares Gegengewicht gesetzt hat:

Mit der Behauptung, Israel sei ein Apartheidstaat, macht sich der Zentralausschuss des ÖRK einen politischen Kampfbegriff zu eigen, der sachlich falsch ist und in der aufgeheizten Debatte um den Weg zum Frieden im Nahen Osten nur zur weiteren Polarisierung führt

Quelle: www.elk-wue.de/pressemitteilung/2025/02072025-israel-ist-kein-apartheidstaat

Wenn ein Landesbischof in aller Öffentlichkeit sich gegen eine Aussage des ehemaligen Ratsvorsitzenden stellt, dann zeugt das von Mut und einem absoluten Willen, diese Message unters Volk zu bringen, denn: Man widerspricht nicht so ohne weiteres einem anderen Amt- und Würdenträger. Danke, lieber Herr Landesbischof Gohl, dass Sie den Mut haben. Ich wünsche mir, dass Ihnen noch weitere Amtskollegen folgen und als Vertreter und Repräsentanten evangelischer Landeskirchen in Deutschland sich klar mit Israel und dem jüdischen Volk solidarisieren und es eben gerade nicht in das offene Messer des Antijudaismus laufen lassen.

Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass auf so genannten „Pro Palästina“-Demos, die sich am Ende als Israelhass-Kundgebungen entpuppen, auf deutschen Straßen lautstark das Existenzrecht Israels angezweifelt wird und zur Vernichtung Israels aufgerufen wird, hat sich nun auch der Weltkirchenrat auf Abwege begeben und liefert diesen Strömungen einen Nährboden.

Ausgerechnet die Kirche

Ja, die Kirche. Ausgerechnet die Kirche.

Man mag es nicht fassen. Man mag es nicht glauben.

Immer wieder höre ich in diesem Zusammenhang, dass Martin Luther ein glühender Antisemit gewesen sei. Und ja: Er hat Aussagen getroffen, die antisemitisch waren. Zweifelsohne. Nur habe ich als evangelischer Pfarrer ein noch viel größeres Problem: Ich muss gar nicht in die 500jährige Vergangenheit schauen, sondern es genügt ein Blick in die Gegenwart, dass ich mir die Frage stellen muss:

Steht die evangelische Kirche an der Seite des jüdischen Volkes, des Volkes Gottes – oder nicht?

In den letzten Wochen und Monaten sind bei mir erhebliche Zweifel daran aufgekommen.

Dabei wäre diese Solidarität gerade jetzt so wichtig! Jetzt, wo aus unseren 80 Millionen Bundestrainern 80 Millionen Nahost-Experten geworden sind und viele, viele Unwahrheiten über Israel im Umlauf sind. Jetzt, wo es Menschen braucht, die bei aller Kritik, bei allem Versagen und bei allem Fragwürdigem der israelischen Regierung dennoch sich solidarisch mit Israel zeigen – denn: Israel ist mehr als seine Regierung. Israel ist das Land, das dem Volk Gottes vor tausenden von Jahren verheißen wurde. Israel ist ein Land voller Schönheit und Lebendigkeit. Israel ist ein Land, in dem unterschiedliche Kulturen, Religionen und Völker ihren Platz haben. Israel ist ein blühendes Land umgeben von Regimen und Diktaturen, welche die Vernichtung Israels propagieren. Israel ist das einzige Land im Nahen und Mittleren Osten, das westliche Werte lebt und kultiviert. Israel verteidigt nicht nur sich selbst. Israel verteidigt Europa. Wenn Israel fällt, fällt auch der Westen.

Es braucht Solidarität mit Israel

Gerade jetzt braucht es Menschen, die sagen: „Ich kann nicht alles gutheißen, was in und durch Israel geschieht. Aber es gibt keinen Völkermord im Gazastreifen und auch keine Apartheid. Israel ist das Opfer, nicht der Täter. Israel bedroht nicht seine Nachbarländer, sondern wird durch das iranische Regime, die Hisbollah, die Hamas, die Muslimbruderschaft und andere extremistische Gruppierungen bedroht. Nicht Israel will irgendein Land vernichten, aber andere haben die Gewaltfantasie, Israel zu vernichten. Jetzt, gerade jetzt, stelle ich mich solidarisch an die Seite des Volkes, das verfolgt wird, seit es existiert.“

Ich hoffe, dass diese Stimmen in der Evangelischen Kirche in Deutschland die unsägliche Stimme des Weltkirchenrates übertönen.


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