Neulich saß ich in einem Vortrag zur Reformation – soweit nichts Unübliches im fulminanten Reformationsjubiläumsjahr 2017. Der Vortrag war an sich auch wirklich gut und inspirierend. Es ging um unterschiedliche Frömmigkeitsstile in der Reformation und wie die Menschen unterschiedlichen Standes ihren Glauben lebten.
Dann kam der Referent auch auf die Täuferbewegung zu sprechen, da es eine lokale Verbindung zu dem Thema gab. Ein Nebensatz von ihm hat mich dann doch sehr aufhorchen lassen (wohlgemerkt: er ist Theologe). Als es um Berichte von Taufen und Großereignissen im Neuen Testament ging, meinte er sinngemäß:
“Nicht zu unrecht verbannen wissenschaftliche Theologen die Berichte von Massen-Events in der Apostelgeschichte in das Reich der Mythen.”
Soso, dachte ich, was die Wissenschaft so alles feststellt.
Als ich gestern mit meinem Kollegen darüber sprach, kam uns der alte Gassenhauer “Die Wissenschaft hat festgestellt, festgestellt, festgestellt, dass Marmelade Fett enthält, Fett enthält. Drum essen wir auf jeder Reise, jeder Reise, jeder Reise Marmelade eimerweise, eimerweise” in den Sinn.
…und wie es wohl wäre, wenn man mitten in solch einem Vortrag aufstehen und dieses Lied anstimmen würde? Sicherlich lustig – und ja, ok, auch ein wenig verwirrend, das gebe ich zu. Und doch sollte man es doch bekräftigend tun – warum auch nicht? Schließlich hat “die Wissenschaft” ja festgestellt, dass – ja was eigentlich? Dass Passagen der Bibel ein Mythos sind? Dass die Bibel als solche entmythologisiert werden müsse? Dass man das alles mal schön im Kontext lesen solle und nicht so ohne weiteres in unsere heutige Zeit übertragen kann.
Was mich am meisten bei solch einer Aussage stört ist die Tatsache, dass es sich keine Organisation, kein Werk, kein Unternehmen leisten würde, wenn ein leitender Mitarbeiter öffentlich die “betriebsinternen Grundlagen und Vereinbarungen” abstreitet und als obsolet bezeichnet. Wo würden wir da hinkommen?
Bei Kirchens ist das aber immer wieder möglich – und in meinen Augen auch mit ein Grund, dass Kirche da steht, wo sie gerade steht. Wir können uns viele Gedanken über Programmoptimierung, Zielgruppenangebote, Mitgliedergewinnung und Finanzverantwortung machen. Das alles bleibt aber nicht mehr als heiße Luft, wenn wir dem Leben und dem Wesen von Kirche ihre Grundlage entziehen und scheinbar nichts Besseres zu tun haben, als Aussagen der Bibel als überholt und “aus dem Reich der Mythen” abstempeln.
Dabei geht es mir ja nicht einmal darum, dass Geschichten als solche nicht geglaubt werden. Viel wichtiger ist doch, dass dem Inhalt dessen, was da berichtet wird, die Glaubwürdigkeit entzogen wird.
Christen glauben nicht an die Bibel, nein – aber ihren Glauben leben können sie nur, weil sie dessen Inhalt aus der Bibel schöpfen – woher denn auch sonst? Und wenn man nun bspw. dem Bericht, dass Jesus 5.000 Menschen (und mehr) mit fünf Broten und zwei Fischen satt machte, keinen Glauben schenken kann – ja, wieso soll man dann überhaupt glauben können, was Jesus alles kann?
Wohlgemerkt: Wir sollen unseren Verstand einsetzen und mit diesem auch die Bibel lesen, wir sollen sie kritisch lesen – aber nicht, dass wir die Kritiker der Bibel sind, sondern dass die Bibel uns kritisieren darf.
Wir sollen wissenschaftliche Methoden anwenden, um die Bibel immer tiefer zu verstehen, sollten uns aber immer dessen bewusst sein, dass Menschen irren – Gott aber nicht.
Natürlich können wir zu unterschiedlichen Ansichten über Bibeltexte kommen. Aber wir sollten uns davor hüten, zu sagen: “Die Wissenschaft hat festgestellt”. Denn das würde implizit bedeuten, wer nicht dieser einen Auslegung zustimmt, arbeitet nicht wissenschaftlich. Wobei wir auch beim Thema Toleranz wären – aber das ist ein anderes Thema.
Sehr gut und klar zusammengefasst. Mein Mann und ich hatten gerade genau dieses Thema Wahrheit der Bibel und die “aufgeklärte Wissenschaft” dazu… und witzigerweise ist mir auch der alte Gassenhauer dazu eingefallen. Bin auf den Artikel gestoßen, als ich mehr über das Lied und dessen Hintergründe erfahren wollte. Der Artikel spricht uns aus der Seele, vielen Dank.