Website-Icon david-brunner.de

Falsche Vorbilder

“Wie Influencer uns und unsere Kinder manipulieren” ist nicht nur der Untertitel dieses großartigen Buches, sondern auch Programm und die Kurzzusammenfassung des Inhalts. Wem (seine) Kinder am Herzen liegen, der sollte dieses Buch unbedingt lesen – oder zumindest Augen und Ohren offen halten nach den Wahrheiten, welche Alicia Joe und Sabine Winkler in ihrem Buch vermitteln. Denn – Achtung Spoiler – es ist haarsträubend und am Rande der Legalität und fast schon auf dem Weg zur Kriminalität, wie vor allem die junge Generation in den sozialen Netzwerken beeinflusst wird und falschen Vorbildern aufsitzt.

Wer schreibt hier eigentlich?

Vorweg: es sind zwei Autorinnen vom Fach, echte Expertinnen, was die Social Media-Welt betrifft. Alicia Joe (mit bürgerlichem Namen Alicia Joester) hat auf YouTube (www.youtube.com/c/AliciaJoe) über 500.000 Abonnenten. In ihren Videos thematisiert sie vor allem Themen der heutigen Netzkultur (junger Menschen) sowie popularwissenschaftliche Themen, setzt sich aber auch kritisch mit gesellschaftlichen Trends wie bspw. der Gendersprache auseinander. Co-Autorin des Buches ist mit Sabine Winkler eine Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin, die ebenfalls sehr vertraut mit diesen Themen ist.

Das ist insofern nicht unwichtig, da ich den beiden Autorinnen jede Menge Wissen um Algorithmen und Funktionsweisen der Social Media-Welt nicht nur zutraue, sondern beim Lesen schlicht und einfach den Eindruck bekomme, dass sie genau wissen, wovon sie schreiben. Da die Gedanken und teilweise Vorwürfe an die “Szene” nicht unerheblich sind (und jede Menge Namen sogenannter Influencer genannt werden), sollte man schon wissen, wovon man schreibt. Und das ist hier definitiv der Fall.

Übersichtlicher und breit gefächerter Inhalt

Was das Buch an Inhalt bietet, ist großartig! Die beiden Autorinnen widmen sich den größten Rubriken oder in der Social Media-Sprache gesagt: sie widmen sich den unterschiedlichen Influencer-Kategorien. Das ist hilfreich und clever zugleich, denn nicht jeder tappt in jede Falle, sondern ist auf dem einen “Kanal” ansprechbarer als auf dem anderen. Nicht jeder ist von Beauty-Bloggern genauso fasziniert wie von Instagram-Accounts zum Thema “Travel” oder “Fitness”. Das macht die große Weite und den Wert des Buches aus: Es geht um die große Weite und Breite der Influencer unserer Zeit.

Hat manch einer sehr wahrscheinlich die Beauty- und Fitness-Abteilung vor Augen, wird wohl kaum jemand hinter Travel- oder Family-Influencern große Gefahr wittern. Dabei ist es erschreckend zu lesen, welchen Einfluss (“Influence”) diese Creator haben. Nehmen wir an dieser Stelle nur einmal die Reise-Blogger bzw. Travel-Influencer:

Die Liste der Destinationen, die durch Instagrammer regelrecht überfallen werden, ließe sich beliebig ergänzen: Mohnblumenfelder in Kalifornien, Tulpenfelder im rheinischen Jülchen, die Terrassen auf der griechischen Insel Santorini, die Hängeseilbrücke Geierlay und, und, und…Falsche Vorbilder, S.170

Dabei wird im gesamten Buch deutlich, dass die Autorinnen nicht nur auf Fehlverhalten hinweisen, sondern die Influencer bei ihrer Verantwortung packen und sie regelrecht auffordern, ihr Verhalten zu ändern.

Um ehrlich zu sein: Überall dort, wo Touristen sind, wird es auch Schäden an der Umwelt geben. Den perfekten klimaneutralen Tourismus gibt es nicht. Da aber Reise-Blogger eine Art Vorbildfunktion haben und als Inspirationsquelle für ihre Follower dienen, könnten sie durch ein verändertes Postverhalten doch einiges erreichen.Falsche Vorbilder, S.180

Erhellend und erschreckend zugleich sind die Ausführungen zu so genannten “Familien-Bloggern”. Dies sind (meist) Eltern, die ihr Familienleben mitunter Millionen von Zuschauern zur Verfügung stellen, indem sie alltägliche Situationen filmen und in ihrem YouTube-Kanal hochladen. Da ich gerade diese Sparte für besonders problematisch halte, verzichte ich bewusst auf Verlinkungen entsprechender Accounts, auch wenn sich im Buch – wie auch in den anderen Bereichen – jede Menge Beispiele und konkret benannte Personen/Accounts finden.

Familien-Blogger filmen ihre Kinder häufig in peinlichen Situationen, weil dies guten Content verspricht, sind sich dabei aber vermutlich nicht bewusst, dass dies illegal sein kann. Selbst eine Verpixelung des Gesichts reicht in extremen Situationen nicht aus. Sofern das Kind als Mitglied einer Familie “erkennbar” ist, ist es bei drastischen Darstellungen wie Nacktbildern oder Fotos aus der Badewanne irrelevant, ob das Gesicht unkenntlich gemacht wird.Falsche Vorbilder, S.110

Und dann nimmt uns Alicia Joe an anderer Stelle des Buches mit hinein in eine ganz simple Recherche von 30 Minuten, durch die sie aller Wahrscheinlichkeit nach sowohl den Namen als auch die Adresse einer Familie bzw. eines Kindes ausfindig machen konnte.

Deswegen schätze ich dieses Buch sehr: Es führt drastisch vor Augen, welchen Gefahren durch so genannte “Influencer” oder “Creator” unsere Kinder ausgesetzt sind, denn das Problem ist: Die Kinder und Jugendlichen sehen das Endprodukt – also das Video, das Foto, den Beitrag. Was davon jedoch wahr ist, wie oft das Foto mit einem Bildbearbeitungsprogramm verändert wurde und welche Gefahren hinter übertriebener Fitness lauern – all das ist den Kids und Teens nicht bewusst.

Sie wollen nur dein Geld

Einfacher kann man nicht beschreiben, was (die meisten) Influencer von uns und unseren Kindern wollen und worum es geht: Geld. Schlicht und einfach Geld. An verschiedenen Stellen des Buches machen die beiden Autorinnen dies deutlich, schildern Beispiele und bringen konkrete Zahlenspiele, wie viel Geld auf welcher Plattform mit welchem Beitragsformat verdient werden kann. Dass dabei vor allem nackte Haut und peinliche Situationen am besten ankommen und am meisten Geld einspielen, ist klar.

Das Problem jedoch ist, dass Kinder und Jugendliche das alles nicht so genau durchschauen. Viele von ihnen entwickeln zu Influencern eine Art Beziehung, sehen in ihnen den großen Bruder oder die große Schwester – und wehe, an diesem Idealbild wird gerüttelt.

Die Illusion, die durch parasoziale Freundschaften zu Influencern entsteht, muss endlich überwunden werden. Es muss klar sein: Ein Follow ist eine Konsumentscheidung.Falsche Vorbilder, S.228

Im Prinzip ist in diesem simplen Satz die Quintessenz des Buches zusammengefasst: Ja, es geht wirklich nur ums Geld. Dass man zumindest den weltlichen Influencern eine Art Altruismus bescheinigen könnte, darf getrost in den Bereich der Fabeln verbannt werden. So hart und unbarmherzig diese Erkenntnis zu sein scheint und klingen mag. Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die sozialen Medien sind kein Ponyhof und ihre Influencer keine Gönner und Mäzene, sondern knallharte Wirtschaftsunternehmen. Nicht umsonst haben manche von ihnen eigene Manager – oder glaubst du wirklich, dass jeder Beitrag auf YouTube, Instagram oder TikTok das ist, was er vorgibt zu sein? Nein – es geht um’s Geld. Ganz einfach.

Dazu werden im Buch konkrete Zahlen genannt, welche durch diverse Beiträge in den sozialen Medien (hauptsächlich geht es um YouTube und Instagram) generiert werden. Diese machen deutlich, dass ab einer gewissen Klickzahl und Reichweite es durchaus lukrativ sein kann, mit Beiträgen in den sozialen Medien Geld zu verdienen, auch wenn es nicht die Masse ist, die damit ihren Lebensunterhalt bestreiten kann, jedoch auch deutlich wird: Da es schnell in den fünfstelligen Bereich gehen kann, ist es durchaus eine Alternative zu einem “alltäglichen Job”, durch Posts und Beiträge in den sozialen Medien Geld zu verdienen.

“Geld regiert die Welt” ist ein Sprichwort, dass nicht von ungefähr kommt. Und so zeigt Alicia Joe in ihrem Buch “Falsche Vorbilder” sehr deutlich auf, wie Geld auch die Welt der sozialen Medien regiert.

Das Perfide: es geht ja nicht nur den Influencern um’s Geld, sondern auch den Betreibern der jeweiligen Plattformen. So bleibt es lediglich unter diesem monetären Gedanken “verständlich”, weshalb die Betreiber keine zusätzlichen rechtlichen Schritte gehen als sie ohnehin schon tun und weshalb sie teilweise ihren eigenen Statuten nicht folgen und es dulden, dass Accounts von Personen geführt werden, die das Mindestalter der jeweiligen Plattform noch gar nicht erreicht haben. Dass ein Satz im Profil ausreicht, der darauf hindeutet, dass die Eltern des Kindes diesen Account “füttern” ist mehr als nur zweifelhaft. Aber auch hier: Das Geld ist wichtiger als selbst gesetzten Maßstäbe.

Immer wieder wird gerade dieser Missstand im Buch gebrandmarkt, dass Betreiber von Plattformen – vorsichtig ausgedrückt – sich im Graubereich dessen bewegen, was noch legal ist und was nicht.

Falsche Vorbilder – ein Fazit

Ich empfehle dieses Buch sehr. Gibt es doch Einblicke in die “schöne Welt der sozialen Medien”, die man sonst nicht bekommt. Mich überzeugt das Buch nicht nur durch die vielen, vielen konkreten Beispiele und Social Media-Accounts, die genannt werden, sondern auch durch gut recherchierte Fakten und Zahlen, die im Hintergrund stehen.

Die beiden Autorinnen beschreiben die Intention des Buches an dessen Ende wie folgt:

Die Absicht war und ist es, vor allem auf die kritischen Entwicklungen für unsre Gesellschaft aufmerksam zu machen. Eben jene Zusammenhänge, die für einen dreiminütigen Onlineartikel viel zu komplex sind.Falsche Vorbilder, S.229

Insofern, liebe Eltern: Lest dieses Buch, wenn eure Kinder im Teenager-Alter seid. Denn es deckt schonungslos aus, was wir über Influencer wissen sollten – und ja: “falsche Vorbilder” ist in doppelter Hinsicht der passende Titel für dieses Buch. Sie sind falsch, weil sie gar keine Vorbilder sind. Kein Mensch, kein Teeanger, kein heranwachsender junger Mensch sollte auf Grund falscher Schönheitsideale sich körperlich ruinieren, auf Grund von Geltungsdrang sein Privatleben offenlegen und wegen Klickzahlen und Likes ein für die Natur schädliches Verhalten an den Tag legen.

Falsch sind diese Vorbilder aber auch, weil sie nicht echt sind. Sie täuschen, sie gaukeln vor, sie sind nicht ehrlich.

Insofern ist dieses Buch ein Augenöffner und eine Hilfestellung. Ein guter Anfang wäre schlicht und einfach, den im Buch erwähnten Profilen und Accounts nicht mehr zu folgen und nicht mehr deren Videos zu schauen. Das mag nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, aber wenn es viele machen, werden es diese falschen Vorbilder am nicht mehr so üppig fließenden Geld merken. Und da diese Sprache die ist, die sie am besten zu verstehen scheinen, könnte es doch positive Auswirkungen haben. Wie oben schon erwähnt verzichte ich bewusst auf die Nennung und Verlinkung dieser Accounts, um die Klickzahlen eben nicht doch noch zu “pushen”.

Was das Erscheinungsbild des Buches betrifft, möchte ich positiv erwähnen, dass auf den unsäglichen Genderstern verzichtet wird. Etwas, das leider in vielen Publikationen zur Zeit Einzug hält, weil ein Diktat einer Minderheit unkritisch einfach übernommen wird. Nicht so in diesem Buch – gut so! Denn gerade in Büchern sollte dieser doch gar nicht verwendet werden, da er sprachwissenschaftlich schlicht und einfach vollkommen haltlos, sinnlos und unsachlich ist.

Alicia Joe: Falsche Vorbilder
288 Seiten
ISBN: 978-3-96905-196-2
Verlag: YES (www.m-vg.de/yes/shop/article/23435-falsche-vorbilder/)
Preis: 19,99 EUR

Bleib auf dem Laufenden und abonniere meinen Newsletter:

Die mobile Version verlassen