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Gemeinde, Veränderung und die kleine Raupe Nimmersatt

Letzte Woche war ich eingeladen als Speaker in einem Clubhouse-Talk über “Change in Gemeinde, Kirche und christlichen Organisationen”. Dabei wurde ich gefragt, welches Bild mir in den Sinn kommt, wenn ich über Veränderungsprozesse in einer Kirchengemeinde nachdenke. Ich musste nicht lange überlegen – und das Bild war da: Die kleine Raupe Nimmersatt.

Falls du die Geschichte nicht kennst, bist du ein bedauernswerter Mensch, aber zum Glück gibt es ja das große, weite Internet, in dem du fündig wirst. Entweder du kaufst dir das wunderschöne Bilderbuch oder schaust dir die Geschichte auf YouTube an.

Die Story

Eric Carle beschreibt in diesem Klassiker der Kinderliteratur, wie die kleine Raupe Nimmersatt sich so durch die Woche frisst. Am Montag gab’s noch einen gesunden Apfel, dienstags gab’s zwei Birnen und so geht es die ganze Woche weiter – und es kommen auch ‘ne Menge ungesunde Dinge dazu.

“Aber satt war sie noch immer nicht” ist die Aussage, die am Ende eines jeden Tages zu lesen ist.

Am Ende der Woche aber hatte sie Bauchschmerzen – nun ja, das Menü war auch echt mal übel. Da würde es mir auch schlecht werden.

Im weiteren Verlauf des Buches wird beschrieben, wie aus der Raupe ein wunderschöner Schmetterling wurde.

Kleine Kirche Nimmersatt?

Irgendwie kommt mir Kirche oft so vor. Sie frisst ‘ne Menge in sich rein über die Jahre, Jahrzehnte und Jahrhunderte – vergisst dann aber, sich zu verändern. Was bei der Raupe von Natur aus angelegt ist, ist für den Menschen und für eine Organisation unnatürlich – und dadurch schmerzhaft und kein Automatismus. Veränderung muss schon gewollt sein, sonst wird das nix.

Ist für die Raupe der Moment der Verpuppung sowie der Verwandlung in einen Schmetterling ein ganz normaler weiterer Entwicklungsschritt, gegen den sie sich gar nicht wehren kann, sondern in ihrem Wesen angelegt ist – so ist das bei Kirche – scheinbar – gerade nicht der Fall. Zumindest kann man den Eindruck gewinnen, wenn heute noch Kirche in einem Gewand auftritt, das sich größtenteils in den letzten Jahrzehnten bis Jahrhunderten kaum verändert hat:

  • Es werden Lieder gesungen, die mehrere hundert Jahre alt sind.
  • Die Dienstkleidung von Pfarrerinnen und Pfarrern geht in die Zeit zurück, als Deutschland einen Kaiser hatte.
  • Das Instrument der Wahl, das in den mit Abstand meisten Kirchen gespielt wird, findet sich in den heutigen Charts nicht einmal unter “ferner liefen”.
  • Die liturgische Sprache ist eine Sprache, die heute kaum Alltagssprache ist.
  • Die Gebäude sind weder zweckdienlich noch nachhaltig im Blick auf Ökonomie und Ökologie, aber dafür oft mehrere Jahrhunderte alt.

So negativ das klingt: Ich mein’s noch gar nicht mal so negativ. Die Dinge können ihre Berechtigung haben – aber müssen immer hinterfragt werden, ob sie dem Auftrag dienen. Und der Auftrag ist simpel: Sich einklinken in die Mission Jesu und die bestand darin, was er selbst von sich sagte:

Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.Die Bibel - Lukas 19,10

Kirche und Gemeinde muss sich immer wieder die Frage stellen: Tun wir das uns Bestmögliche, um diesem Auftrag und dieser Sendung Jesu nachzukommen?

Und als zweite Frage:Sind wir als Kirche bereit, Veränderungen einzugehen und nicht einfach nur – wie die Raupe – alles in uns “reinzufressen”?

Und übrigens: Das gilt für JEDE Kirchengemeinde. Die Liste oben ist natürlich speziell aus meinem beruflichen Kontext, der Landeskirche, entnommen. Die Liste kann aber gefüllt werden von jeder Gemeinde, die ihre eigenen “reingefressenen Dinge” hat. Wir als Kirchengemeinde (www.wutachblick.de) beispielsweise haben – obwohl wir eine Gemeinde der Landeskirche sind – vieles der oben genanten Dinge abgelegt und einen Veränderungsprozess schon seit vielen Jahren (und Jahrzehnten) durchlaufen.

Veränderung tut weh

Das ist so. Das streite ich nicht ab. Das wissen wir schon bei der ganz natürlichen Veränderung, die ein Mensch durchläuft vom Kleinkind über Kind, vom Teenager zum Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vom Erwachsenen bis hinein ins Seniorenalter. Veränderung ist nie einfach – Veränderung tut weh.

Veränderungsprozesse in einer Kirchengemeinde schmerzen genauso.

  • Wenn der Gottesdienst ausgerichtet wird an Menschen, die Gott noch nicht kennen, spielen “liebgewonnene Traditionen” von langjährigen Kirchenmitgliedern eine untergeordnete Rolle, denn sie sind nicht Fokus der Veränderung.
  • Wenn der Gottesdienst nicht mehr morgens sondern am Sonntagabend stattfindet, dann wirft das gewohnte Tagesabläufe und Strukturen erst einmal gehörig durcheinander.
  • Wenn im Zuge der Digitalisierung man nicht mehr irgendwelche handgeschriebenen Post-Its als Gottesdienstablauf verkauft, sondern bspw. über ChurchTools sich organisiert, dann muss man sich da erst mal richtig reindenken.
  • Wenn im Gottesdienst nicht mehr (nur) die altehrwürdigen Choräle gesungen werden, sondern modere Lobpreislieder – dann werden viele Menschen einiges vermissen.
  • Wenn die musikalische Begleitung der Lieder durch zeitgemäße Instrumente erfolgt und nicht mehr durch die Orgel – dann ist das eine Challenge für viele, die sie bis an Grenzen führt, die sie nicht dachten zu haben.
  • Wenn den Pfarrer auf Grund von Veränderungen Emails erreichen, die in ellenlangen Ausführungen deutlich machen, weshalb diese ganzen Veränderungen umbiblisch und unmenschlich seien, dann braucht es Mut, dazu zu stehen.
  • Wenn aus “lebenslangen Hauskreisen” zeitlich terminierte Kleingruppen werden, stellt das manch einen vor die Frage, ob er Teil dieser neuen Kleingruppenkonzeption sein möchte.

Der Mensch ist ein paradoxes Wesen. Sein Leben lang unterliegt er (siehe die Entwicklungsstadien oben) Veränderung – aber wenn er es wählen kann, würde er Veränderung am liebsten aus dem Weg gehen. Denn Veränderung bedeutet: das Gewohnte zurücklassen, sich auf Neues einlassen, die Komfortzone verlassen und Veränderungsschmerzen zulassen.

Schönheit durch Veränderung

Kommen wir zurück zur kleinen Raupe Nimmersatt. Die meisten Raupen entlocken uns selten ein “Wow! Ist das ein wunderschönes Wesen!” Auf wenn ich zugebe: Viele Raupen sehen total faszinierend aus – aber für manche sind Raupen sogar eklig. Was uns aber einen Ausdruck des Staunens entlockt, ist ein wunderschöner Schmetterling – nach dem erfolgreichen Veränderungsprozess.

Und so glaube ich, dass eine Gemeinde, die durch Veränderungsprozesse geht, automatisch “schöner” wird und damit anziehender für Menschen, die Jesus noch nicht kennen. Nochmal: der Auftrag von Gemeinde ist der gleiche Auftrag bzw. die gleiche Mission, die Jesus hatte:

Der Menschensohn ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.Die Bibel - Lukas 19,10

Wenn wir uns in Gemeinde fragen, wie wir Menschen für Jesus erreichen können, dann werden Veränderungsprozesse am Ende aus der Gemeinde etwas Schönes entstehen lassen. Schönheit ist für Menschen immer attraktiv – und so wird es auch mit Gemeinde sein. Wir können viele Programme und Strukturen, Konzepte und Strategien entwerfen – das ist alles sinnvoll und nützlich, um die Dinge konkret werden zu lassen und nicht einfach nur als nette Gedankenspielerei dann doch irgendwo sang- und klanglos untergehen zu lassen.

Doch in erster Linie sollte uns bewusst sein: Wo Gemeine sich auf den Weg macht, ihre bisherigen Strukturen, Aktionen, Planungen, Traditionen und Äußerungsformen zu hinterfragen, um noch mehr Menschen für Jesus zu gewinnen, wird dieser Veränderungsprozess mit Schönheit und Erfolg gesegnet sein. Denn Veränderung ist in der DNA von Kirche angelegt, seit es Kirche gibt. Wirkliche Kirche, wirkliche Gemeinde Jesu ist immer sich verändernde Gemeinde, sich verändernde Kirche, weil Kirche nicht anders kann und nie anders konnte.

Deswegen ist dieses Bild der “kleinen Raupe Nimmersatt” ein für mich sehr starkes und inspirierendes Bild, wenn es um Kirche und Veränderung geht.

Vertraue darauf: Wo die auftragsorientiert (Lukas 19,10) Veränderungsprozesse in deiner Gemeinde anstößt, begleitest und leitest, wird es am Ende “schöner” sein als zuvor – auch wenn der Weg, die Verpuppung, bis dahin mitunter nicht so schön ist. Es lohnt sich! Bleib dran!


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