Es gab da mal so eine Grafik, die durch das Internet waberte. Jesus steht auf einem Berg und sagt die bis heute bekannten Worte: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!”
Aus der Zuschauermenge ruft einer: “Und wenn er Flüchtling ist oder schwul?” Darauf antwortet Jesus: “Hast du was an den Ohren?”
Ich finde diese Grafik genial!
Sie fordert heraus, den Nächsten wirklich zu lieben, ihn anzunehmen, ihn wertzuschätzen, ihm mit Respekt zu begegnen und ihn so zu behandeln, wie ich selbst gerne behandelt werden möchte – und das alles: Vollkommen unabhängig davon, was er glaubt, wie viel Geld er hat, mit wem er Sex hat, wie intelligent er ist, welche Hautfarbe er hat und von welchem Fußballverein er Fan ist (ok, gut, bei Letzterem kann es durchaus hart werden).
Ich habe den Eindruck, dass der Zwischenruf aus der Menge heute anders lauten würde.
Jesus: “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!”
Zuhörer: “Und wenn er geimpft ist?”
Jesus: “Hast du was an den Ohren?”
Zuhörer: “Und wenn er umgeimpft ist?”
Jesus: “Hast du was an den Ohren?”
Unsere Gesellschaft spaltet sich – und zwar nicht in die “Impfwilligen” und “Impfgegner” (ich finde beide Zuschreibungen vollkommen unpassend, aber diese beiden Kategorien sind allseits bekannt). Sie spaltet sich vielmehr in diejenigen, die den Nächsten lieben – unabhängig seines Impfstatus.
Wo sind wir hingekommen?
…dass der Status über eine Impfung dazu führt, dass der eine den anderen in die Arme schließt und den anderen wie einen Aussätzigen behandelt?
Ich finde es schlimm. Ich finde es tragisch, furchtbar und gesellschaftszersetzend. Es ist doch ein Unding, dass so etwas Privates und Intimes wie eine Impfung in aller Öffentlichkeit breitgetreten. Hatten wir nicht mal so etwas wie “Datenschutz” und “Schutz der Privatsphäre”?
Genauso ist es ein Unding, dass Menschen, die sich nicht impfen lassen, als “unsolidarisch” und “egoistisch” hingestellt werden. Das sind sie nicht. Sie haben Gründe.
Auch Menschen, die sich impfen lassen, haben Gründe dafür und das müssen Nicht-Geimpfte respektieren – ob sie es gut finden oder nicht – das ist ja genau der Clou an Nächstenliebe oder neudeutsch “Toleranz”.
Toleranz setzt doch gerade eine unterschiedliche Meinung voraus, die ich toleriere.
Achso – ich rede übrigens von der Corona-Impfung, aber das ist ja allen klar. Inzwischen gibt es scheinbar nur noch dieses eine Thema. Wie schauen wir in 10 Jahren darauf zurück?
Aber zurück. Wo sind wir hingekommen, dass der Status über eine Impfung dazu führt, dass unsere Gesellschaft immer mehr auseinander driftet und das Klima aggressiver wird? Es gibt verschiedene Gründe dafür, auf die ich hier nicht eingehen kann. Ich will lieber eine andere Frage noch aufwerfen:
Wo wollen wir hin?
Wenn wir uns jetzt schon gesellschaftlich an solch einer Frage spalten – wohin soll das noch führen? Und wenn jetzt schon Kirchen(vertreter) despektierlich über Menschen reden, die nicht ihrer Impf-Überzeugung sind – wie glaubhaft kommt dann noch der Appell zur Nächstenliebe bei den Menschen an?
Ich möchte gerne mich an einen Tisch setzen mit “Geimpften” und “Nicht-Geimpften”….halt. Stop! Merkst du, was hier passiert? Wir stecken Menschen in Schubladen. Wir teilen ein in “nicht geimpft” und in “geimpft”. Schwarz – weiß. Gut – böse. Richtig – falsch.
Das ist nicht im Sinne Jesu. Er selbst hat nicht nur gesagt “Liebe deinen Nächsten” sondern hat es in die Tat umgesetzt.
Wollen wir diese Spaltung weiter vorantreiben oder wollen wir Wege des Füreinanders und Miteinanders finden? Ich entscheide mich für Letzteres. Denn ehrlich: Es ist mir persönlich herzlich egal, ob mein Gegenüber geimpft oder nicht geimpft ist. Ich mache meine Sympathie für ihn nicht davon abhängig. Denn er wird seine Gründe haben – hast du sie schon herausgefunden?
Zwei Ohren ein Mund
Gott hat jedem Menschen zwei Ohren (mit denen wir hören) und einen Mund (mit dem wir reden) gegeben.
Gretchenfrage: Was könnte das für Auseinandersetzungen, Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten bedeuten?
Komm schon! So schwierig ist das doch nicht! Na? Erraten? Genau:
Wir haben zwei Ohren und einen Mund, weil wir doppelt soviel zuhören wie reden sollen!
Oh, wie würde das manches Gespräch vereinfachen, für Klärung sorgen und ein Miteinander ermöglichen.
Ich habe Menschen zugehört und mir ihre Argumente angehört, weshalb sie sich nicht impfen lassen. Ebenso habe ich vielen Menschen zugehört, die mit den Corona-Maßnahmen unserer Regierung alles andere als einverstanden sind. Ich habe ihnen zugehört.
Während ich ihnen zugehört habe und auch nach den Gesprächen habe ich eines festgestellt: Ihre Argumente kann ich nicht “einfach so” von der Hand weisen. Ich war nicht mit allem ihrer Meinung – beim besten Willen nicht. Aber nicht immer hatte ich gleich Sachargumente an der Hand. Aber ich habe ihnen gerne zugehört, weil es auch mein Denken verändert hat.
Mehrheit vs. Minderheit?
Inzwischen haben sich in Deutschland fast zwei Drittel gegen das Corona-Virus impfen lassen. Das bedeutet: es gibt eine Mehrheit und eine Minderheit. Vor einiger Zeit hieß es, wir benötigen 60% Impfquote im Land. Die haben wir erreicht. Sollte es jetzt nicht gut sein mit Impfaufforderungen und Kampagnen, mit Druck und Vorwürfen, mit Streit und Auseinandersetzungen?
Zu gelebter Toleranz und Nächstenliebe gehört, dass ich die Meinung der Menschen, die sich nicht impfen lassen möchten, respektiere und toleriere – gerade weil (nicht obwohl!) es nicht meine eigene Meinung sein sollte. Deswegen halte ich es für den absolut falschen Weg, nun mit 2G oder ähnlichem Druck auszuüben auf Menschen, die sich nicht haben impfen lassen. Schon durch die Kindererziehung wissen wir, dass Druck nicht das Mittel der Wahl sein sollte – und meistens dann auf den Tisch kommt, wenn ich keine Argumente (mehr) habe, die mein Gegenüber überzeugen könnten oder wenn ich mein Gegenüber nicht so annehmen kann, wie er oder sie ist.
Auch Kirchengemeinden müssen sich genau überlegen, wie sie mit den “unterschiedlichen Gs” (2G, 3G) umgehen. Vielleicht kann auch hier Jesu Aussage “Liebe deinen Nächsten wie dich selbst” eine schlichte aber wegweisende Hilfe sein.
Lasst uns einander lieben!
Ich schreibe das als einer, der sich hat impfen lassen. Und ich schreibe es als jemand, der darunter leidet, wie unsere Gesellschaft an dieser Frage zwischenmenschlich zerbricht. Logisch – wir haben noch andere große Themen, die wir durch den Wahlkampf täglich aufgetischt bekommen.
Aber die Frage nach dem “Impfstatus” einer Person ist etwas, das uns zwischenmenschlich in Freundschaften, Beziehungen und in der Familie immer wieder begegnet. Und wie schlimm ist es doch, dass wir Menschen schnell in die eine oder andere Schublade stecken und der Person einen Stempel aufdrücken, als ob es das Wesen dieser Person ausmachen würde, ob sie geimpft oder ungeimpft ist.
Lasst uns einander lieben! Unabhängig davon, wer geimpft ist oder ungeimpft ist und auch unabhängig davon, ob ich das weiß oder nicht.
Wenn dir “Lasst uns einander lieben!” ein bisschen too much ist, dann ergänze/ersetze es doch:
Lasst uns einander annehmen, wie wir sind.
Lasst uns einander respektieren.
Lasst uns einander wertschätzen.
Lasst uns einander annehmen als von Gott wunderbar erschaffene Menschen.
Trinkt ein Bier oder Kaffee zusammen, grillt was Schönes oder zieht euch ‘nen veganen Smoothie rein. Egal was. Aber redet miteinander. Und hört einander zu!
Ich finden den Artikel gut. Für mich alles nachvollziebar.
Zur Praxis:
Ich habe zwei Jobs. Ich arbeite für meinen 86-jährigen Vater und ich arbeite für einen Verband. Beim Verband habe ich eine Arbeitskolliegin, die sich aus teils für mich nachvollziebaren Gründen nicht impfen lassen will. Ich respektiere meine Arbeitskollegin zu 100 Prozent, auch weil sie nicht eine grundsätzliche Impfgegnerin ist. Dennoch: Man muss ja nicht immer alles im Leben verstehen können. Auf der anderen Seite muss ich gezwungener massen mit meinem (nochmals) 86-jährigen ebenfals wie ich geimpften Vater zusammenarbeiten. Das heisst, dass wir uns regelmässig treffen müssen. Abgesehen davon will ich mich mit ihm treffen, immerhin ist er mein Vater und wer weiss, wie viel Zeit uns noch bleibt. Nun stehe ich doch vor der Entscheidung. Entweder Ich trinke ungeschützt einen Kaffee mit meiner Arbeitskollegin und gehe damit bewusst das Risiko ein, mich und meinen Vater anzustecken oder ich unterhalte mich mit meiner Arbeitskollegin via Chat, via Videokonferenz und reduziere damit die Gefahr einer Ansteckung meines Vaters und mir. Ist es jetzt falsch, dass ich dem Schutz meines Vaters höhere Priorität gebe? Ist es jetzt falsch, dass ich von meiner Arbeitskollegin, wenn ein physisches Treffen unumgänglich ist, verlange, dass sie eine FFP2-Maske trägt oder sich vorgängig testen lässt?
Vielen Dank für den Artikel und den Kommentar.
Ergänzend und vielleicht als Antwort:
Den anderen höher Achten als mich selbst, ist den anderen zu lieben.
Bedeutet für mich, als Ungeimpfte. Ich trage gerne eine Maske oder teste mich, für den anderen.
Gute Ansätze für die Nächstenliebe. Entsteht aber daraus nicht auch eine Verantwortung für gesundheitlich “schwächere” Menschen.
Was ist mit chronisch Kranken? Mir sind in dem Artikel zu viele unbeantwortete Fragen. Etwas mehr kritisches Hinterfragen wäre der Sache zuträglich.