Ich glaube, dass es ganz menschlich ist, zu wachsen. In unterschiedlichen Bereichen unseres Lebens haben wir eigentlich keine Lust, schwächer und kleiner zu werden, sondern wollen stärker werden und wachsen.
Das betrifft als Christ natürlich auch unseren Glauben. Wir möchten gerne im Glauben wachsen, das bedeutet: Noch mehr in Jesus vertrauen, uns noch weniger von den Stürmen des Lebens ins Wanken bringen lassen, noch mutiger uns zu ihm bekennen und noch mehr Erfahrungen mit dem Heiligen Geist machen und das sein Wort, die Bibel, noch besser verstehen.
Bei allem finde ich immer wieder ein Verständnis von “geistlichem Wachstum” vor, das ich äußerst problematisch finde. Diese Form von “geistlichem Wachstum” beschränkt sich auf eine konsumierende Haltung. Das bedeutet, dass es quasi nicht genug Gottesdienste, Bibelstunden, Evangelisationen und sonstige Veranstaltungen geben kann, die ich besuche – zusätzlich zu meinem ganz persönlichen Bibelstudium zuhause.
In meinem Beruf als Pfarrer begegnet mir das dort, wo Menschen sich noch mehr “Lehre” und Bibelstudium wünschen, als sie ohnehin schon tun und ich mich manchmal frage: “Musst du nicht schon längst platzen, wenn du so viel in dich aufnimmst, aber so wenig weitergibst?”
Natürlich kann das eine nicht gegen das andere ausgespielt werden und ich glaube, dass wir einen ungeheuren Schatz haben mit der Bibel und vielen weisen und geisterfüllten Lehrern der Bibel – denn damit haben wir bspw. den Jüngern Jesu etwas voraus. OK, sie hatten das Alte Testament – aber sie hatten nicht die Geschichten um Jesus, die wir heute haben. Sie waren Teil dieser Geschichten. Sie waren Teil der Entstehung dieses biblischen Zeugnisses, das wir heute haben und das uns geistlich wachsen lässt.
Ich lese gerade “Die Bibel in einem Jahr” durch und mache dabei einige spannende Entdeckungen – gerade auch dort, wo ich meine, dass ich die Stellen schon so oft gelesen und sogar verstanden hätte. Scheint aber irgendwie nicht der Fall zu sein und so entdecke ich immer wieder Neues – und das ist wirklich cool.
Momentan lese ich das Markus-Evangelium und auf die Frage, wie man geistlich wachsen kann, habe ich hier (wieder) wertvolle Hinweise bekommen, dass das eben nicht durch eine rein passiv-konsumierende Haltung und ein passiv-konsumierendes Verständnis von “Glauben” geht.
Vollmacht
Im 3. Kapitel im Markus-Evangelium wird berichtet, wie Jesus seine 12 Jünger beruft.
Zwölf von ihnen erwählte er zu Aposteln. Sie sollten ständig bei ihm bleiben und von ihm lernen. Er wollte sie mit dem Auftrag aussenden, die Botschaft von Gott zu predigen und Menschen von der Macht der Dämonen zu befreien. (Markus 3,14-15)
Es gab kein Handbuch, keine Gebrauchsanweisung, kein Seminar oder Workshop. Es gab nur dieses Paradoxon aus “Bleiben und Gehen”, dessen verbindendes Element und auch Konsequenz die “Vollmacht” ist.
Die Jünger wurden nicht in eine Schule geschickt, denn aller Wahrscheinlichkeit nach, sind sie nämlich genau von selbiger mehr oder minder geflogen. Ihr großer Traum, dass sie einem Rabbi folgen und bei ihm in die (harte) Schule gehen können, wird sich wohl zerschlagen haben, da sie sonst nicht als Fischer (und in anderen Alltagsberufen) in ihren noch jungen Jahren arbeiten würden.
Und dann geschieht das Unglaubliche, dass sie eben nicht Bitten und Betteln müssen, dass der Rabbi Jesus sie aufnimmt und ihnen in seiner Milde und Gnade erlaubt, in seiner Nähe zu sein und in seinem Staub zu laufen – nein! Das Unfassbare geschieht und Jesus erwählt diese Männer zu seinen Jüngern! Und das geschieht durch “bleiben” und “gehen”, wie es in den Versen im Markusevangelium heißt: “bei ihm bleiben” und “aussenden”, genauer gesagt.
Bei Jesus zu bleiben und in seinem Namen zu Menschen zu gehen (um zu predigen und Dämonen auszutreiben) geschieht nur durch die Vollmacht, die er selbst seinen Jüngern gibt, aber es geschieht auch in der Vollmacht dessen, der gesagt hat:
Ich versichere euch: Was ihr auf der Erde binden werdet, das soll auch im Himmel gebunden sein. Und was ihr auf der Erde lösen werdet, das soll auch im Himmel gelöst sein. (Matthäus 18,18)
Jetzt meinen vielleicht manche, dass dieses “bei Jesus bleiben”, wie es von den Jüngern in Markus 3 berichtet wird, das Lesen der Bibel sei sowie diverse Predigten, biblische Vorträge und sonst noch mehr Konsumierendes. Sicher? Es kann sein, muss aber nicht sein.
Wenn Jesus sagt, dass er alle Tag bei uns ist, bis an das Ende dieser Welt (Matthäus 28,20), dann heißt das doch, dass er immer und überall und zu jeder Zeit bei uns ist und es keine Rolle spielt, wo wir sind – sondern wo er ist: nämlich bei uns. Das wiederum bedeutet aber auch, dass “bei Jesus bleiben” mehr ist als das, was wir vielleicht darunter verstehen.
Bei Jesus zu bleiben bedeute nicht nur, dass wir unsere Zeit in unserem Sessel haben, in der Bibel lesen und beten; dass wir sonntags morgens in den Gottesdienst gehen und den hoffentlich (spannenden) Predigten lauschen und dass wir noch an acht Abenden der Woche in einer Kleingruppe uns einem intensiven Bibelstudium hingeben.
“Bei Jesus bleiben” heißt: von ihm lernen – und das geschieht an so vielen unterschiedlichen Stellen unseres Lebens, oder um es noch präziser zu sagen: Das geschieht überall!
Das Entscheidende ist nicht das “Wo” und “Wie”, sondern das “Wofür” – und das wird dadurch beantwortet, dass wir bei Jesus bleiben, um mit seiner Vollmacht ausgestattet zu werden, die sich darin äußert, dass wir als Christen einen Unterschied in dieser Welt machen und dass wir etwas geben, das sonst niemand geben kann.
Als Christen sind wir nicht berufen, diese Erde ein Stückchen besser zu machen. Als Christen sind wir berufen, in der Vollmacht des Gekreuzigten und Auferstandenen zu leben und zu wirken.
Und sei dir sicher: Dadurch wirst du geistlich wachsen – aber wie! Denn das äußert sich in der zweiten Bewegung: im “aussenden” oder “gehen” oder ich nenne es im “Frucht bringen”.
Frucht bringen
Ein Kapitel weiter im Markusevangelium erzählt Jesus eine Gleichnisgeschichte. Ein Sämann sät den Samen – und der fällt auf ganz unterschiedlichen Boden: auf steinigen, auf dornigen, auf den Weg, auf fruchtbaren Boden. Jesus erklärt seinen Jüngern, was er damit meint und schließt seine Erklärung mit folgender Aussage:
Bei anderen schließlich ist es wie mit der Saat, die auf guten Boden fällt. Sie hören das Wort, nehmen es auf und bringen Frucht: dreißigfach, sechzigfach und hundertfach. (Markus 4,20)
“Frucht bringen” ist bei Jesus immer ein Ausdruck dafür, dass sich Menschen auf den Weg machen und sich aktiv einbringen, um Gottes neue Welt sichtbarer werden zu lassen hier auf Erden.
Es ist sozusagen das Gegenteil von “Hände in den Schoß legen” und meint ein aktives Bei-Jesus-Bleiben, ein Hören auf den Heiligen Geist, wohin er einen führen möchte und ein Befolgen dessen, was er sagt, um Menschen für Jesus zu gewinnen.
Und so wirst du geistlich wachsen, das verspreche ich dir. Wenn du dich auf den Weg machst, den Gott dir zeigt. Wenn du dich aktiv einbringst in deiner Gemeinde und in diese Gesellschaft und nicht nur die Hände in den Schoß legst (was aber natürlich auch mal sein darf). Es bedeutet, dass es beides braucht: Eine im positiven Sinne konsumierende Haltung, weil du in dich aufnehmen möchtest, was Jesus dir Gutes geben und tun will – und dich dann aber aufmachst und dich ganz aktiv einbringst in Gottes Reich.
Das kann ganz unterschiedlich aussehen, denn es hängt letzten Endes von den Gaben ab, die Gott dir geschenkt hat.
Wenn die Lehre deine Stärke ist, dann schau, dass du in irgendeiner Weise dazu beiträgst, dass Menschen die Bibel besser verstehen.
Wenn Beziehungen deine Stärke sind, dann schau, dass du in irgendeiner Weise etwas tust, wodurch du Menschen zusammen bringst.
Wenn Seelsorge deine Stärke ist, dann schau, dass du in irgendeiner Weise etwas tust, damit Menschen in ihren (seelischen) Nöten und in den Fragen ihres Lebens Hilfe bekommen.
Wenn die Diakonie deine Stärke ist, dann schau, dass du in irgendeiner Weise etwas tust, das Menschen in ihren (materiellen) Nöten und Sorgen hilft.
Wenn die Unterscheidung der Geister deine Gabe ist, dann schau, dass du in irgendeiner Weise dazu beiträgst, dass Menschen frei werden von okkulten Bindungen und der Macht des Teufels. Nur nebenbei bemerkt: In den ersten Kapiteln des Markusevangelium ist sehr, sehr oft von bösen Geistern und Dämonen die Rede, dass Jesus Macht über sie hat und dass es ein Merkmal der ersten Jünger war, dass sie Macht haben sollen über böse Geister.
Es spielt keine Rolle, welche Gabe Gott dir gegeben hat. Aber es spielt eine Rolle, ob du diese Gabe einsetzt und damit Gott die Ehre gibst und Menschen dienst.
Wieso du dann geistlich wachsen wirst? Die Antwort ist relativ einfach: Egal in welchem Bereich es sein wird, dein Glaube wird auf den Prüfstand gestellt werden: Ist das, was ich glaube, wirklich wahr? Hält mein Glaube den Prüfungen des Lebens Stand? Was, wenn Anfechtungen und Zweifel kommen, weil ich mit Situationen konfrontiert werde, die nicht einfach sind für mich? Wie erkläre ich jemandem, was ich glaube, der von Jesus noch nicht wirklich eine Ahnung hat und glaubt, das sei nur ein männlicher spanischer Vorname? Was, wenn in meinem Dienst “der Erfolg” ausbleibt?
Das alles wirst du nur erleben, wenn du dich aufmachst. Wenn du dich von Jesus senden lässt. Und du wirst in diesem Gesandtsein geistlich mehr wachsen, als wenn du nur eine konsumierend-passive Haltung einnimmst.
Die Mischung macht’s: Bei Jesus bleiben und dann bewusst dich senden lassen, Frucht bringen, in seiner Vollmacht – und du wirst geistlich wachsen und Erfahrungen machen, die du niemals mehr in deinem Leben missen möchtest.
Ich habe es selbst schon so oft erlebt, dass ich in Situationen gekommen bin, für die es keine Gebrauchsanweisung gibt. Dann geht nur eines: Vertrauen, dass Jesus stärker ist und in diesem Vertrauen einfach den nächsten Schritt gehen – auch wenn ich nicht immer wusste, ob es der richtige Schritt ist.
Und so bin ich auch schon durch manchen Zweifel, Anfechtung und Kampf hindurch gegangen. Manchmal nicht nur für kurze Zeit, sondern über Monate oder gar Jahre. Denn es kann passieren, dass dein Glaube auf den Prüfstand kommt, wenn du geistlich wachsen möchtest. Denn Wachstum heißt immer auch Abschied von Bisherigem, von Gewohntem.
Aber zu erleben, wie Jesu Worte nicht leer sind, sondern wie sie wahr sind und Vollmacht haben, das lässt mich immer wieder mutig nach vorne schauen im Vertrauen auf den, der sagt:
“Mir ist alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Darum geht zu allen Völkern und macht die Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin jeden Tag bei euch, bis zum Ende der Welt.” (Matthäus 28,18-20)
Und wenn du die einfachsten Schritte geistlichen Wachstums gehen möchtest, dann sprich doch mal mit Kindern über Jesus, über den Glauben, über Gott und die Welt. Sie werden Dir Fragen stellen, deren Antworten du nicht leicht finden wirst. Das wäre ja noch gar nicht so schlimm. Aber du wirst eines merken: Ob deine Antworten tragfähig und lebensnah sind – in gewisser Weise werden sie ein Spiegel deines Glaubens sein – ob dieser nämlich tragfähig und lebensnah ist.
[…] Mich beeindruckt das ungemein und ist genau das, was ich an “alten und nicht verbitterten Menschen” immer wieder feststelle: Die Beziehung zu Jesus ist ihnen so wichtig, dass sie keine Gelegenheit auslassen, im Glauben zu wachsen und diese Beziehung zu stärken – also: geistlich zu wachsen. […]
[…] In einem anderen Artikel gehe ich darauf ein, wie man geistlich wachsen kann. Vielleicht erkennst du auch darin: Es sind nicht die frommen Übungen, die mich geistlich wachsen lassen, sondern es ist meine Beziehung zu Jesus, das Wahr- und Ernstnehmen des Missionsbefehl und das Bewusstsein, dass ich als Christ immer und überall Teil seiner Mission in dieser Welt bin. […]