Das ist die Frage, die sich bis heute viele Theologen und andere Menschen stellen. Und heute an Karfreitag möchte ich versuchen, eine Antwort darauf zu geben.
Eine schwierige Auslegung
Sicherlich kann man das Kreuzesgeschehen ganz unterschiedlich deuten und es finden sich auch schon im Neuen Testament selbst unterschiedliche Facetten seiner geistlichen Bedeutung. Was ich persönlich jedoch eine sehr, sehr schwierige Auslegung finde, ist die Aussage, dass im Kreuz sich Gott auf die Seite der Leidenden stellt und damit zum Ausdruck bringen möchte, dass er uns in unserer Not sieht und sich zu den Schwächsten der Schwachen und den Ärmsten der Armen stellt.
Denn ganz ehrlich: Das tut er auch schon ohne Kreuz, was manche scheinbar vergessen. Schon im Alten Testament in der Gebetssammlung der Psalmen steht:
„Der HERR ist nahe denen, die zerbrochenen Herzens sind, und hilft denen, die ein zerschlagenes Gemüt haben.“ (Psalm 34,19)
Es ist also nicht das genuin Neue im Kreuzesgeschehen, dass Gott sich auf die Seite der Leidenden, der Armen, der Unterdrückten stellt. Und mal ganz ehrlich: Eine Kreuzigung war im römischen Reich die grausamste aller Todesarten. Oft haben Kreuzesopfer tagelang am Kreuz gehangen, ehe sie erstickt sind, weil die Atmung einfach nicht mehr funktionierte. Deswegen wurden ihnen oft die Beine gebrochen, wie auch den beiden Übeltätern, die mit Jesus gekreuzigt wurden (Johannes 19, 31+32). Denn so konnten sich die Kreuzesopfer nicht mehr abstützen und der Erstickungstod trat schneller ein.
Die Römer nutzten die Kreuzigung oft, um besiegte Feinde am Straßenrand zu kreuzigen und somit ihren Sieg zur Schau zu stellen, und nicht selten wurde ein solches Spektakel von Passanten frenetisch feiernd flankiert.
Und jetzt mal Hand aufs Herz: Sollte Gott sich denn so etwas ausgesucht haben, um zu zeigen, dass er auf Seiten der Schwachen und Zerbrochenen ist, wo er das in seinem Wort doch ohnehin schon längst unweigerlich klargemacht hat?
Würden wir das annehmen, dann heißt das: Um etwas, das ohnehin schon klar war, nochmals zum Ausdruck zu bringen, lässt Gott seinen Sohn auf grausamste Weise sterben.
Tut mir leid – aber das ist für mich grotesk und ich frage mich ernsthaft, weshalb diese Art der Auslegung vor allem von denjenigen forciert wird, die dem Kreuzestod als Sühnegeschehen nicht viel abgewinnen können, da es ihnen zu blutrünstig sei. Aha. Aber um eine Aussage, die ohnehin schon klar ist, nochmals zu unterstreichen, darf es blutrünstig werden oder was? Vielleicht bin ich auch zu einfach gestrickt – aber für mich ist das widersprüchlich.
Ein Weg aus der Hölle
Die zentrale Bedeutung des Kreuzestodes Jesu ist nicht die Solidarisierung Gottes mit den Schwachen oder ein Ausdruck dieser Solidarisierung, sondern einzig der Grund, dass es einen Weg aus der Hölle gibt; einen Weg aus der ewigen Gottesferne in die ewige Gottesgegenwart.
Viele fragen sich und mich immer wieder: Wie kann denn ein liebender Gott Menschen in die Hölle schicken? Und ich frage mich und manchmal auch den anderen: Tut er das wirklich? Schickt Gott Menschen in die Hölle?
Ist es nicht eher so, dass Gott durch den Tod seines Sohnes am Kreuz alles, aber auch wirklich alles, getan hat, damit wir aus der Hölle aussteigen können!? Einer der bekanntesten Verse im Neuen Testament steht im Johannes-Evangelium. Für viele – auch für mich – ist er sozusagen „das Evangelium auf einen Vers komprimiert“ und lautet:
„Denn Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.“ (Johannes 3,16)
Würde es keine Hölle geben, wäre dieser Vers sinnlos. Aber weil niemand ernsthaft behaupten kann, die Bibel wäre sinnlos, wird hier dem ewigen Leben ein Verlorengehen gegenübergestellt. Genauso aber die schlichte und einfache Aussage, dass wer an Jesus glaubt, vor dem Verlorengehen gerettet ist und ewiges Leben hat.
Und das alles hat seinen Grund darin, dass Gott der Welt seine Liebe zeigt, indem er seinen Sohn für sie hergab.
Unbeschreibliche Kraft und Schönheit
Dieses Geschehen ist für mich von unbeschreiblicher Schönheit und Kraft zugleich. Schönheit trotz allem Geschehen rund um das Kreuz. Ja, das ist ein bestialisches Geschehen – aber doch ist es auch ein wunderschöner Ausdruck einer Liebe, die sich nicht davor scheut, alles zu geben – wirklich alles. Wo wir Menschen doch sehr schnell mal kalkulieren bevor wir „alles“ geben, ist Gott bereit, alles für dich zu geben. Seinen Sohn und damit sich selbst. Wenn du dieses Geschehen in seiner Tiefe ergreifen möchtest, wirst du Stück für Stück die Schönheit darin entdecken, die sich dem körperlichen Auge verschließt aber von außerordentlicher Kraft für die Augen des Herzens strahlt.
Ein Gott, der dich so sehr liebt, dass er alles, was er hat, für dich hergibt. Wo gibt’s denn so was? Einzig und allein beim Gott der Bibel, der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart. Der sich nicht zu schade ist, sich für dich ganz hinzugeben. Der alles auch nur mit seinem Wort ins Dasein ruft und bei dem selbst die Natur auf seine Worte hört und sie befolgt. Der das Universum mit seinen unzähligen Galaxien und Sternen erschaffen hat, der uns Menschen kunstvoll und faszinierend in unser Leben geliebt hat. Dieser Gott stirbt für dich am Kreuz, die Mächte der Finsternis rotten sich zusammen und es verfinstert sich mitten am Tag der Himmel für drei Stunden (vgl. Matthäus 27,45).
Das alles, weil er dich liebt und sich danach sehnt, die Ewigkeit mit dir und nicht ohne dich zu verbringen. Ich finde das einfach nur unglaublich schön. Es gibt einen Gott, der mich so sehr liebt, dass er alles, was mich von ihm trennt, überwinden kann und will – weil ich es ihm Wert bin. Unfassbar.
Und das gibt mir Kraft. Unglaubliche Kraft. Zu wissen, da ist ein Gott, der sich nach mir sehnt, der sich freut, wenn ich Zeit mit ihm verbringe, der immer ein offenes Ohr für mich hat und der die Ewigkeit mit mir gemeinsam verbringen will – das gibt mir unglaubliche Kraft.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Kapitel 7 meines Buches “10 Dinge, die du besser nicht glauben solltest”, das im März im Brendow-Verlag erschienen ist. In diesem Kapitel erläutere ich zuvor den Begriff “Hölle” in seinen unterschiedlichen Bedeutungen und welche Relevanz dies für uns heute hat.