StartGedankenDarf man noch alles sagen?

Darf man noch alles sagen?

Eigentlich wollte ich diesen Beitrag gar nicht schreiben. Er lag monatelang als Entwurf in der Schublade und immer, wenn ich ihn sah, habe ich die Schublade wieder zugemacht und dachte: “Ach komm, das ist alles nicht so schlimm.”

Warum schreibe ich ihn nun aber doch? Weil es viel schlimmer ist, als ich dachte!

Natürlich – und das vorweg – darf man in Deutschland seine Meinung frei sagen. Das ist ein hohes Gut, um das uns viele Menschen und Nationen beneiden. Wir leben in einem Land, in dem keine Zensur herrscht – habe ich zumindest bis vor kurzer Zeit gedacht, aber so einfach, wie es sich anhört, ist es dann doch nicht.

Ich bin nicht tief drin in den Algorithmen unserer digitalen Welt und kann dir auf dieser Ebene nicht viel sagen, was Zensur betrifft. Natürlich habe ich auch schon oft gehört, dass bestimmte Inhalte auf bestimmten Plattformen weniger ausgespielt werden als andere Inhalte und habe den ein oder anderen Artikel dazu gelesen. Aber auf dieser Ebene schreibe ich diesen Artikel gar nicht. Ich möchte nämlich auf eine andere, eine geistige Art der Zensur eingehen.

Um es auf den Punkt zu bringen: Immer wieder schreiben mir Menschen Sätze, die fogendermaßen klingen – teilweise im Wortlaut, teilweise in diesem Sinne: “Ich würde gerne meine Meinung sagen zu bestimmten Themen. Aber wenn ich das mache, habe ich Angst, gecancelt und als Nazi abgestempelt zu werden.

Krank, oder? Ich meine, immerhin waren die Nazis für die Ermordung von Millionen Juden und anderen Menschen verantwortlich – aber heute wird das schnell ein Buzzword, ein Schimpfwort um sein Gegenüber zu diskreditieren. Analog dazu werden Begriffe wie “rechts”, “rechtsextrem” oder “rechtspopulistisch” verwendet. Meistens sind sie austauschbar. Was durch diese vermeintliche Stigmatisierung geschehen soll, ist klar: Die Person, welche angeblich “rechts”, “rechtsextrem” oder dergleichen ist, soll als “persona non grata” abgestempelt werden, weil sie eine Aussage trifft, die nicht der Meinung des Gegenübers entspricht.

Zensur in Deutschland

Natürlich ist das keine Zensur wie in Ländern, die von einer Diktatur beherrscht und niedergedrückt werden und die bestimmte Inhalte einfach nicht duldet oder sie verfremdet darstellt.

Aber jetzt stell dir vor, es gibt bestimmte Themen (welche das sind, beschreibe ich weiter unten), bei denen es ganz schnell unsachlich wird und so genannte “ad hominem”-Aussagen an der Tagesordnung sind. “Ad hominem”-Aussagen sind Aussagen, die “gegen den Menschen” gerichtet sind, also die mit der Sache an sich nur begrenzt etwas oder gar nichts zu tun haben, sich aber gegen die Person wenden, die diese Aussagen trifft.

“Wenn du das sagst, verletzt du meine (religiösen) Gefühle.”

“Du hast Ansichten, die sind maximal aus dem letzten Jahrhundert – wenn nicht sogar aus dem Mittelalter.”

“Durch diese Aussage positionierst du dich in einer rechtsextremen Ecke. Willst du da wirklich hin?”

“Diese Aussage ist intolerant und menschenverachtend.”

Was geschieht hier? Du wirst als Person angegriffen, du sollst als Person “ins Abseits gestellt werden” – neudeutsch nennt man das “canceln”. Sachlich hat dein Gegenüber noch gar nichts gesagt – aber als Mensch hat er dich verdammt.

In seinem Buch “Fremde neue Welt” drückt es Carl R. Trueman folgendermaßen aus:

Jemand, der die gleichgeschlechtliche Ehe ablehnt, unterscheidet sich nach der aktuellen Moralvorstellung nicht wesentlich von einem Rassisten. Die Zeit geht zu Ende, in der Christen von den üblichen Überzeugungen der säkularen Welt abweichen konnten und dennoch als anständige Mitglieder der Gesellschaft respektiert wurden.Fremde neue Welt, S.215

Jetzt will ich das überhaupt nicht auf Christen reduzieren – denn das Phänomen hat erst einmal gar nichts Religiöses, sondern etwas Gesamtgesellschaftliches an sich.

In seinem Buch “Generation Gleichschritt” geht Ralf Schuler diesem Phänomen auch auf den Grund und unter anderem kommt dort Anna Schneider von der WELT zu Wort und sagt:

Wie frei kann man also sprechen, wenn man nicht nur mit Kritik (die im Meinungskampf naturgemäß auch hart sein kann), sondern mit sozialer Ächtung oder gesellschaftlichem Ausschluss zu rechnen hat? […] Wagt man es, seine nonkonformistische Meinung zu äußern, neigen vor allem die Angehörigen des politisch linken Spektrums dazu, gar nicht erst in der Sache zu argumentieren, sondern mit Totschlagschmähungen wie “rechts”, “Rechtsradikal” oder gar “Nazi” um sich zu werfen.Generation Gleichschritt, S.146

“Canceln” ist also nichts anderes als der Versuch, durch “ad hominem”-Aussagen (ich vermeide ganz bewusst den Begriff “Argumente”, weil es keine sind) das Gegenüber zum Schweigen zu bringen – also zu zensieren.

Vor ein paar Tagen habe ich den Auftakt zur Predigtreihe “LGBTQ, Gender und Gemeinde” in unserer Kirchengemeinde gemacht. Im Anschluss daran habe ich sehr, sehr viele Messages bekommen, die allesamt folgenden Grundton haben: “Danke, dass du etwas sagst. Ich getrau mich das nicht mehr. Ich habe Angst, gecancelt zu werden.

Krass, oder? Falls du die Predigt anschauen willst:

Es ist alles andere als Ausdruck von christlicher Nächstenliebe und schon gar nicht von einer gesunden Demokratie, wenn Menschen, die einfach nur ihre Meinung sagen möchten, dies nicht mehr können, weil sie Angst haben. Punkt. Weil sie Angst haben! Wo sind wir hingekommen, dass die immer so liberal-freiheitliche Gesellschaft in Deutschland Menschen in Angst versetzt, wenn sie ihre Meinung sagen möchten? Es ist eine Katastrophe!

Ich muss dabei immer wieder an ein Vers aus dem Neuen Testament denken:

Nutzt die Gelegenheiten, die Gott euch gibt, denn wir leben in einer bösen Zeit.Epheser 5,16

Um die Rede- und Meinungsfreiheit ist es in Deutschland nicht gut bestellt.

Intoleranz und Zensur an Universitäten

Auffallend ist, dass gerade im Bildungsbereich und dem, was man das intellektuelle Milieu nennen könnte, diese Zensur und Cancel Culture auf ganz perfide Weise anzutreffen ist.

Jüngstes und ein richtiges Vorzeige-Beispiel sind die “Hochschultage an der Uni Tübingen” (www.hst-tuebingen.de) vom 10. bis 13. Juni 2024. Veranstalter sind unter anderem die Hochschul-SMD, Campus Connect und das Albrecht-Bengel-Haus.

Hochschultage habe ich während meines Studiums in Heidelberg auch mit veranstaltet. Meistens gehen sie eine Woche und es finden tagsüber sowie abends Veranstaltungen statt – oftmals geht es irgendwie um “Glaube und Wissenschaft” – klar, ist ja an einer Uni.

Die Veranstalter haben als Referenten unter anderem Jana Higholder und Dr. Dominik Klenk eingeladen. Diese beiden Referenten passen einem linksgerichteten Bündnis nicht, so dass dieses nun gegen diese Hochultage protestiert. Angeschlossen hat sich dem – wie könnte es auch anders sein – die evangelische Studentengemeinde in Tübingen. Diese hat mit der katholischen Hochschulgemeinde ein Statement verfasst, das du hier nachlesen kannst.

Ich zitiere einen kurzen Abschnitt, der deutlich macht, warum das ein Paradebeispiel für eine “ad hominem”-Aussage mit keinerlei Sachlichkeit aber dem Bestreben nach Zensur ist.

Die Evangelische Studierendengemeinde (ESG) und Katholische Hochschulgemeinde (KHG) beobachten mit Sorge, wie bei den sogenannten Hochschultagen unter dem Banner von Christ:innentum und Glaube Referent:innen eine Bühne geboten wird, die wiederholt antipluralistische, fundamentalistische, queerfeindliche und antifeministische Botschaften verbreiten. […] Auch betrachten wir es mit großer Sorge, wie fundamentalistisch-christliche Kreise offen als Brückenbauer:innen für rechts konservative bis rechtsextremistische Positionen fungieren. Jana Hochhalter, eine der prominentesten Redner:innen der sog. Hochschultage, hetzt in ihrem Podcast „In Zeiten wie diesen“ und auf ihrem Instagram-Account gegen Queere Christ:innen, Abtreibung und die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Im Verlag eines weiteren Referenten der sog. Hochschultage, Dominik Klenk, werden szenetypische Werke gegen den „Genderwahn“ und die „Islamisierung des Abendlandes“ publiziert.gemeinsames Statement der ESG und KHG Tübingen

Was fällt auf? Genau: sachliche Argumente gibt es keine. Die gibt es übrigens im gesamten Statement nicht. Aber man könnte schon fast Cancel-Bingo spielen: Es fallen die Worte “fundamentalistisch”, “antifeministisch” und “rechtsextremistisch”. Und das alles ohne einen einzigen sachlichen Beleg. Es wird lediglich verlinkt auf die Homepage des Verlages sowie das Instagram-Profil. Das war’s. Hier steht ziemlich viel Meinung für herzlich wenig Wissen im Raum.

Das Ziel ist vollkommen klar: Die Referenten und damit auch die Veranstalter sollen denunziert werden, sie sollen gecancelt und als “rechtsextremistisch” gebrandmarkt werden, damit ihr Inhalt zensiert wird, also nicht an eine breite Öffentlichkeit gelangt. Ich nenne das die “passive Zensur”, sprich: Durch das Canceln und Verbreiten von “ad hominem”-Aussagen, die das Gegenüber in eine “gewisse Ecke” stellen sollen, soll deren Inhalt nicht weiter beachtet und verbreitet bzw. als “schädlich für die Gesamtheit” betrachtet werden.

Das alles im Kontext einer Hochschule, also einem Ort, an dem Wissenschaft und Bildung groß geschrieben wird. Aber das, was in diesem Statement geschieht, ist Diffamierung und von einem sachlichen Diskurs meilenweit entfernt. Kein Wunder, dass dies immer wieder von denen ins Feld geführt wird, die selbst sich als bunt, divers und tolerant bezeichnen – nur solange, bis die andere Meinung nicht mehr in die eigene Meinung zu vereinnahmen ist. Dort hört für die “Toleranten” Toleranz auf – wobei sie gerade hier in Wahrheit erst beginnt.

Richtig lächerlich wird es dann, wenn in diesem Statement von “antipluralistisch” die Rede ist, das linke Bündnis aber nicht versteht, dass sie selbst mit ihrem Versuch der Zensur genau das tun: sie sind antipluralistisch, weil sie eine Meinung canceln möchten, die ihnen nicht passt.

LGBTQ, Klimawandel und konservative Wertepolitik

Kommen wir vom konkreten Beispiel wieder zurück auf eine allgemeine Ebene. Um welche Themen handelt es sich am meisten, wenn es um Cancel Culture und Zensur geht?

Prinzipiell kann man drei Kategorien feststellen, um die es geht. Da ist zum einen das Thema “LGBTQ” und alles, was damit zusammen hängt: Gendermainstreaming, Gendersprache, Gendersternchen, sexuelle Identität und das Aufgeben traditioneller sexualethischer Werte. Zum zweiten ist der Klimawandel ein ganz beliebtes Thema, weil es jeden Menschen betrifft. Aussagen, die ein gängiges Narrativ hinterfragen oder widerlegen (wollen), werden gecancelt. Und zuletzt sind es Themenfelder die man im Bereich einer konservativen Wertepolitik ansiedeln könnte: das Familienbild, Migrationspolitik und die Frage nach der Aufgabe und Wichtigkeit des Staates.

In allen drei Bereichen ist es für Christen, die sich auf dem Boden des historischen Christentums und nicht eines dem Zeitgeist angepassten Christentums bewegen, natürlich eine große Challenge. Rund um das Thema Gender und LGBTQ ist die Bibel sehr deutlich, dass es zwei Geschlechter gibt sowie das Verständnis, dass die Ehe ein lebenslanger auf Treue angelegter Bund zwischen einem Mann und einer Frau ist.

Wird dem Klimawandel der Status einer Weltanschauung oder Ersatzreligion eingeräumt, stehen Christen natürlich im Clinch damit, da es für sie nicht in Frage kommt, eine solche Frage (wie auch jede andere gesellschaftliche Frage) zum “status confessionis” zu erheben.

Wo der Staat als solcher delegitimiert wird oder zumindest in seinen Grundfesten hinterfragt wird, haben Christen ein echtes Problem. Staat und Regierung sind nicht per se negativ konnotiert in der Bibel – im Gegenteil:

 Gehorche der Regierung, unter der du lebst, denn sie ist von Gott eingesetzt. Alle Regierungen haben ihre Vollmacht von Gott. Wer sich also den Gesetzen des Landes widersetzt, der verweigert Gott selbst den Gehorsam und wird bestraft werden.Römer 13,1-2

Deswegen können Christen niemals Überzeugungen teilen, die den Staat als solchen in Frage stellen – egal aus welcher extremen Richtung diese Überzeugungen auch kommen mögen. Kritik dagegen ist absolut erwünscht und nötig, da gerade die momentane Bundesregierung alles andere als in einem “biblischen Sinne ” regiert – deswegen gilt es, Kritik zu üben und noch etwas zu tun, von dem Paulus im ersten Brief an Timotheus schreibt:

Vor allem anderen fordere ich euch auf, für alle Menschen zu beten. Bittet bei Gott für sie und dankt ihm. So sollt ihr für die Herrschenden und andere Menschen in führender Stellung beten, damit wir in Ruhe und Frieden so leben können, wie es Gott gefällt und anständig ist.1. Timotheus 2,1-2

Was also tun in einer Cancel Culture?

Ganz einfach: deine Meinung sagen! Wenn du es nicht tust, haben diejenigen gewonnen, die dich canceln wollen.

Als Christen beugen wir unsere Knie vor Gott – vor nichts und niemandem sonst. Das bedeutet auch, dass jeder zu seiner Meinung stehen soll und diese auch laut äußern darf – solange sie auf dem Boden unseres Grundgesetzes steht und wir niemanden damit verletzen oder diffamieren wollen.

Ich weiß: Das ist nicht immer einfach und es kostet Überwindung. Gleichzeitig gilt das, was Jesus seinen Jüngern gesagt hat im Blick auf das Eintreten für das Evangelium auch, wenn es um das Äußern der eigenen Meinung geht:

Und wenn man euch in den Synagogen und vor Herrschern und Beamten den Prozess machen wird, dann macht euch keine Sorgen darüber, was ihr zu eurer Verteidigung vorbringen sollt.Lukas 12,11

In diesem Sinne wünsche ich dir, dass du mutig und beherzt zu deiner Meinung stehst. Auch wenn du gecancelt werden solltest – sei’s drum. Das liegt nicht in deiner Hand. Gott kann auch aus den Dingen, die wir erst einmal als große Niederlage verbuchen, noch etwas Gutes, etwas Schönes und etwas Heilsames entstehen lassen.

Eine weitere Predigt, die ich dir ans Herz legen möchte, ist von Tobias Teichen (ICF München), die er ebenfalls am 09. Juni 2024 gehalten hat.


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1 Kommentar

  1. Natürlich ist es absurd mehr als zwei Geschlechter zu postulieren. Trotzdem gibt es viele Menschen, die sich mit ihrem Geschlecht nicht identifizieren können und deshalb unter der Gesellschaft leiden. Die gegenwärtige Gesellschaft bietet ihnen zwar die Möglichkeit gegen dieses Leid aufzubegehren, aber keine Hilfe. Aber auch die gegenwärtige Christenheit kann ihnen diese nicht geben, da es ihr an Verständnis für die Ursachen fehlender Indentifikation mit dem biologischen Geschlecht mangelt. Wir sollten deshalb gesellschaftliche Zustände weniger beklagen, sondern uns nach der Hilfe ausstrecken und diese an die betroffenen Menschen weitergeben. Zu lange haben wir Christen im Schlaf der Genügsamkeit verbracht. Wenn wir nicht aufwachen, wer dann? – Zu den Ursachen von LGBTQ+ habe ich einen kurzen wegweisenden Beitrag geschrieben. Er sollte beherzigt werden. (Leider ist es mir auf diesem Blog unmöglich den link dazu reinzustellen. Ich empfehle deshalb auf independent.academia.edu/ManfredReichelt zu gehen und dort den Beitrag “Zu LGBT” aufzurufen. Wer an dem springenden Punkt, infolge der christl. Tradition, nach Zweifel hat, sollte da auch meine anderen Beiträge lesen, damit immer mehr Klarheit in den christl. Glauben kommt.)

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