Er hat es wieder getan. Einmal mehr. Ein Buch hat er geschrieben, das inspiriert und fasziniert, das wachrüttelt, das Widerspruch erzeugt, das mit Vorsicht zu genießen ist. Rob Bell – spricht man seinen Namen etwas genuschelt aus, wird daraus “Rebell” – und das beschreibt seine Grundhaltung gegenüber theologisch konservativen Überzeugungen, die er einst auch vertrat, ganz gut. Wobei. Ich habe den Eindruck, dass uns in diesem Buch ein Rob Bell begegnet, der ein wenig auf die Bremse tritt und irgendwie ein wenig ausgewogener daherkommt als noch vor wenigen Jahren.

Ein Begeisterter begeistert

So würde ich zweifelsohne das beschreiben, was Rob Bell in diesem Buch tut. Er ist so dermaßen fasziniert von der Bibel, dass er es wirklich schafft, den Leser und die Leserin für dieses “uralte Buch”, wie es im Untertitel heißt, zu begeistern. Das fasziniert. Das inspiriert. Das lässt einen das Buch schier nicht aus der Hand legen. Hinzu kommt natürlich Bells Schreibstil, der wunderbar übersetzt worden ist und dazu beiträgt, dass man ein Kapitel nach dem anderen liest.

Was macht Bell in diesem Buch? Nun, eigentlich nichts anderes als biblische Geschichten auszulegen. Auf seine Art und Weise. Das heißt: Er kommt von A nach B nach C nach B nach D nach E nach A noch mal nach D nach E und zurück zu A. Welche Themen und Dimensionen Rob Bell anhand einer – manchmal unscheinbaren – Bibelstelle streift, sucht seinesgleichen.

Seine große Stärke ist die bildhafte Sprache. Vergleiche und Bilder, die Bell zur Illustration eines biblischen Sachverhaltes heranzieht, suchen wirklich ihresgleichen. Durch sehr alltagsnahe und jedermann verständliche Bilder versteht er es, biblische Zusammenhänge in unsere heutige Zeit zu setzen.

Vier Teile und Konfusion

Rob Bell gliedert sein Buch in vier große Bereiche:

Teil 1: Es steckt mehr dahinter

Teil 2: Das Wesen dieses Mehr

Teil 3: Wohin uns dieses Mehr führt

Teil 4: Die Fragen, die immer gestellt werden

Innerhalb dieser vier Bereiche macht Bell im Prinzip nichts anderes, als biblische Geschichten anzuschauen. Und zwar ganz genau. Er schaut zwischen die Zeilen. Er schaut auf das, was eben nicht geschrieben steht. Er entführt den Leser in die Kultur und Welt der damaligen Zeit, in das Denken und Leben der Menschen zur Zeit der Bibel sowie auch religionswissenschaftlich in die Kulte und Religionen der umliegenden Völker.

Vielleicht hast du dich immer auch schon ein wenig (zumindest!) an der (scheinbaren) Opferung Isaaks durch Abraham im 1. Buch Mose Kapitel 22 gestoßen. Gott will ein Menschenopfer? Echt jetzt? Nein! Will er nicht. Aber selbst wenn – was wäre so schlimm daran, denn für die Menschen der damaligen Zeit waren Menschenopfer durch die Kulte und Religionen der umliegenden Völker zwar nichts Schönes, aber zumindest nichts Extravagantes.

Das ist nur ein Beispiel, wie Bell es schafft, selbst schwierige biblische Geschichten so einigermaßen nachvollziehbar zu machen. Einigermaßen.

Aber ganz ehrlich: Rob Bell wäre nicht Rob Bell, wenn er nicht auch ein wenig konfus daherkommt. Aber das ist dieses “konfus”, das einem immer dort begegnet, wo jemand begeistert ist von einer Sache, ohne Punkt und Komma redet und in einem Moment auf den anderen plötzlich “ganz woanders ist”. Das ist Bell – und das ist faszinierend!

Nach wie vor fragwürdige Theologie

So weit so gut – ich empfehle das Buch dennoch nicht uneingeschränkt und bin ehrlich gesagt auch ein wenig verwundert, weshalb es bei Gerth Medien im Programm ist.

Der Grund erschließt sich, wenn man das Buch im Ganzen gelesen hat und feststellt, dass diese vier Teile, in die Bell sein Werk gliedert, nicht ganz zufällig gewählt sind. Im Prinzip spiegeln sie nämlich Bells geistliche/theologische Reise und Entwicklung der letzten Jahre wider. Und die würde ich schlicht so beschreiben, dass sich ein konservativ geprägter Pastor zu einem progressiven Theologen entwickelt hat, der nicht nur konservative Wertvorstellungen und theologische Einsichten abgelegt hat, sondern andere Menschen regelrecht ermutigt, das auch zu tun und sich nicht zu wundern, wenn andere Menschen sie dafür nicht verstehen.

Manche Stimmen, die einmal hilfreich für Sie waren, werden Sie in Ihrem Wachstum behindern, wenn Sie noch länger darauf hören. Es kann sich sogar anfühlen wie ein Rückschritt – weil es das auch ist. Die Bibel - faszinierend, einzigartig und voller Geheimnisse, S. 310.

Das ist nur eine von vielen Aussagen, die mich nach der Lektüre dieses Buches nicht nur fragend zurücklassen, sondern regelrecht verwirrt. Bell präsentiert liberal-progressive Theologie (was sich bspw. in seiner Annahme der Datierung einiger biblischer Schriften zeigt), deren großes Dilemma sich gerade in Teil 4 zeigt.

Bells Problem: Er gibt keine Antworten

Hier versucht Bell, häufig gestellten Fragen auf den Grund zu gehen. Sein Problem nur ist: Er gibt keine Antworten. Die kann er nämlich auch nicht geben, weil auf so existenzielle Fragen wie “Musste Jesus sterben” oder “Was ist Sünde” seinen seichten Bilder und Aussagen schlichtweg die Substanz fehlt. Seine Stärke wird hier zur Schwäche: Die Flucht in Bilder und Vergleiche, die noch hilfreich sind, wenn es um die Auslegung biblischer Texte geht, werden zum Verhängnis, wenn es um die Glaubwürdigkeit und Gültigkeit der Bibel als Wort Gottes geht.

Auf die Frage (im letzten Teil des Buches), ob die Bibel das Wort Gottes sei, antwortet Bell:

Ist die Bibel dann also das Wort Gottes? Ja. So wie viele andere Dinge auch.

Und wie würden Sie dann definieren, was Wort Gottes ist? Der kreative Akt, durch den Gott in und durch diese Welt spricht und so eine neue Schöpfung und neues Leben ins Dasein bringt.

Was meinen die Leute dann, wenn sie behaupten, dass diese Sammlung von Büchern, die von Menschen geschrieben wurden, Gottes Wort ist? Sie. betonen damit, dass sie diese Sammlung von Büchern für ein verlässliches Zeugnis darüber halten, wie das dauernde, sich entfaltende Wirken Gottes in der Welt aussieht.

Aber kann man das nicht auch durch jede Menge anderer Bücher, jede Menge anderer Worte, jede Menge anderer Erfahrungen erleben? Natürlich. Die Verfasser der Bibel reden davon sogar recht oft. Es ist, als ob sie ständig wiederholten: Mach die Augen auf, sieh dich um, lausche, sei aufmerksam. Gott spricht ständig – alles ist ein einziges Wort.

Dann ist also eine Hauptaussage dieser Büchersammlung die, dass es jede Menge von Worten Gottes gibt und wir auf sie alle hören können und auch sollten? Ganz genau.Die Bibel - faszinierend, einzigartig und voller Geheimnisse, S. 272+273.

Insofern ist dieses Buch leider nicht mehr als ein weiteres Werk eines Theologen, der eine geistlich-theologische Reise durchgemacht hat (oder immer noch dabei ist), die ihn von vielen biblischen Wahrheiten entfernt hat, er selbst dies natürlich als progressiv (ohne das Wort in den Mund oder in die Feder zu nehmen) sieht und diejenigen als ewig gestrig und nicht wohltuend abstempelt, welche diese Reise nicht mitgehen.

Schade. Es gibt so viele gute und schöne Absätze und Ansätze in diesem Buch – aber das Fundament ist verstörend. Leider.

Fazit

Empfehlen kann ich dieses Buch jedem, der sich selbst hinterfragen möchte und es aushalten kann, dass theologische Grundwahrheiten angezweifelt werden. Definitiv ist es keine leichte Kost und nicht geeignet für jemanden, der neu im Glauben ist. Es bedarf ebenso einer gewissen theologischen Grundbildung oder Grunderfahrung, um Bells teilweise fragwürdigen Aussagen einordnen zu können.

Ebenfalls ertragen muss man ein teilweise recht unsachliches “Bashing” theologisch konservativer Positionen, das teilweise als Projektionsfläche seiner Thesen dient. Wer sich momentan in der theologischen Debatte bewegt, wird darüber aber nicht verwundert sein, da dieses Muster auch im deutschsprachigen Kontext bei manchen “progressiven Theologen” immer wieder vorkommt.

Nachdem sich in der Vergangenheit einige Thesen Bells als unwahr herausgestellt haben (bspw. der Ausdruck “Im Staub des Rabbi laufen”, worüber es einige Ausführungen im Internet gibt), gilt es darüber hinaus, auch dieses Buch mit Vorsicht zu genießen.

Die Bibel - faszinierend, einzigartig und voller Geheimnisse
320 Seiten
ISBN: 9783957345165
Verlag: Gerth Medien
Preis: 18,00 EUR
Überblick der Rezensionen
Lesbarkeit
Erscheinungsbild
Relevanz
die-bibel-faszinierend-einzigartig-und-voller-geheimnisseEin leidenschaftliches und inspirierendes Buch. Man könnte auch sagen: Ein Plädoyer für die Bibel, wenn da nicht Bells Schriftverständnis wäre, das in der Bibel weniger das (!) geoffenbarte Wort Gottes sieht als eines von vielen Worten Gottes.

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.