Ein Buch zur richtigen Zeit: Entschwörung! Was hätte ich dieses Buch doch gerne schon vor einem Jahr in den Händen gehalten. Es hätte mir jede Menge Frust erspart! Ja, ich meine Frust. Ich meine nicht Schuld und Streit. Denn es gehören immer zwei Parteien dazu. Ich will nicht unterteilen in “Gut und Böse” – aber die Wirkung dieses Buches ist eine entwaffnende und auf das Aufrechterhalten von Beziehungen zielend.
In unserer Zeit fehlen die Zwischentöne, die Grautöne. Die Schubladisierung und Kategorisierung, der Fingerzeig auf “die anderen” und das Fällen von Vorurteilen ist inzwischen alltäglich geworden und wird selten hinterfragt. Da machen auch die Medien keinen Hehl mehr draus – man höre sich nur einmal wertende Zuschreibungen in Berichten über die Corona-Pandemie an.
Wie wohltuend ist dieses Buch! Wie hilfreich ist dieses Buch! Wie deeskalierend wirkt dieses Buch.
Aber der Reihe nach.
Verschwörungstheorien und Skepsis
“Ja aber man darf das doch noch in Frage stellen!” Immer wieder höre ich diesen Satz und immer wieder liegt er auch auf meiner Zunge. Und ja: Man darf! Ich finde es äußerst gut und hilfreich, dass und wie Andreas Hahn differenziert zwischen gesunder Skepsis und der Gefahr von Verschwörungstheorien. Hahn ist ist Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche von Westfalen und schon lange – nicht erst durch die Corona-Pandemie – auf dem Gebiet der Verschwörungstheorien bewandert.
Wahrscheinlich ist es seine langjährige Berufserfahrung und Auseinandersetzung mit dem Thema sowie die vielen Begegnungen und Gespräche, die er geführt hat, die beim Lesen schnell merken lassen: Hier schreibt ein Fachmann – aber so, dass ich es auch verstehe!
Hahn geht im Buch auf seine “TOP 10” Verschwörungstheorien ein – sei es Corona, die Mondlandung oder….Bielefeld. Ja genau. Und das ist ein weiterer Pluspunkt des Buches: Hahn verschanzt sich nicht hinter seinem Wissen und einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema, sondern schreibt sehr alltagsrelevant und lebensnah.
Zu Beginn des Buches schildert Hahn, wie es zu Verschwörungstheorien kommt. Wer sich mit Anhängern solcher Theorien schon auseinandergesetzt hat, weiß wie Recht Hahn hat, wenn er schreibt:
Debunking
Zugegeben: Ich habe das erste Mal von diesem Begriff gehört. Was versteckt sich dahinter? Der Begriff kommt aus dem Englischen und bedeutet nichts anderes als “Entlarven”. Es geht also darum, Verschwörungstheorien als solche zu entlarven. Hahn gibt dazu ganz konkrete Aussagen und Fragen an die Hand, durch die Aussagen, die einem “irgendwie komisch vorkommen” auf ihren Faktengehalt hin geprüft und gegebenenfalls als Verschwörungstheorie entlarvt werden können. Kurzum: Diese Seiten sind die Antwort auf die Frage von so vielen: “Wie um alles in der Welt erkenne ich denn, ob es sich um eine Verschwörungstheorie handeln oder nicht?”
Sicherlich ging es dir – und Hahn spricht das in seinem Buch ebenso an – zuweilen schon so, dass du dachtest: “Was mein Gegenüber sagt, hinterlässt ein komisches Gefühl bei mir – aber er klingt so eloquent, ich habe dem nichts entgegenzusetzen.” Das Buch “Entschwörung” liefert genau diese Tools, Fragen und Gesprächsideen, die nötig sind, um in einer Konversation vom diffusen Bauchgefühl zu einer rationalen Beurteilung der Theorie meines Gegenübers zu kommen.
Im Mittelteil des Buches kommt Andreas Hahn, Sekten- und Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Kirche Westfalen, auf den christlichen Glauben und seinen Zusammenhang mit Verschwörungstheorien zu sprechen. Darin finden sich einige kleine “Nuggets”, die auch deutlich machen, weshalb der christliche Glaube keine Verschwörungstheorie ist, weshalb aber andererseits in manchen christlichen Kreisen ein größerer Hang zu Verschwörungstheorien vorhanden zu sein scheint als in anderen Kreisen.
Was ist da los mit dem Berliner Flughafen BER?
Und dann wird das Buch richtig cool. Andreas Hahn skizziert eine Verschwörung rund um den sagenumwobenen Berliner Flughafen BER. Natürlich werde ich diese hier nicht wiedergeben. Aber es ist großartig. Denn er konstruiert nicht nur eine Verschwörungstheorie, sondern schriebt zwischen den Zeilen, wie diese Theorie rezipiert werden kann und gelangt bis ins Abstruse hinein – sehr augenöffnend, wie “einfach” es manchmal zu sein scheint, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Diese Seiten zu lesen, sind für sich genommen schon eine Delikatesse. Mit den Seiten davor wird dieses “Fallbeispiel” zu einem regelrechten Augenöffner und großartigen Hilfsmittel.
Oder mit den Worten Hahns: “Entschwörungskompetenzen entwickeln”:
Dies bietet den Vorteil, dass sie bislang unbekannt ist und sich noch keine verbreiteten und dann übernommene Meinungen dazu gebildet haben. Das, was man dort erkannt hat, lässt sich dann natürlich leicht auf bekannte Verschwörungstheorien übertragen. Entschwörung, S.130
Und dann: Viel Spaß mit der ausgedachten Verschwörungstheorie, die in so vielfacher Hinsicht ein Augenöffner sein wird. Versprochen!
Großartiger Ratgeber
Das Buch endet mit konkreten Tipps für Gespräche. Als ich diese Tipps das erste Mal las, hatte ich mir gewünscht, diese schon vor diversen Gesprächen, die ich geführt habe, gelesen zu haben. Diese Tipps sind einfach nur wunderbar. Sie sind praktisch, anwendbar, mitten aus dem Leben und was mich begeistert, ist die Grundhaltung Hahns: Es geht immer um mein Gegenüber als Mensch, Mitmensch oder Freund. Es geht nicht darum, mein Gegenüber abzulehnen oder zu “verdammen”, mag er noch so krude Verschwörungstheorien vertreten. Die Beziehung zu meinem Gegenüber aufrechtzuerhalten ist das A und O.
Verschwörungstheorien? Herr Brunner, bitte seien Sie mir nicht böse. Aber sind wir bei dem Thema nicht wieder an der Stelle “ich bin auf der guten Seite, die anderen sind die Bösen”?
Mich erschreckt diese Schubladisierung, weil es zwischenzeitlich üblich ist alle die Kritik äußern als Verschwörungstheoretiker hinzustellen. Ist man gegen die Impfpflicht, ist man Verschwörungstheoretiker. Ist man schockiert dass das die ursprüngliche Versprechen von Virologen “Durch Impfen besiegen wir den Virus”, schlicht gelogen war, ist man Verschwörungstheoretiker. Kritisiert man die Schließung der Schulen, weil man befürchtet, dass bei den Kindern mehr Schaden angerichtet wird als es notwendig ist, ist man Verschwörungstheoretiker.
Kritisiert man die Energiepolitik mit Hinweis auf die fatale Fehlentscheidung sich auf Putin einzulassen, ist man Verschwörungstheoretiker. Kritisiert man den Atomausstieg weil man die Versorgungssicherheit nicht gewährleistet sieht, ist man Verschwörungstheoretiker.
Etc…
Kritiker werden als Verschwörungstheoretiker hingestellt und das erschreckt mich.
Hallo Herr Neudorfer!
Ich bin Ihrer Meinung: Kritiker sind keine Verschwörungstheoretiker! Wer die Impfpflicht kritisiert (und das mache ich auch), ist kein Verschwörungstheoretiker.
Aber – das hat doch alles weder mit dem Buch noch mit meinem Beitrag zu tun. In keiner Weise habe ich das im Beitrag geschrieben, dass jemand “auf der guten” und jemand “auf der bösen” Seite wäre, geschweige denn, dass man Maßnahmen nicht kritisieren dürfe. Ich sehe, dass Sie jede Menge ganz genereller Meinung hineinlesen in den Beitrag. Aber ich empfehle, erst einmal das Buch zu lesen.
Liebe Grüße,
David Brunner