Als Leiter einer Gemeinde sehe ich mich permanent Entscheidungen gegenüber. 80% treffe ich intuitiv – das tun wir Menschen jeden Tag: Wir putzen unsere Zähne und müssen nicht erst ein Gremium einberufen, das uns sagt, mit welcher Hand wir die Zahnbürste halten, in welche Richtung wir die Zahnpasta auftragen, ob wir uns dabei im Spiegel ansehen und wie viel Wasser wir zum Ausspülen nehmen. Wir treffen Entscheidungen intuitiv. Auch als Leiter.
Spannend und herausfordernd, manchmal auch bis an die Grenzen bringend sind aber die 20%, die übrig bleiben. Entscheidungen, die wir angesichts einer Herausforderung treffen müssen, die uns auf den ersten Blick vielleicht sogar zu groß erscheint. Aber es hilft nichts: Weglaufen ist keine Lösung, Nicht-Entscheiden ist auch eine Entscheidung. Also: Wir müssen Entscheidungen treffen. Aber wie nun trifft man als Leiter in solchen Situationen eine weise Entscheidung?
1.Bitte Gott um Weisheit!
Es gibt keine Herausforderung, die für Gott zu groß wäre! Frag ihn, was seine Sicht der Dinge ist. Frag ihn, was er dir offenbaren möchte. Und dann sei still, höre hin und setze um, was Gott dir sagt.
Ok, wenn’s denn so einfach wäre. Wie gerne hätten wir eine Message vom Himmel oder dergleichen, in der ganz klar und deutlich steht, was Gott möchte. In 99% der Fälle ist es aber gar nicht mal so klar – meinen wir! Denn in Wirklichkeit ist es klarer, als wir oft meinen – nur fehlt uns das, was ich unter 5. ansprechen werde.
Der Heilige Geist wird schon reden – darauf kannst du dich verlassen. Recht eindeutig steht das im Neuen Testament:
Wenn du also vor einer großen und schwierigen Herausforderung stehst, dann bitte als erstes den Heiligen Geist um Weisheit. Und jetzt kommt der vielleicht etwas ernüchternde Teil: In der Regel wirst du das nicht nur einmal tun. Sondern sehr oft. Aber sei dir sicher: Wenn du es nicht tust, wird’s nicht besser.
2. Keine spontane Reaktion!
In meinen Anfangsjahren als Leiter einer Gemeinde habe ich hin und wieder einen Fehler gemacht: Ich wurde vor eine große Herausforderung gestellt, bekam eine schwierige Anfrage oder musste zu etwas Stellung beziehen. Was habe ich gemacht? Sofort reagiert. Und das war ein großer Fehler. In den ersten Momenten, in denen du dich einer großen Herausforderung gegenüber siehst, wird nicht dein Verstand, nicht deine Weisheit, nicht dein Wissen adressiert – sondern deine Emotionen. Und in den ersten Momenten wirst du genau aus diesen heraus reagieren. Und lass es mich ehrlich sagen: Emotionen sind und bleiben schlechte Ratgeber.
Wenn du vor eine große Herausforderung gestellt wirst, dann kannst du deinem Gegenüber immer noch antworten und ehrlich sagen: “Vielen Dank, dass du mich hier ins Vertrauen mit einbeziehst. Ich sehe, das ist keine leichte Angelegenheit. Ich muss und will mir dafür Zeit nehmen und melde mich wieder bei dir. Aber mir ist das Thema XY zu wichtig, als ich darauf jetzt spontan reagieren kann. Vielen Dank für dein Verständnis.”
Und weißt du was? In der Zwischenzeit habe ich etwas erkannt: Nicht ein einiges Mal hat mein Gegenüber sich beschwert, dass ich nicht sofort reagiere und mit einer Lösung oder Antwort auf das Problem daherkomme. Die Menschen merken nämlich eines: Wer sich Zeit nimmt für eine Angelegenheit, sieht die Wichtigkeit und manchmal auch Schwere, die in der Sache liegt. Schnellschüsse sind oberflächlich und torpedieren Prozesses vollkommen unnötig und beschädigend. Ich spreche aus eigener Erfahrung nämlich nicht nur aktiv (inzwischen habe ich ja dazu gelernt), sondern auch passiv. Wenn Entscheidungsebenen über dir dieses Fehlverhalten an den Tag legen, wird es äußerst mühsam. Das ist dann wie im Straßenverkehr: Du kannst dich 100% an die Verkehrsregeln halten – wenn ein Raser unterwegs ist und in dich hinein rast, kannst du nichts mehr tun.
Aktiv aber wiederum kannst du in schwierige Herausforderungen und Prozesse weise und bedacht einwirken, indem du nicht “aus dem Bauch heraus” entscheidest, sondern dir Zeit nimmst.
Ich habe für mich eine ganz simple Regel bei Anfragen, Emails, Anrufen oder Gesprächen, durch die eine schwierige Situation entsteht: Ich schlafe mindestens (!) eine Nacht über die Sache und werde nicht vor dem nächsten Tag eine Antwort darauf geben – außer der oben erwähnten Reaktion.
3. Berate dich mit anderen!
Wenn die Herausforderung oder der Prozess dann doch weit größer, belastender, herausfordernder und verworrener ist, als du anfangs dachtest, dann ist es nicht nur keine Schande, sondern es ehrt dich, wenn du dich mit anderen Personen besprichst.
Für mich ist das in erster Linie mein Kollege, für den ich Gott unglaublich dankbar bin, ihn an meiner Seite zu haben. Abgesehen von unserer Liebe für zwei rivalisierende Fußball-Clubs ist es ein Segen, ihn an meiner Seite zu haben. Als nächstes kommt natürlich sofort mein Ältestenkreis, also die Gemeindeleitung mit allen Ältesten und Hauptamtlichen der Gemeinde. Was haben wir schon an Stunden, Extra-Sitzungen und sicherlich auch der ein oder anderen kurzen Nacht hinter uns, weil es immer wieder Themen gibt, die wir gemeinsam durchringen.
Warum? Weil meine Ältesten einfach der Hammer sind! Ihre Weisheit, ihre Einheit in der Unterschiedlichkeit, ihre differenzierte Sicht auf die Dinge, ihre Stärken, wo ich Schwächen habe – all das zusammen ist ein großer, großer Segen bei langwierigen und herausfordernden Prozessen in der Gemeindearbeit.
Aktuell ist das beispielsweise die Frage nach der Besetzung von 1 1/2 ausgeschriebenen Stellen für unsere Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben Gespräche mit Bewerbern geführt und es ist total faszinierend und sehr erhellend, unterschiedliche Sichtweisen und Eindrücke von den Gesprächen zusammen zu legen und zu sehen: Wir ziehen als Gremium voll und ganz an einem Strang. Und doch sind wir unterschiedlich, legen auf Unterschiedliches wert, nehmen andere Menschen unterschiedlich wahr und haben selbst unterschiedliche “Schwerpunkte”.
So ist der Eindruck aus diesen Gesprächen gespeist aus verschiedenen Eindrücken – und ich bin gespannt, welche Entscheidung wir (bald) treffen werden (und wenn der Artikel schon eine Weile im Netz steht “getroffen werden haben”) – aber eines weiß ich: Es wird eine nachhaltige, belastbare und exzellente Entscheidung sein, weil ich sie nicht alleine getroffen habe, sondern mich mit anderen beraten habe.
4. Nimm Expertenrat an!
Tja, und das ist ein Knackpunkt, den viele leider überspringen mit fatalen Folgen. Ob es eher “Sachfragen” sind wie Gebäuderenovierung, die Installation einer neuen Heizungsanlage im Gemeindehaus oder die Frage nach einem Netzwerk im Gemeindezentrum oder ob es Personalfragen sind, geistliche Fragen oder die großen theologischen, richtungsweisenden Fragen der Gemeindeentwicklung: Es gibt auf allen Fachgebieten Experten.
Wieso fragst du nicht einen Experten um seine Einschätzung, seine Erfahrung und sein Know-How? Keine Sorge: Das geht in unserem Zeitalter recht einfach durch Telefonate, Skype, Blogartikel, Podcasts oder natürlich auch ein persönliches Treffen.
Manchmal ist die Lücke zwischen Herausforderung und Lösung unser Stolz. Dann lass einen Experten doch die Brücke werden.
Gott hat mich mit Gaben und Fähigkeiten gesegnet – das Handwerkliche ist es definitiv nicht. Da war schon Ausverkauf, als er mich erschaffen hat. Wenn wir in der Gemeinde ein Bauprojekt (egal welcher Größenordnung) vor uns haben, dann bin ich der erste, der den Bauausschuss auf die Tagesordnung holt. Ich selbst könnte wirklich nichts Substantielles dazu beitragen – schon gar nicht, wenn am Tisch andere sitzen, die das können. Warum also soll ich mir eine Lösung überlegen, die nicht tragfähig (im wahrsten Sinne des Wortes) ist während andere nicht über die Lösung, sondern schon längst über die Umsetzung nachdenken?
5. Sei mutig!
Für mich ist es ein uralter Ratschlag, den Martin Luther seinem Freund Philip Melanchthon 1520 in einem Brief schrieb und den mein Vater mir auf meinen Weg mitgegeben hat, als es schon früh darum ging, Entscheidungen zu treffen:
Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer.Martin Luther
Natürlich hat Luther einen anderen Sündenbegriff als der, den wir heutzutage oft haben und der “Sünde” schnell als etwas “moralisch Verwerfliches” darstellt. Was Luther – meines Erachtens – hier meint, ist nicht, sich bewusst gegen Gott zu stellen. Sondern vielmehr an dem Punkt, an dem alle Argumente gehört, alles “Für und Wider” abgewogen und alle worst case-Szenarien durchgespielt sind, eine Entscheidung zu treffen – aber noch entscheidender zu glauben, dass Gott sich mit auf den Weg macht, diese Entscheidung durchzufragen oder auch Türen zu schließen, wenn es doch die falsche Entscheidung war.
Nun kommt der Zettel mit der Lösung wie oben schon erwähnt nicht vom Himmel – also müssen wir mutig sein. Entscheidungen treffen.
Tapfer.
Kühn.
Mutig.
“Pecca!” ruft uns Luther zu.Und da passt es doch, wie das Zitat Luthers weitergeht:
…aber glaube noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!Martin Luther
So können weise Entscheidungen getroffen werden mit der gewissen Ruhe und dem inneren Frieden, dass die Entscheidungen nicht alleine getragen werden, sondern dass Jesus sie mitträgt, mitgeht und mitverändert, wenn eine Nachjustierung von Nöten ist.
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