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Die Kunst des Leitens XI: Die Frage nach dem “Warum”

Kennst du den “Goldenen Kreis”? Er ist so simpel wie bahnbrechend. Stell dir drei konzentrische Kreise vor. Der innere Kreis steht für das “Warum”, der nächste Kreis für das “Wie” und der äußerste der drei Kreise für das “Was”. Das Ganze ist nicht von mir, sondern von Simon Sinek (www.simonsinek.com), seines Zeichens einer der einflussreichsten Denker und Vorreiter der heutigen Zeit – für Menschen, die nicht stehenbleiben wollen.

Organisationen – und damit auch Kirchen und Gemeinden – agieren oft auf dem äußeren (WAS) Kreis, ohne die beiden inneren Kreise (WARUM und WIE) geklärt zu haben. Gemeinden agieren schnell und manchmal schon reflexartig, eine Antwort auf das “Was” zu finden anstatt sich um das “Wie” und das “Warum” zu kümmern.

Dabei ist es viel, viel wichtiger, sich der Frage zu stellen: Warum machen wir, was wir machen? Warum sind wir, wie wir sind? Das “Warum” fragt nach der eigenen Motivation, dem Antrieb, dem “Dahinter”, dem Grund.

Und ich dachte mir so: Meine Güte, wie wichtig ist das für Kirche – und wie erschreckend, wenn man Simon Sinek ernst nimmt im Blick auf den “Status Quo” vielerorts.

Sinek verdeutlicht in seinem Buch “Frag immer erst: Warum” am Beispiel von Apple, was es bedeutet, sich auf das “Warum” zu fokussieren – und dann erst das “Wie” und “Was” anzugehen. Er beschreibt die Frage nach dem “Warum” als den entscheidenden Erfolgsfaktor – nicht nur bei Apple.

Als Pfarrer und Leiter lerne ich gerne von den Besten – und dazu gehört Sinek. Nein, er ist kein Theologe – und das ist gut so, sonst wären seine Ideen wahrscheinlich auch nicht so gut. Ist einfach so. Das Meiste, was Kirche lernen kann, sagt sie sich nicht systemimmanent, sondern tut gut daran, Menschen zu Wort kommen zu lassen, die nicht “vom Fach” sind.

Ich werde im Folgenden drei Zitate aus dem Buch “Frage immer erst: Warum” verwenden, um aufzuzeigen, weshalb diese Frage auch für Gemeinde und Kirche so wichtig ist – und werde diese drei Zitate jeweils mit einer Frage einleiten. Denn wie oben schon gesagt: Ich glaube, dass Sinek “uns” (also der Summe an Gemeinden, Kirchen, Leitungsebenen) jede Menge sagen kann – wer hören will, der höre!

Spiegelt das Äußere das Innere wider?

“Es ist nicht, was Apple tut, was das Unternehmen vor anderen hervorhebt. Es geht darum, warum es das tut. Seine Produkte sind der sichtbar gewordene Ausdruck des inneren Beweggrunds.” aus 'Frag immer erst: Warum' von Simon Sinek

Ich liebe diese Formulierung: “Der sichtbar gewordene Ausdruck des inneren Beweggrunds

Drückt das, was in deiner Kirche und Gemeinde stattfindet das aus, was dich tief im Inneren bewegt? Spiegelt also das Äußere das Innere wider? Oder anders formuliert: Wenn Menschen deine Gemeinde “betreten” – egal ob Gottesdienste, Kleingruppe oder Event – können sie daraus folgerichtig auf das schließen, was ich tief im Inneren bewegt?

Nehmen wir doch mal das Aushängeschild (oder zumindest sollte es dieses sein) einer Gemeinde: den Gottesdienst. Menschen kommen das erste Mal in den Gottesdienst, erleben die Musik, die Predigt, die Moderation genauso wie das Setting, den Raum sowie die Mitarbeitenden vor, während und nach dem Gottesdienst.

Stell dir vor, nun kommt ein Reporter. Dieser Reporter stell den Besuchern, die das erste Mal da sind, folgende Frage:

“Was glauben Sie, warum diese Gemeinde Gottesdienst feiert?”

Die Antworten des Gastes können vielfältig sein – er wird es aber hauptsächlich daran festmachen, was ihm in der vergangenen Stunde so begegnete. Was wäre die Antwort in deiner Gemeinde? Wäre doch mal spannend zu wissen! Auch für meine Gemeinde. Angenommen jemand hat wirklich keine Ahnung von Gottesdienst, “stolpert” das erste Mal hinein – und bekommt diese Frage gestellt. Meine Vermutung ist, dass sehr oft Achselzucken als Antwort kommt.

Dabei sollte das, was wir tun und wie wir es tun, ein Spiegel dessen sein, warum wir es tun.

Meine Antwort auf die Frage “Warum feiert ihr Gottesdienste in eurer Gemeinde?” ist schlicht: Damit Menschen Jesus kennenlernen! Also sollten wir auch alles daran setzen, dass das Wie und das Was dem Warum entspricht. Man könnte also anhand der folgenden Elemente erkennen, welches Warum hinter unseren Gottesdiensten steht:

  • Wie ist die Sprache der Lieder?
  • Welcher Musikstil wird gespielt?
  • Wie werden Menschen willkommen geheißen, wenn sie das Gebäude/Gelände betreten?
  • Sprechen wir mit den üblichen Kirchen-Floskeln, die ein normaler Mensch nicht versteht? (Opfer, Worship, Lobpreis, Segen empfangen, Vaterunser, liturgische Texte aller Art)
  • Wie werden “Neue” nach dem Gottesdienst wahrgenommen und ggf. angesprochen?
  • Wie ist das Setting in der Kirche (Dekoration, kirchliche Gegenstände wie Altar, Kanzel und Taufstein, Bestuhlung, Beleuchtung, Sauberkeit) – fühlen sich “Neue” wohl?

Natürlich kann man da noch eine Menge anderer Punkte anführen und es muss auch nicht der Gottesdienst sein. Dieser bietet sich einfach an, da er in so gut wie jeder christlichen Gemeinden die wohl regelmäßigste und öffentlichste Veranstaltung ist.

Stellst du Bestehendes infrage und bietest Lösungen an?

“Apple hat sich im Gegensatz zur Konkurrenz über die Frage definiert, warum die Firma etwas tut. Sie ist keine Computerfirma, sondern eine Firma, die das Bestehende infrage stellt und Individuen andere Lösungen anbietet.”aus 'Frag immer erst: Warum' von Simon Sinek

Ich finde diesen Gedanken so stark! “Semper reformanda” war mal ein Schlagwort in der Kirchengeschichte, das soviel heißt wie: “Kirche muss immer reformiert werden”. So ist es!

Wer konsequent vom “Warum” her denkt, stellt Bestehendes infrage. Warum? Weil er sich ständig fragt, ob er sich uns einem Auftrag noch treu ist. Aber er hinterfragt nicht nur, sondern bietet Lösungen an. Das ist so wichtig!

In der Realität gibt es nun ganz unterschiedliche Abstufungen, ob und wie Gemeindeleitung Bestehendes infrage stellt und Lösungen anbietet. Denn wohlgemerkt: Es ist kontinuierliche Aufgabe der Leitung einer Gemeinde, Bestehendes zu hinterfragen. Gemeindeglieder und Nicht-Gemeindeglieder tun dies sowieso. Das nehme ich wahr anhand von Gesprächen, Emails, WhatsApp-Nachrichten, Kirchenaustritten und dem, was so hintenrum erzählt wird.

Es ist also nicht ungewöhnlich, Bestehendes infrage zu stellen und nach Lösungen zu suchen. Die Frage ist nur: macht es die Gemeindeleitung oder nicht? Es ist nämlich ihr wesentlicher und eigentlicher Auftrag. Die Abstufungen, die ich in der Realität wahrnehme, sehen so aus:

  1. Du hinterfragst nichts und bietest keine Lösungen an. Die stumpfsinnige Variante “Das haben wir schon immer so gemacht.”
  2. Du hinterfragst nichts aber bietest Lösungen an. Die weltfremde Variante “Ich gebe Antworten auf Fragen, die keiner gestellt hat.”
  3. Du hinterfragst aber bietest keine Lösungen an. Die trotzige Variante “Ich finde alles doof, aber mehr kann ich auch nicht beitragen.”
  4. Du hinterfragst und bietest Lösungen an. Die innovative Variante “Ich sehe Potenzial und bin bereit, adäquate Lösungen zu finden.”

Wir leben in einer Zeit, deren einzige Konstante der kontinuierliche Wandel ist. Es kann nicht funktionieren, wenn Kirche ihr Tun nicht infrage stellt, sondern denkt, einfach weitermachen zu können wie bisher.

Die Frage nach dem “Warum” wird unweigerlich dazu führen, dass wir Bestehendes infrage stellen. Es geht gar nicht anders. Die Frage nach dem “Warum” ist die Frage nach der inneren Antriebskraft, nach unserer Motivation, nach dem, was der Motor einer Sache ist. Und wenn dieser ins Stottern kommt, weiß jeder: Hier muss repariert und eine andere Lösung präsentiert werden.

Nimm dir nur mal einen Moment Zeit und frage dich, warum du tust, was du tust. Das muss nicht im Blick auf Kirche und Gemeinde, nicht einmal im Blick auf deinen Beruf sein – das kann das betreffen, was dir momentan in den Sinn kommt. Unweigerlich ist die Frage damit verknüpft, infrage zu stellen, ob das, was du tust, auch wirklich das Richtige ist, ob es “dran ist”, wie man so schön sagt. Diese Frage wird dir auch aufzeigen, wo du nachbessern, justieren, verändern – oder eben: Lösungen anbieten solltest.

Denkst du konsequent anders?

Die Produkte an sich sind nicht der Grund, warum Apple überlegen ist; jedoch dienen die Produkte der Firma – also was Apple macht – als handgreiflicher Beweis dafür, was das Unternehmen glaubt. Es ist diese eindeutige Beziehung zwischen dem, was es tut, und der Antwort auf die Frage, warum es das tut, was Apple so anders macht. Das ist der Grund, warum Apple authentisch erscheint. Alles, was das Unternehmen tut, dient dazu das Warum zu veranschaulichen, das Bestehende infrage zu stellen. Unabhängig von den Produkten, die es herstellt, und der Branche, in der das Unternehmen operiert – es ist immer klar, dass Apple “anders denkt”. aus 'Frag immer erst: Warum' von Simon Sinek

…und ich befürchte, dass hier die meisten aussteigen werden. Aber schön, dass du wenigstens bis hierhin gelesen hast!

Was sagt Sinek da? Das iPhone, der iPod und der iMac an sich sind nicht der Grund dafür, dass Apple so erfolgreich ist, sondern weil diese Produkte zeigen: Appel denkt anders. Apple denkt innovativ. Apple stellt den “Status Quo” in Frage. Apple ruht sich nicht aus. Apple will Antworten jetzt schon liefern, deren Fragen ich vermutlich erst übermorgen stelle.

Und genau so ist es. Ich bin begeisterter Apple-User. Und sicherlich nicht nur deswegen, wie Sinek es beschreibt – ich finde die Apple-Geräte an sich einfach richtig, richtig gut! Aber in der Tat ist es auch der “Spirit dahinter”, der mich diese Produkte verwenden lässt, weil ich einfach weiß: Apple wird nicht stehen bleiben, sondern sich hinterfragen, sich erneuern (innovieren), wird sich den Problemen stellen und Lösungen finden, die ich heute noch gar nicht sehe, weil ich das Problem noch nicht erkannt habe.

Und Kirche so? “Ach ne, lass mal so weitermachen wie bisher. Gleiche Lieder, gleiches Setting, gleicher Ablauf, gleiche Liturgie, gleicher Talar, gleiches Alles.” …und sich dann wundern, dass Menschen der Kirche scharenweise den Rücken kehren.

Menschen haben ein Gespür für das “Warum”, für das “Dahinter”. Ich erlebe das immer dann, wenn Menschen bei uns in der Gemeinde neu sind, wenn sie den Gottesdienst besuchen und dann – meistens nach ein paar Besuchen – Sätze äußern wie.

“Man merkt, dass ihr das aus Leidenschaft macht, was ihr macht.”

“Hier fühle ich mich angenommen, hier kann ich sein, wie ich bin.”

“Es ist einfach so schön hier.”

“Ihr seid so wohltuend normal.”

Das alles hat mit dem, was im Gottesdienst geschehen ist, erst mal überhaupt nichts zu tun. Da kam keinerlei Äußerung über die Inhalte der Predigt oder die Liedtexte. Aber Menschen haben einen “Spirit” gespürt, eine Atmosphäre. Und genau das dürfen wir nicht unterschätzen. Die Frage nach dem “Warum” ist gleichzeitig auch die Frage nach dem “anders Denken”.

Dieses “anders Denken” – oder wie ich es immer nenne: “out of the box denken” – hat keinen Selbstzweck. Es geht nicht darum, sich selbst dafür zu loben, dass man “anders denkt”. Für mich bedeutet dieses “anders Denken”, dass ich mein Gegenüber wertschätze! Ich nehme wahr, dass mein Gegenüber viel mehr interessiert und viel mehr bewegt als das, was sich im Sichtbaren, auf der Oberfläche abspielt. Ich nehme wahr, dass mein Gegenüber Wünsche, Sehnsüchte und Bedürfnisse hat, denen ich sehr wahrscheinlich nicht adäquat begegnen kann, wenn ich lediglich den “Status Quo” kultiviere.

Man mag es gut finden, man mag es schlecht finden: Wenn Kirche nicht mit der Zeit lernt, dass “anders Denken” Wertschätzung des Gegenübers bedeutet, dann geht sie mit der Zeit.

Denn Menschen sind nicht doof. (Was für ein tiefer Satz.) Wer spürt, dass es einer Institution lediglich um den Selbsterhaltungstrieb geht, wird nicht lange dabeibleiben.

Was würde geschehen, wenn wir uns die Frage nach dem “Warum” radikaler stellen würden?

Und was würde geschehen, wenn unsere Antworten darauf ganz ehrlich sind?


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