StartGedankenKeine 3G-Regel für Gottesdienste - warum?

Keine 3G-Regel für Gottesdienste – warum?

Letzte Woche habe ich dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, einen Brief geschrieben. Diesen Brief veröffentlichte ich online mit der Möglichkeit, ihn zu unterzeichnen. Nach vier Tagen haben 8205 Personen diesen Brief mit unterzeichnet und er ging auf die Reise zum Ministerpräsidenten.

Es geht um die so genannte “3G-Regel”, welche das Land Baden-Württemberg ab dem 14. Februar auch für religiöse Veranstaltungen – und damit Gottesdienste – einführen wollte. Das bedeutet, dass der Zutritt zu einem Gottesdienst dann nur noch möglich gewesen wäre, wenn man den Nachweis bringt, dass man geimpft, genesen oder getestet ist. Achso ja, klar: Wir reden vom Corona-Virus.

Am 8. Februar wurde bekannt, dass diese 3G-Regelung nun doch nicht kommt für Gottesdienste, was mich sehr freut. Da der Brief für ziemlich viel Wirbel gesorgt hat und weil es um viel mehr geht als nur um eine Verordnung, schreibe ich dennoch ein paar Zeilen, was mich dazu gebracht hat, diesen Brief zu formulieren.

3G für den Gottesdienst ist falsch

Ich halte diese Regelung für falsch und habe das Herrn Ministerpräsident Kretschmann geschrieben und den Brief online gestellt und zur Mitunterzeichnung aufgefordert. Den Brief kannst du ganz am Ende dieses Beitrages lesen. Die Schutzkonzepte der Kirchen in zwei Jahren Pandemie haben gezeigt, dass sie gut sind und es keinerlei G-Regel für den Gottesdienst braucht. Unabhängig davon: In 2000 Jahren Kirchengeschichte gab es sicher schon wesentlich Schlimmeres – aber mir ist keine Zugangskontrolle für Gottesdienste bekannt. Das hat mit freier Ausübung der Religionsfreiheit nichts zu tun.

Was dann innerhalb von 4 Tagen geschah, hat mich überrollt. 8205 Personen unterzeichneten den Brief, unzählige Mails kamen bei mir im Pfarramt an (ich hatte den Brief auf der Homepage unserer Kirchengemeinde online), die Presse fragte an und ich erhielt jede Menge Messages über WhatsApp, Instagram und Co – interessanterweise: zu 90% zustimmend.

Am Samstag, 05. Februar, habe ich die Unterschriften auf die Reise geschickt – eine Antwort habe ich bisher noch nicht bekommen.

Und die Kirche?

Tja, die enttäuschte mal wieder. Zumindest mich. Seit die Verordnung rausgegangen war, dass die 3G-Regelung kommen solle, gab es keine einzige öffentliche Stellungnahme dagegen – zumindest nicht von “meiner”, der badischen Landeskirche. Ich weiß, dass intern juristische Schritte gegen die 3G-Regel geprüft wurden im Hintergrund, da sie sich auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Mannheim stützt, in dem Gottesdienste mit “ganz normalen Veranstaltungen”, die vergleichbaren Rahmenbedingungen unterliegen, gleichgesetzt werden.

Nur – was nimmt ein außenstehender Mensch wahr, der nichts über kircheninterne Prozesse weiß? Erstens, dass die Landesregierung für den Gottesdienst die 3G-Regel fordert und zweitens die Kirche nichts dagegen unternimmt und das einfach so hinnimmt.

Das war sinngemäß auch die Antwort, die ich vom Corona-Krisenteam der badischen Landeskirche bekam, als ich mich nach Bekanntwerden der neuen Verordnung sofort an meine Kirchenleitung gewendet hatte. Aber es geschieht nach außen hin – nichts. Für mich war das unverständlich und unfassbar, Enttäuschung auf ganzer Linie. Ich hätte erwartet und mir gewünscht, dass die Kirchenleitung sofort tätig wird und zumindest ein deutliches Signal nach außen setzt, dass eine 3G-Regelung für Gottesdienste eine “rote Linie” ist, die nicht überschritten werden darf.

Dan Peter, Pressesprecher der württembergischen Landeskirche, schätzte, dass ca. 70% der Haupt- und Ehrenamtlichen der württembergischen Landeskirche „kein Verständnis für diese Auflage zum jetzigen Zeitpunkt“ habe und sieht die Zahl bei Kirchenmitgliedern ähnlich hoch. (Quelle: idea.de)

Fragen über Fragen

Zurück zum Brief. Im Vorwort” zum Brief schrieb ich auf der Seite, auf der man unterzeichnen konnte, folgendes:

Mir ist wichtig, dass mit diesem Brief kein Unmut geschürt werden soll und auch nicht destruktiv zu demokratiegefährdendem Verhalten aufgerufen wird, denn von solch einem Verhalten distanziere ich mich ausdrücklich!

Absicht dieses Briefes ist es, in einem sachlichen, versöhnenden Ton einen durch die 3G-Regel für den Gottesdienst auftretenden Missstand zu benennen und um dessen Aufhebung zu bitten.

Auf Facebook, per Email und auch im Interview erreichten mich eine Menge Fragen (und auch als Vorwürfe formulierte Fragen), auf die ich eingehen will, um meine Sicht verständlicher zu machen. Ich will mich diesen Fragen stellen, weil sie aufkommen und weil sie wichtig sind. Und ich will mich nicht wegducken, nicht verstecken – das geschieht in der Kirche viel zu viel.

Warum bist du gegen die Einführung der 3G-Regel für Gottesdienste?

Ich erachte diese Regel für nicht notwendig. Zwei Jahre Pandemie haben gezeigt, dass die Schutzkonzepte von Kirchengemeinden gut sind und es keiner weiteren Beschränkung als einer “0G-Regel” bedarf. Ich habe in zwei Jahren Pandemie vieles gelernt – unter anderem: Auf Fakten und Sachlichkeit vertrauen und nicht auf Meinungen und (Vor-)Urteile. Und die Fakten belegen, dass Schutzkonzepte von Kirchengemeinden gut und vollkommen ausreichend sind, dass Gottesdienste unter “0G-Regel” gefeiert werden können.

Bei Sportveranstaltungen, im musisch-kulturellen Bereich oder in der Gastronomie gilt 2G oder 2G+. Ist da eine 3G-Regelung nicht schon moderat?

Das stimmt. Es gibt auch wesentlich Schlimmeres als eine 3G-Regel. Aber es bleibt für mich eine Frage der Perspektive, also woher man kommt. An sich betrachtet mag eine 3G-Regel moderat sein, aber relational betrachtet ist sie eine unnötige Verschärfung der Zugangsvoraussetzung für Gottesdienste. Mit relational meine ich “im Verhältnis” gesehen – und das besteht darin, dass bisher für Gottesdienste “0G” galt. Das schreibe ich auch deswegen, da nach offizieller Verlautbarung die 3G-Regel nur “zurückgestellt” wurde, was bedeuten könnte, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg sie zu einem späteren Zeitpunkt doch umsetzen möchte.

In anderen Bundesländern bzw. in anderen Landeskirchen gilt schon seit Monaten die 3G-Regel für Gottesdienste. Meinst du nicht, dass wir uns in Baden-Württemberg schnell daran gewöhnen?

Natürlich. Wir haben uns in der Pandemie schon an vieles gewöhnt und haben uns als recht anpassungsfähig gezeigt. Das ist generell auch gut – nur: Nicht alles, an das man sich gewöhnt, ist auch begrüßenswert. Ich nehme nach wie vor eine große Verunsicherung wahr, wenn man sich begrüßen möchte: Handschlag? Umarmung? Nein: Ghetto-Faust! Ich finde das nicht gut. Gerade bei Kasualgesprächen oder Seelsorgegesprächen bei der Begrüßung ein Händedruck – das ist ein größerer Ausdruck von Wertschätzung, Anteilnahme und Nähe als eine Ghetto-Faust oder auch gar nichts, wie es sich leider auch mehr und mehr einspielt in der Gesellschaft.

Oder schauen wir die Situation in Pflegeheimen an. Menschen, die ohnehin schon sehr einsam sind, werden noch einsamer, weil Besuche stark eingeschränkt sind. Wir haben uns damit als Gesellschaft scheinbar abgefunden – wir haben uns daran gewöhnt.

Ja, wir könnten uns auch an eine 3G-Regel im Gottesdienst gewöhnen – das zeigen die Landeskirchen, in denen das leider schon praktiziert wird. Nur ist es deswegen noch lange nicht richtig. Wann haben wir aufgegeben, zu hinterfragen? Dass es Zugangsbeschränkungen und Einlasskontrollen für Gottesdienste gibt, ist für mich mit meinem Verständnis von Glaube nicht zu vereinbaren. Wo Kirche diese Wege schon beschreitet, habe ich Respekt vor der Entscheidung, kann sie aber nicht nachvollziehen. Ich frage mich ernsthaft, ob wir nicht schon viel zu viel hinnehmen und uns damit abfinden ohne die Dinge zu hinterfragen. Es gibt Kirchen und Gemeinden, ja sogar landeskirchliche Empfehlungen, die sich für einen “2G-Gottesdienst” aussprechen. Unfassbar! Menschen, die nicht geimpft oder genesen sind, werden vom Gottesdienst ausgeschlossen. Von wem? Von der Kirche selbst. Ich fass es nicht!

Aber durch 3G fühlen sich alle sicherer. Warum also nicht?

Wir haben auch schon vor der Pandemie durch Gottesdienste in der Gefahr gestanden, dass Menschen mit ansteckenden Krankheiten den Gottesdienst besuchen, ins Fußballstadion gehen oder neben mir im Kino sitzen. Zudem ist hinlänglich bekannt, wie unsicher Tests sind und wie man sich in Sicherheit wähnt, weil man geimpft ist, das aber ein großes Risiko in sich birgt, dass man doch mit dem Corona-Virus infiziert ist und dieses weitergibt. Darüber hinaus ist die derzeit vorherrschende Omikron-Variante wesentlich ungefährlicher, was einen schlimmen Verlauf der Krankheit bedeutet, als bspw. die Delta-Variante.

Die Sicherheit, die man sich durch eine 3G-Regel erhofft, ist in meinen Augen auch nicht mehr gegeben als durch das Einhalten der Schutz- und Hygienekonzepte, die in Kirchengemeinden existieren und unter deren Einhaltung Gottesdienste auch jetzt schon gefeiert werden. Eine “3G-Regelung” ist insofern nicht nur nicht nachvollziehbar sondern auch nicht zielführend.

Viele haben kein Verständnis für Sonderrechte der Kirchen. Kannst du das nachvollziehen?

Ja, sehr! In einer mehr und mehr säkularen Gesellschaft ist das Argument der Religionsfreiheit und der freien Ausübung der Religion natürlich nicht mehr so ohne weiteres vermittelbar – da verstehe ich es gut, wenn Menschen kein Verständnis haben.

Gastronomie hat auch nur 2G – wieso bist du dann gegen 3G?

Das ist so ein bisschen wie “Wenn ich nicht darf, darf er auch nicht dürfen!” Aber das ist der falsche Ansatz. Ich halte 2G in der Gastronomie ebenso für grundfalsch. Auch hier plädiere ich für 0G, denn es gibt Schutzkonzepte und es werden Vorsichtsmaßnahmen getroffen. So langsam aber sicher ist es Zeit, zurückzukehren zu einer menschenfreundlichen Normalität. Ich bin aber kein Gastronom, sondern Pfarrer. Und deswegen äußere ich mich im Bereich der Kirche und trete ein für Forderungen im Bereich der Kirche.

Am 2. Februar hat mich Achim Stadelmaier vom Evangelischen Medienhaus in Stuttgart zu dem Thema interviewt. Hier hast du die Möglichkeit, die unbearbeitete “Rohfassung” des Interviews zu hören.


Der Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Kretschmann,

mit großer Verwunderung haben wir den Mitteilungen der Landesregierung entnommen, dass ab 14. Februar 2022 die 3G-Regel auch auf Gottesdienste anzuwenden ist. Leider blieben vorausgehende Gespräche der Kirchenleitung unserer Landeskirche mit der Verwaltung der Landesregierung ohne Erfolg.

Die Unterzeichner bringen mit diesem Schreiben zum Ausdruck, dass sie mit diesem Vorgehen der Landesregierung nicht einverstanden sind.

Wir haben in den letzten beiden Jahren der Pandemie und auch jetzt volles Verständnis für die Regelungen zur Eindämmung der Pandemie aufgebracht. Wir haben diese Regelungen umgesetzt und auch in öffentlichen Stellungnahmen und Predigten mitgetragen, immer unter dem Grundsatz: Der Schutz von Menschen, vor allem von Menschen, die zu vulnerablen Gruppen gehören, hat hohe Priorität. 

Warum jetzt Einlassbedingungen für den Gottesdienst notwendig werden sollen, ist uns unverständlich. Gottesdienste sind besondere Äußerungen unseres kirchlichen Handelns, sie sind nicht Veranstaltungen im üblichen Sinne. Die erlassenen Regelungen machen Sinn für den Bereich unserer Veranstaltungen, nicht aber den Gottesdienst, der nach unserer Auffassung von jeglichen Einschränken solange wie möglich frei bleiben muss.

Die letzten beiden Jahre haben nachweislich gezeigt, dass unsere praktizierten Regelungen im Gottesdienst, die strikter als vom Staat gefordert umgesetzt wurden, dem Schutz der Menschen dienten. Es ist uns kein einziger Fall bekannt, durch den ein Gottesdienst zum “Hotspot” oder “spreading event“ geworden wäre. “Wir wollen allen Menschen die Teilnahme am Gottesdienst ermöglichen.” Von diesem Grundgedanken waren alle Entscheidungen und Bemühungen der Kirche in den letzte beiden Jahren geprägt. 

Die Religionsfreiheit sowie die Ausübung derer erachten wir als ein hohes, schützenswertes Gut.

Der nun erfolgte Eingriff in die Feier von Gottesdiensten ist weder mit dem verfassungsrechtlichen Grundrecht noch mit dem juristischen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen. Unserem Verständnis nach wurde mit der Einführung der 3G-Regeln für Gottesdienste nicht derjenige Eingriff ausgewählt, der unser Interesse, das Ihrem entgegensteht, am wenigsten einschränkt. Dies ist jedoch nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzustreben. 

Wir können nicht nachvollziehen, warum die Alarmstufe gesenkt und gleichzeitig erstmals innerhalb der Pandemie die Zugangsregeln für den Gottesdienst verschärft wurden und die bisher in der Alarmstufe II geltenden Regeln sogar noch übertreffen.  

Der 3G-Regel nachzukommen würde bedeuten: Vor Beginn eines Gottesdienstes müssen Kontrollen durchgeführt werden. Damit ist der Zugang zu Gottesdiensten nicht mehr für alle Menschen uneingeschränkt frei. Darüber hinaus ist unerklärlich, weshalb es bisher möglich war, dass sowohl geimpfte und nicht geimpfte Menschen miteinander Gottesdienst feiern konnten, ohne dass es wie oben erwähnt zu “spreading events” kam und dies nun nicht mehr möglich sein soll.

Last but not least: In den vergangenen zwei Jahren haben sich viele Menschen in den beiden Landeskirchen unseres Bundeslandes sowie in den Freikirchen mit großem Engagement, Gewissenhaftigkeit und Verantwortungsbewusstsein für die Einhaltung aller Regeln eingesetzt und dafür Sorge getragen, dass Gottesdienste kein Risiko hinsichtlich des Infektionsgeschehen darstellen. Dieser Einsatz, diese Leidenschaft, diese Arbeit wird mit der von Ihnen angestrebten 3G-Regel nicht nur nicht wertgeschätzt sondern als nutzlos abgetan. Das kann dazu führen, dass gerade diese Menschen, die aufopferungsvoll und gewissenhaft alle Regelungen eingehalten haben, vor den Kopf gestoßen werden. Ist das im Sinne dieser Verordnungen?

Wir bitten Sie um eine Stellungnahme zu unseren Einwendungen und bitten die Landesregierung, die 3G-Regelung bei Gottesdiensten zurückzunehmen.

Für Ihre Arbeit in dieser herausfordernden Zeit wünschen wir Ihnen Gottes Segen und viel Kraft.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

David Brunner

Pfarrer

Mitunterzeichner des Briefes sind:


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