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K5-Leiterkonferenz “UND!” – Inspiration & Leidenschaft pur

1.000.000 Menschen für Jesus gewinnen. Das ist das eigentliche Ziel des K5-Leitertrainings. Es Geht nicht um Programme, um K5 oder Denominationen. Es geht um Jesus. Und darum, dass in den nächsten Jahren ihm 1.000.000 (in Worten: eine Millionen) Menschen neu folgen und sich für ihn entscheiden.

Am Wochenende fand im GOSPEL FORUM in Stuttgart nun die K5-Leiterkonferenz statt. Um es vorwegzunehmen: Für mich war es vielleicht die intensivste Gemeinde-Konferenz, die ich bisher besucht habe. Viele Konferenzen haben ihren je eigenen Reiz. Willow Creek-Leitungskongresse mit 10.000 Besuchern genauso wie kleine Konferenzen. Was ich aber in Stuttgart am Wochenende erlebt habe, war outstanding!

Zwei Tage waren vollgepackt mit jeder Menge Inspiration durch begnadete Redner und begeisterte Jesus-Nachfolger, tiefer, echter, mitreißender Worship der “Urban Life Church” sowie jede Menge Netzwerken und Gespräche mit den Teilnehmern aus meiner eigenen Gemeinde.

Eine riesige Fülle an Inspiration

Die Palette der Inputs war riesig, aber was sich durchzog, war eines: Authentizität. Echtheit. Ehrlichkeit. Keine Maske, kein frommes Gerede, keine von Ecken und Kanten befreiten feingeschliffene Vorträge.

Da war ein Josh Kelsey der “C3 New York City” dabei, dessen Feuer und Leidenschaft für Jesus und Gemeindeentwicklung den Raum erfüllte. Er ließ uns ganz neu die Leidenschaft “für den Einen” entdecken – und dass dies aber genauso viel Invest bedeutet wie für die 99 anderen.

Oder eine Mia Friesen, die sehr authentisch und ehrlich von ihrer etwas unkonventionellen und “unstrukturierten” Art des Zeitmanagements sprach, aber in der kurzen Zeit mehr vermittelte, als es andere Zeitmanagement-Gurus in stundenlangen Vorträgen nicht schaffen.

Das Unternehmerehepaar Claudia und Fred Jung erzählte von einer unglaublich tragischen Geschichte und referierte darüber, was in Zeiten der Krise wirklich trägt. Die Atmosphäre im Saal war so dicht und zum Zerreißen gespannt, wie ich es noch selten bei solch großen Veranstaltungen erlebt habe. Unbelievable.

Oder ein Konstantin Kruse von der “Ecclesia Church” in Nürnberg, der wohl irgendwie in unserer Gemeinde “gelauscht” haben muss. Absolut großartig, was er über Gemeindeentwicklung und Gemeindewachstum referierte, wie direkt er kommunizierte und Dinge ansprach, bei denen ich nur immer wieder mit dem Kopf nicken konnte.

Nicht zuletzt eine Talkrunde zum fünffältigen Dienst, an denen große Persönlichkeiten für jeweils einen Dienst Rede und Antwort standen und aus dem Nähkästchen ihrer Erfahrung plauderten: Klaus-Günter Pache (Paulus-Gemeinde Bremen), Mario Wahnschaffe (CLW Bonn), Ulrich Neuenhausen (Forum Wiedenest), Heinrich-Christian Rust (Braunschweiger Friedenskirche) und Stefan Vatter (AHELP).

Das sind nur ein paar wenige Einblicke in diese inspirierende und segensreiche Konferenz. Vor dem Start der Konferenz gab es für die Übertragungsleiter der Standorte für das K5-Leitertraining einen Network-Brunch, bei dem man sich nicht nur vernetzen konnte, sondern noch einmal viel vom “K5-Herzschlag” und der “K5-DNA” spüren konnte.

Die “K5-DNA”

Martin Schneider (Forum Wiedenest) moderierte durch diesen Network-Brunch. Das war super – denn dadurch wurde diese “K5-DNA” noch einmal sehr, sehr deutlich. Wenn ich sie beschreiben müsste, kann ich das nur mit ein paar wenigen Stichpunkten gar nicht tun – aber ich versuche es:

  • Leidenschaft für Jesus und seine Gemeinde.
  • Evangelistischer Herzschlag
  • Sehnsucht nach Einheit unter Christen und ihren Denominationen
  • Ausbildung von Leitern als Schlüsselkompetenz
  • Riesige Erwartungshaltung gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes
  • Mut und Kühnheit, alles zu tun, dass Menschen Jesus begegnen
  • Ehrliches Hinterfragen von Dingen, die nicht funktionieren
  • Liebe zum Detail und Sinn für Exzellenz & Innovation

Das alles habe ich durch die beiden Tage der Konferenz immer und immer wieder gefunden. Und das ist es, was auch mein Herz höher schlagen lässt: Weil Gott nichts unmöglich ist, will ich Teil dieses “Movements” sein und alles daran setzen, dass diese eine Millionen Menschen in Deutschland Jesus nachfolgen. Und by the way: Seit der Konferenz sind es nur noch 999.999 – wie cool ist das denn!

Ich glaube, es ist schlicht und einfach an der Zeit, dass wir mutige und kühne Schritte gehen in Deutschland. Vorbei ist die Zeit, in der sich die Denominationen untereinander bekriegen. Wir brauchen Einheit. Wir müssen sie leben – denn darauf liegt eine Verheißung, die so groß ist, dass ich noch nie verstanden habe, weshalb Christen sie nicht ernster nehmen:

Sie alle sollen eins sein, genauso wie du, Vater, mit mir eins bist. So wie du in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns fest miteinander verbunden sein. Dann wird die Welt glauben, dass du mich gesandt hast. Die Bibel, Johannes 17,21

Die Einheit unter Christen wird ein Schlüssel-Moment dafür sein, dass sich eine Millionen Menschen (und mehr!) in Deutschland für Jesus entscheiden werden. Dieser Geist der Einheit war in Stuttgart zu spüren. Eine Einheit, die sich als “ein Team” versteht, Menschen für Jesus zu gewinnen.

UND!

Kurz und knapp war das Thema der Konferenz, aber absolut durchschlagend: “UND!” Ich habe gelernt, mehr im “UND!” als im “Entweder – Oder” zu denken. Das ist nicht immer einfach, das fordert sogar ziemlich heraus. Ganz simple Beispiele, die eigentlich nicht neu sind, aber in der Praxis dann durchaus herausfordernd sein können:

Jesus ist Gott UND! Mensch.

Gott UND! der Mensch handeln.

Prädestination UND! freier Wille.

Innovation UND! Tradition.

Allrounder UND! Spezialisten.

Für mich ganz persönlich war im Blick auf das “UND!” der Vortrag von Josh Kelsey äußerst inspirierend. Das Gleichnis vom “Verlorenen Schaf” (Lukas 15, 1-7) macht deutlich, was “UND!” in der Gemeindearbeit bedeutet: Der Hirte sorgt sich um die 99 Schafe UND! um das eine Schaf, das verloren gegangen ist.

Bin ich bereit, den gleichen Invest für das eine verlorene Schaf zu bringen wie für die 99 anderen Schafe? Eben nicht die 99 und das Eine gegeneinander auszuspielen, sondern im UND! zu denken und das “Entweder – Oder” nicht zulassen.

Im Gespräch mit anderen Teilnehmern der Konferenz habe ich festgestellt: Ich bin nicht der einzige, der von diesen zwei Tagen absolut begeistert und inspiriert nach Hause fährt. Die hohe Dichte an persönlicher “Bewegtheit” hat mich aber ehrlich gesagt schon ein bisschen überrascht. Das war ich von Konferenzen und Kongressen nicht gewohnt. Dass man den ein oder anderen Vortrag als “super” empfindet – ja klar. Aber dass man vom “Spirit” einer Konferenz so angesteckt wird nicht nur als einzelner, sondern in einer großen Menge – das ist einzigartig.

DANKE! DANKE! DANKE!

Nachdem wir den ersten K5-Schulungstag bei uns in der Gemeinde abhielten, habe ich schon einen Beitrag hier auf meinem Blog geschrieben. Darin war es mir ein Anliegen, den Verantwortlichen von K5 meinen Dank auszusprechen. Und damit soll auch dieser Artikel enden.

DANKE, liebes K5-Team, dass ihr in Deutschland, in die Gemeinde Jesu, in die Leiterinnen und Leiter investiert, damit noch mehr Menschen Jesus nachfolgen.

DANKE, dass ihr diese Konferenz angeboten habt, die nicht nur für mich ein unglaublich großer Segen war und ich bin überzeugt: Die Inhalte dieser Konferenz werden in Deutschland eine Segensspur nach sich ziehen.

DANKE, dass ihr großen Glaubensmut bewiesen habt, diese Konferenz durchzuziehen, auch wenn es im Vorfeld einige Hürden und Hindernisse zu überwinden galt.

DANKE, dass ich euch von Herzen gerne abnehme und absolut glaube, dass es euch nicht um K5 sondern um die eine Millionen geht.

Ihr seid großartig und ich bin gespannt, welche Kreise das K5-Leitertraining in Deutschland ziehen wird.

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Die Kunst des Leitens VIII: Wie treffe ich weise Entscheidungen?

Als Leiter einer Gemeinde sehe ich mich permanent Entscheidungen gegenüber. 80% treffe ich intuitiv – das tun wir Menschen jeden Tag: Wir putzen unsere Zähne und müssen nicht erst ein Gremium einberufen, das uns sagt, mit welcher Hand wir die Zahnbürste halten, in welche Richtung wir die Zahnpasta auftragen, ob wir uns dabei im Spiegel ansehen und wie viel Wasser wir zum Ausspülen nehmen. Wir treffen Entscheidungen intuitiv. Auch als Leiter.

Spannend und herausfordernd, manchmal auch bis an die Grenzen bringend sind aber die 20%, die übrig bleiben. Entscheidungen, die wir angesichts einer Herausforderung treffen müssen, die uns auf den ersten Blick vielleicht sogar zu groß erscheint. Aber es hilft nichts: Weglaufen ist keine Lösung, Nicht-Entscheiden ist auch eine Entscheidung. Also: Wir müssen Entscheidungen treffen. Aber wie nun trifft man als Leiter in solchen Situationen eine weise Entscheidung?

1.Bitte Gott um Weisheit!

Es gibt keine Herausforderung, die für Gott zu groß wäre! Frag ihn, was seine Sicht der Dinge ist. Frag ihn, was er dir offenbaren möchte. Und dann sei still, höre hin und setze um, was Gott dir sagt.

Ok, wenn’s denn so einfach wäre. Wie gerne hätten wir eine Message vom Himmel oder dergleichen, in der ganz klar und deutlich steht, was Gott möchte. In 99% der Fälle ist es aber gar nicht mal so klar – meinen wir! Denn in Wirklichkeit ist es klarer, als wir oft meinen – nur fehlt uns das, was ich unter 5. ansprechen werde.

Der Heilige Geist wird schon reden – darauf kannst du dich verlassen. Recht eindeutig steht das im Neuen Testament:

Wenn es jemandem von euch an Weisheit mangelt zu entscheiden, was in einer bestimmten Angelegenheit zu tun ist, soll er Gott darum bitten, und Gott wird sie ihm geben. Ihr wisst doch, dass er niemandem sein Unvermögen vorwirft und dass er jeden reich beschenkt. Die Bibel, Jakobus 1,5

Wenn du also vor einer großen und schwierigen Herausforderung stehst, dann bitte als erstes den Heiligen Geist um Weisheit. Und jetzt kommt der vielleicht etwas ernüchternde Teil: In der Regel wirst du das nicht nur einmal tun. Sondern sehr oft. Aber sei dir sicher: Wenn du es nicht tust, wird’s nicht besser.

2. Keine spontane Reaktion!

In meinen Anfangsjahren als Leiter einer Gemeinde habe ich hin und wieder einen Fehler gemacht: Ich wurde vor eine große Herausforderung gestellt, bekam eine schwierige Anfrage oder musste zu etwas Stellung beziehen. Was habe ich gemacht? Sofort reagiert. Und das war ein großer Fehler. In den ersten Momenten, in denen du dich einer großen Herausforderung gegenüber siehst, wird nicht dein Verstand, nicht deine Weisheit, nicht dein Wissen adressiert – sondern deine Emotionen. Und in den ersten Momenten wirst du genau aus diesen heraus reagieren. Und lass es mich ehrlich sagen: Emotionen sind und bleiben schlechte Ratgeber.

Wenn du vor eine große Herausforderung gestellt wirst, dann kannst du deinem Gegenüber immer noch antworten und ehrlich sagen: “Vielen Dank, dass du mich hier ins Vertrauen mit einbeziehst. Ich sehe, das ist keine leichte Angelegenheit. Ich muss und will mir dafür Zeit nehmen und melde mich wieder bei dir. Aber mir ist das Thema XY zu wichtig, als ich darauf jetzt spontan reagieren kann. Vielen Dank für dein Verständnis.”

Und weißt du was? In der Zwischenzeit habe ich etwas erkannt: Nicht ein einiges Mal hat mein Gegenüber sich beschwert, dass ich nicht sofort reagiere und mit einer Lösung oder Antwort auf das Problem daherkomme. Die Menschen merken nämlich eines: Wer sich Zeit nimmt für eine Angelegenheit, sieht die Wichtigkeit und manchmal auch Schwere, die in der Sache liegt. Schnellschüsse sind oberflächlich und torpedieren Prozesses vollkommen unnötig und beschädigend. Ich spreche aus eigener Erfahrung nämlich nicht nur aktiv (inzwischen habe ich ja dazu gelernt), sondern auch passiv. Wenn Entscheidungsebenen über dir dieses Fehlverhalten an den Tag legen, wird es äußerst mühsam. Das ist dann wie im Straßenverkehr: Du kannst dich 100% an die Verkehrsregeln halten – wenn ein Raser unterwegs ist und in dich hinein rast, kannst du nichts mehr tun.

Aktiv aber wiederum kannst du in schwierige Herausforderungen und Prozesse weise und bedacht einwirken, indem du nicht “aus dem Bauch heraus” entscheidest, sondern dir Zeit nimmst.

Ich habe für mich eine ganz simple Regel bei Anfragen, Emails, Anrufen oder Gesprächen, durch die eine schwierige Situation entsteht: Ich schlafe mindestens (!) eine Nacht über die Sache und werde nicht vor dem nächsten Tag eine Antwort darauf geben – außer der oben erwähnten Reaktion.

3. Berate dich mit anderen!

Wenn die Herausforderung oder der Prozess dann doch weit größer, belastender, herausfordernder und verworrener ist, als du anfangs dachtest, dann ist es nicht nur keine Schande, sondern es ehrt dich, wenn du dich mit anderen Personen besprichst.

Für mich ist das in erster Linie mein Kollege, für den ich Gott unglaublich dankbar bin, ihn an meiner Seite zu haben. Abgesehen von unserer Liebe für zwei rivalisierende Fußball-Clubs ist es ein Segen, ihn an meiner Seite zu haben. Als nächstes kommt natürlich sofort mein Ältestenkreis, also die Gemeindeleitung mit allen Ältesten und Hauptamtlichen der Gemeinde. Was haben wir schon an Stunden, Extra-Sitzungen und sicherlich auch der ein oder anderen kurzen Nacht hinter uns, weil es immer wieder Themen gibt, die wir gemeinsam durchringen.

Warum? Weil meine Ältesten einfach der Hammer sind! Ihre Weisheit, ihre Einheit in der Unterschiedlichkeit, ihre differenzierte Sicht auf die Dinge, ihre Stärken, wo ich Schwächen habe – all das zusammen ist ein großer, großer Segen bei langwierigen und herausfordernden Prozessen in der Gemeindearbeit.

Aktuell ist das beispielsweise die Frage nach der Besetzung von 1 1/2 ausgeschriebenen Stellen für unsere Kinder- und Jugendarbeit. Wir haben Gespräche mit Bewerbern geführt und es ist total faszinierend und sehr erhellend, unterschiedliche Sichtweisen und Eindrücke von den Gesprächen zusammen zu legen und zu sehen: Wir ziehen als Gremium voll und ganz an einem Strang. Und doch sind wir unterschiedlich, legen auf Unterschiedliches wert, nehmen andere Menschen unterschiedlich wahr und haben selbst unterschiedliche “Schwerpunkte”.

So ist der Eindruck aus diesen Gesprächen gespeist aus verschiedenen Eindrücken – und ich bin gespannt, welche Entscheidung wir (bald) treffen werden (und wenn der Artikel schon eine Weile im Netz steht “getroffen werden haben”) – aber eines weiß ich: Es wird eine nachhaltige, belastbare und exzellente Entscheidung sein, weil ich sie nicht alleine getroffen habe, sondern mich mit anderen beraten habe.

4. Nimm Expertenrat an!

Tja, und das ist ein Knackpunkt, den viele leider überspringen mit fatalen Folgen. Ob es eher “Sachfragen” sind wie Gebäuderenovierung, die Installation einer neuen Heizungsanlage im Gemeindehaus oder die Frage nach einem Netzwerk im Gemeindezentrum oder ob es Personalfragen sind, geistliche Fragen oder die großen theologischen, richtungsweisenden Fragen der Gemeindeentwicklung: Es gibt auf allen Fachgebieten Experten.

Wieso fragst du nicht einen Experten um seine Einschätzung, seine Erfahrung und sein Know-How? Keine Sorge: Das geht in unserem Zeitalter recht einfach durch Telefonate, Skype, Blogartikel, Podcasts oder natürlich auch ein persönliches Treffen.

Manchmal ist die Lücke zwischen Herausforderung und Lösung unser Stolz. Dann lass einen Experten doch die Brücke werden.

Gott hat mich mit Gaben und Fähigkeiten gesegnet – das Handwerkliche ist es definitiv nicht. Da war schon Ausverkauf, als er mich erschaffen hat. Wenn wir in der Gemeinde ein Bauprojekt (egal welcher Größenordnung) vor uns haben, dann bin ich der erste, der den Bauausschuss auf die Tagesordnung holt. Ich selbst könnte wirklich nichts Substantielles dazu beitragen – schon gar nicht, wenn am Tisch andere sitzen, die das können. Warum also soll ich mir eine Lösung überlegen, die nicht tragfähig (im wahrsten Sinne des Wortes) ist während andere nicht über die Lösung, sondern schon längst über die Umsetzung nachdenken?

5. Sei mutig!

Für mich ist es ein uralter Ratschlag, den Martin Luther seinem Freund Philip Melanchthon 1520 in einem Brief schrieb und den mein Vater mir auf meinen Weg mitgegeben hat, als es schon früh darum ging, Entscheidungen zu treffen:

Pecca fortiter, sed fortius fide.

Sündige tapfer, aber glaube noch tapferer.Martin Luther

Natürlich hat Luther einen anderen Sündenbegriff als der, den wir heutzutage oft haben und der “Sünde” schnell als etwas “moralisch Verwerfliches” darstellt. Was Luther – meines Erachtens – hier meint, ist nicht, sich bewusst gegen Gott zu stellen. Sondern vielmehr an dem Punkt, an dem alle Argumente gehört, alles “Für und Wider” abgewogen und alle worst case-Szenarien durchgespielt sind, eine Entscheidung zu treffen – aber noch entscheidender zu glauben, dass Gott sich mit auf den Weg macht, diese Entscheidung durchzufragen oder auch Türen zu schließen, wenn es doch die falsche Entscheidung war.

Nun kommt der Zettel mit der Lösung wie oben schon erwähnt nicht vom Himmel – also müssen wir mutig sein. Entscheidungen treffen.

Tapfer.

Kühn.

Mutig.

“Pecca!” ruft uns Luther zu.Und da passt es doch, wie das Zitat Luthers weitergeht:

…sed fortius fide et gaude in Christo, qui victor est peccati, mortis et mundi!

…aber glaube noch stärker und freue dich in Christus, welcher der Sieger ist über die Sünde, den Tod und die Welt!Martin Luther

So können weise Entscheidungen getroffen werden mit der gewissen Ruhe und dem inneren Frieden, dass die Entscheidungen nicht alleine getragen werden, sondern dass Jesus sie mitträgt, mitgeht und mitverändert, wenn eine Nachjustierung von Nöten ist.

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Alle Beiträge aus der Reihe “Die Kunst des Leitens”:

Darf ich als Christ das Leben lieben?

Diese Frage tippte jemand in eine Internet-Suchmaschine ein und ist dadurch auf meiner Seite gelandet. Das freut mich, denn ich will diese Frage als Steilvorlage nutzen zu diesem Beitrag.

Darf ich als Christ das Leben lieben?

Meine erste, spontane Reaktion: Wenn Christen nicht das Leben lieben dürfen – wer darf es dann?

Ja, es gibt genug humorlose Christen, welche der Ansicht sind, dass das Leben hier auf der Erde einzig und allein das Jammertal ist, durch das man hindurch muss, ehe man dann die Ewigkeit mit Gott verbringt. Dass diese Ansicht in meinen Augen weder richtig noch biblisch ist, möchte ich dir anhand von drei Gedanken verdeutlichen. Und ich hoffe, dass du am Ende der Ansicht bist (und am besten bist du es jetzt schon): “Ja, ich darf als Christ das Leben lieben!”

1. Ja – alles andere wäre Beleidigung des Schöpfers

Vielleicht benötigt es eine – vollkommen unwissenschaftliche – Begriffsklärung, wovon wir sprechen. “Darf ich das Leben lieben?” Dahinter verbirgt sich für mich ein Sammelsurium an Fragen wie:

Darf ich als Christ

  • Alkohol trinken?
  • ausgelassen feiern?
  • mich über das Irdisch-Materielle freuen?
  • Spaß an Sex haben?
  • ins Kino gehen?
  • tanzen?
  • ein Konzert besuchen?
  • gutes Essen genießen?
  • mich der Künste hingeben und mich an ihnen freuen?
  • mit Freunden abhängen, ohne vorher zusammen zu beten?
  • mit meinem Nachbarn grillen, auch wenn ich keine Bibel unterm Arm dabei habe?
  • ein Wellness-Wochenende alleine oder mit meinem Ehepartner genießen?

Ich gebe zu: Für den einen liest sich das alles wie ein großer Katalog an Lastern – der andere wird sich fragen: “Hä? Wo ist das Problem?”

In meinen Jahren als Christ und Pfarrer habe ich alles schon erlebt und diese Fragen sind allesamt nicht aus der Luft gegriffen. Die Liste ließe sich noch um einige Punkte verlängern. Nicht wenige kennen den absolut schwachsinnigen Ausspruch “Wer auf Erden das Tanzbein regt, dem wird’s im Himmel abgesägt.” Furchtbar. Grausam. Schlimm. Wer auch immer das in die Welt gesetzt hat – er hat nicht viel verstanden von der Liebe Gottes.

Egal, welchen der Punkte aus der Liste man sich anschaut: Er ist ein Zeichen dafür, wie sehr Gott uns liebt. Wieso? Er hätte diese Welt schwarz/weiß erschaffen können (so wie das Denken mancher Christen), er hätte dem Menschen die Möglichkeit, Bier zu brauen oder Whisky zu brennen, verwehren können. Genauso hätte er sich einen anderen Weg überlegen können, wie verheiratete Menschen sich ihre Liebe zeigen – aber er hat den Sex als intimste Form der menschlichen Liebe gewählt.

Wer sagt, all das dürfe ein Christ nicht, der verachtet den Schöpfer und seine guten Gaben. Ja klar: Wir sind aufgerufen, verantwortungsbewusst und maßvoll damit umzugehen. Wie mit allem im Leben – besonders mit Pessimismus und Skeptizismus sollten wir maßvoll umgehen, weil zu viel davon wirklich schadet. Es hält uns nämlich davon ab, den Schöpfer zu ehren, indem wir das, was er uns durch die Schöpfung schenkt, genießen.

Ich sehe schon die Fragezeichen und die rot anlaufenden Gesichter mancher, die das hier lesen und meinen, ich würde dazu aufrufen, dass Christen sich volllaufen lassen sollen, Sex mit verschiedenen Partnern haben sollen oder Gott vergessen sollen. Denen sage ich: Lies den Artikel nochmal vom Anfang. Und dann nur bis hierhin. Und dann schau einfach mal, was ich wirklich schreibe.

Wer der Ansicht ist, dass das Leben hier auf der Erde nur (!) ein Jammertal ist, durch das wir hindurch müssen, ehe wir dann die Ewigkeit mit Gott verbringen, dem sage ich: Du beleidigst deinen Schöpfer! Denn er hat sich unglaublich viel Mühe gegeben, dir das Leben hier auf der Erde nicht nur zu einem Jammertal werden zu lassen.

Dass es das oft ist – keine Frage. Ich rede ja nicht davon, dass das Leben hier auf der Erde nur bunt und schön ist. Überhaupt nicht. Es ist leider, leider sehr oft ein Jammertal – aber nicht nur.

In der Bibel gibt eine Stelle im Alten Testament, die ich hier ein wenig aus dem Kontext heraus “reiße”. Immer wieder steht das Volk Gottes in der Gefahr, den Göttern der Völker und Kulturen, von denen sie umgeben sind, zu opfern. Immer wieder stellt sich Gottes Volk die Frage, wie sie wohl Gott gefallen könnten, wie sie auf “richtige Weise” Gottesdienst feiern und Gott Opfer darbringen können. Und dann steht in Micha 6,8:

Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert: nichts als Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.Die Bibel, Micha 6,8

Und genauso verhält es sich auch im Blick auf die Frage, ob ich als Christ das Leben genießen darf oder nicht: Wenn du Christ bist, dann ist der Geist Gottes, der Heilige Geist, schon längst in dir. Dann frag doch ihn – und nicht Google. Frag ihn, bevor du andere fragst. Ich bin mir sicher, dass er dir Antworten geben wird. Und wenn du in der Bibel liest, dann wirst du auch erkennen, dass dir schon längst “gesagt ist, was gut ist für dich”.

2. Ja – sonst wäre das Leben grausam

Ich glaube an einen Gott, der die Menschen mit einer Liebe liebt, wie sie ihresgleichen sucht. Seine Liebe ist grenzenlos, sie ist bedingungslos und sie ist unendlich groß.

Als Christ das Leben nicht genießen (und das bedeutet für mich “lieben”) zu dürfen, wäre grausam. Sich an all den schönen Dingen nicht freuen zu dürfen, wäre schon eine Folter. Und das wiederum passt mit meinem Gottesbild und – wie ich denke – dem Bild von Gott, wie es uns in der Bibel überliefert wird, nicht zusammen.

Es gibt viele Stellen in der Bibel, an denen immer wieder davon die Rede ist, dass Gott unser Bestes will, dass er will, dass es uns gut geht – und nicht, dass es uns schlecht geht. Er selbst weiß doch, dass es grausam wäre, wenn wir das, was er geschaffen hat, nicht genießen dürften.

Es ist, als ob du deinem Kind ein Geschenk in die Hand drückst und sagst: “Hier, bitteschön. Das hast du dir schon immer gewünscht, das weiß ich. Aber auspacken darfst du es nicht!”

Ist das dein Bild von Gott? Dann bitte ich dich, es zur Seite zu legen und nie wieder in deine Gedankenwelt und in deinen Glaubens hineinzunehmen. Gott gibt gerne. Gott liebt gerne. Gott schenkt gerne. Wenn Gott gewollt hätte, dass dieses Leben hier auf der Erde nur ein Jammertal wäre ohne jede Freude, ohne jeden Genuss – dann hätte er diese Welt auch entsprechend geschaffen.

Nehmen wir ein unverfängliches Beispiel. Die Natur. Jetzt im Frühling. Überall blüht es und ist herrlich anzuschauen. Gott will dir damit eine Freude machen, als ob er sagt: “Schau, so schön ist die Natur. Sie ist ein Spiegelbild meiner Schönheit, Kreativität und Schaffenskraft. Genieße sie!” Wie grausam wäre es, wenn du nun auf die Idee kommen würdest, die Natur zu hassen. Völlig absurd. Wieso soll es mit den anderen Dingen, die uns Freude bereiten, anders sein? Natürlich kann alles zur Sucht, zur Droge, zum Lebensinhalt und damit auch zum Götzen werden. Also liegt es an uns, verantwortungsvoll zu genießen. Und das in allen Bereichen, die ich oben angesprochen habe.

Ohne Genuss wäre dieses Leben grausam. Dass es Phasen in unserem Leben gibt, in denen es uns schwerer fällt, Dinge zu genießen oder gar “das Leben zu genießen” steht auf einem ganz anderen Blatt Papier. Ich denke, dass jeder Mensch nicht nur einmal Phasen in seinem Leben hat, in denen es ihm schwerfällt, das Leben zu genießen. Aber “dürfen” darf er und soll er jederzeit.

Wenn wir in der Bibel an so vielen Stellen lesen, dass Gott uns Menschen liebt, dann beziehen wir das schnell auf unseren “Stand als Sünder” und die Rechtfertigung, die durch den Glauben kommt. Zurecht!

Das ist jedoch nur die eine Seite der Medaille. Gott liebt uns nicht nur für die Ewigkeit, er liebt uns schon jetzt und hier auf der Erde. Und er will, dass wir das, was wir hier auf der Erde haben, genießen und lieben, weil er uns liebt.

Sinnbildlich dafür steht für mich folgende Aussage, die Jesus einmal getroffen hat:

Ich aber bin gekommen, um ihnen [den Menschen] Leben zu bringen – Leben in ganzer Fülle.Die Bibel, Johannes 10,10

3. Ja – sonst wären Christen ein schlechtes Zeugnis

Christen und Kirche werden in der Öffentlichkeit aus zwei Gründen negativ wahrgenommen. Der eine Grund ist das Verharren in Traditionen aus Prinzip, die heutzutage kein Mensch mehr versteht. Der zweite Grund ist, dass Christen nicht wirklich lebensbejahend sind. Christen sind schnell “gegen” etwas, aber selten “für” etwas. So ist die öffentliche Wahrnehmung – und leider ist sie nicht immer verkehrt.

Erlöster müssten mir die Christen aussehen, wenn ich an ihren Erlöser glauben sollte.Friedrich Nietzsche

Der große Religions- und Christentumskritiker Friedrich Nietzsche hat hier ausnahmsweise vollkommen recht. Ein Zeugnis für den lebendigen Gott zu sein und gleichzeitig das Leben hier auf der Erde nicht zu lieben und nicht zu genießen, schließen sich für mich vollständig aus.

Ich kann weder glauben noch predigen, dass Gott den Menschen liebt und gleichzeitig die größte Spaßbremse sein. Schauen wir uns nur mal Jesus an. Was hat er getan? Er hat mit denen Gemeinschaft gehabt, gegessen und gefeiert, mit denen das damalige Establishment nichts zu tun haben wollte. Aber er hat es genossen, das Leben zu feiern und dadurch zu zeigen: Ich liebe dich! Du bist mir wichtig! Du bist wertvoll für mich! Ich möchte, dass du mir nachfolgst.

Und das Ende des Liedes? Er hat sich einen ziemlich krassen Vorwurf anhören müssen:

Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt wie jedermann, und da heißt es: “Was für ein Schlemmer und Säufer, dieser Freund der Zolleinnehmer und Sünder!” Und doch hat die Weisheit Gottes Recht; das zeigt sich an dem, was sie bewirkt.Die Bibel, Matthäus 11,19

“Und doch hat die Weisheit Gottes Recht; das zeigt sich an dem, was sie bewirkt.” Würden wir diesen Satz beherzigen, dann könnten wir gar nicht auf die Idee kommen, uns ständig zu fragen, auf welcher Seite des Pferdes wir nun wieder runtergefallen sind: Auf der Seite der Spaßbremse oder auf der Seite des Hedonismus?

Nein, viel eher ist die Frage nach der Liebe zum Leben und dem darin zu findenden Genuss so zu beantworten, dass wir Gott um Weisheit bitten können und sollen, im rechten Maß zu lieben und zu genießen – und dann zu sehen, was diese Weisheit in unserem Leben und im Leben derer, mit denen wir zusammen sind, bewirkt.

Eine Form, wie wir das Leben genießen können, ist das Feiern – dazu empfehle ich dir meinen Artikel “Christen – feiert mehr!“.


Noch mehr inspirierenden Content bekommst du in meinem Podcast “Einfach glauben”. In einer immer komplexer werdenden Welt, helfe ich dir genau dabei: einfach glauben!

In diesem Podcast bekommst du Anregungen und Inspiration wie “einfach glauben” mitten im 21. Jahrhundert, mitten im Alltag, mitten in deinem Leben geht.

Meinen Podcast “Einfach glauben” findest du auf allen gängigen Podcast-Plattformen. Anklicken, anhören, abonnieren.

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Karfreitag – grausam, zornig, gnadenvoll.

Wow, geht’s nicht ein bisschen dünner? Nein! Es ist Karfreitag und nicht Faschingsdienstag. Je länger ich Christ bin, je öfters ich mich theologisch mit Karfreitag auseinandersetze und je mehr Predigten ich zu Karfreitag schreibe – desto mehr passen für mich diese drei Begriffe immer mehr.

Grausam

Wer meint, dass Karfreitag “easy going” ist, der irrt. Das beginnt schon damit, dass das, was Jesus an Karfreitag erleiden musste, jenseits dessen liegt, was ein Normalsterblicher in seinem Leben erlebt – geschweige denn aushalten kann. Ich verkneife mir jetzt bewusst irgendwelche blutrünstigen Vergleiche und Schilderungen. Nur so viel: Vor vielen Jahren kam der Film “The Passion of Christ” (“Die Passion Christi”) in den Kinos und der Aufschrei war riesengroß. Zu blutrünstig, gewaltverherrlichend, grausam soll der Film sein. Nun – ich nenne ihn zumindest im Blick auf die Folterungs- und Kreuzigungsdarstellungen eines: realistisch!

Karfreitag war kein Kindergeburtstag. Was Jesus an Karfreitag erlitt, prophezeite Jesaja schon viele hundert Jahre zuvor sehr, sehr treffend so, als ob er Jesus vor seinem inneren Auge oder in einer Vision sah:

Er wurde verachtet, von allen gemieden. Von Krankheit und Schmerzen war er gezeichnet. Man konnte seinen Anblick kaum ertragen. Wir wollten nichts von ihm wissen, ja, wir haben ihn sogar verachtet. Dabei war es unsere Krankheit, die er auf sich nahm; er erlitt die Schmerzen, die wir hätten ertragen müssen. Wir aber dachten, diese Leiden seien Gottes gerechte Strafe für ihn. Wir glaubten, dass Gott ihn schlug und leiden ließ, weil er es verdient hatte. Doch er wurde blutig geschlagen, weil wir Gott die Treue gebrochen hatten; wegen unserer Sünden wurde er durchbohrt. Er wurde für uns bestraft – und wir? Wir haben nun Frieden mit Gott! Durch seine Wunden sind wir geheilt.Jesaja 53, 3-5

Nicht nur deswegen ist Karfreitag grausam. Ich kann ja verstehen, wenn man sich diesen Schilderungen ein wenig verschließen möchte. Ok. Geschenkt.

Wessen man sich aber nicht verschließen kann, ist die Tatsache, dass jeder Mensch, der über diesen Planeten geht, von diesem Kreuzesgeschehen auf Golgatha betroffen ist. Paulus fasst es in seinem 2. Brief an die Gemeinde in Korinth folgendermaßen zusammen:

Den, der ohne jede Sünde war, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch die Verbindung mit ihm die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können.2. Korinther 5,21

Das ist der Grund für Golgatha – Martin Luther nannte es auch “den fröhlichen Wechsel”. Jesus stirbt stellvertretend für mich, damit ich vor Gott gerecht sein kann. Das schreibt sich so leicht daher, vielleicht liest es sich schon einen Tick schwieriger – verstehen aber kann man das rein rational nicht.

Gott gibt sich selbst in den Tod, damit ich leben kann. Jesus stirbt stellvertretend den Sühnetod am Kreuz – damit geschehen kann, was ich aus Werken und Taten niemals leisten kann: gerechtfertigt vor Gott zu sein. Das macht aber nur Sinn, wenn wir uns einer Sache zuwenden, die in der westeuropäischen Kultur und in den protestantischen Kirchen sowieso in den letzten Jahrzehnten so gut wie keinen Niederschlag gefunden hat: der Zorn Gottes.

Zornig

Zugegeben: Es war die Beschäftigung mit dem Buch “Das Kreuz” von John Stott, auf das ich über diesen wunderbaren Artikel von Markus Till gestoßen bin – überhaupt empfehle ich dir seinen Blog wärmstens.

In diesem Buch geht Stott sehr ausführlich auf den Zorn Gottes ein und beschreibt ihn auf ehrliche, aber auch realistische Weise derart, dass Gottes Zorn und menschlicher Zorn so weit auseinander liegen, wie es weiter nicht sein kann. Was wir an Konnotationen und Assoziationen mit “Zorn” haben (Wut, Angst, Hass, Vergeltung) wird nicht im mindesten dem gerecht, was die Bibel über den Zorn Gottes darlegt.

Auf den Punkt bringt es Stott mit folgender Aussage:

Zwischen dem Zorn Gottes und unserem Zorn liegen Welten. Das, was unseren Zorn hervorruft (verletzte Eitelkeit) ruft niemals seinen hervor; das, was seinen Zorn hervorruft (das Böse) ruft nur selten unseren hervor.John Stott, Das Kreuz, S.220

Gottes Zorn zielt auf die Sünde, das Böse, das Schlechte, das Niederträchtige, das Gottfeindliche – aber niemals auf den Menschen, den Gott so sehr liebt. Aber nur weil er den Menschen liebt, kann er auch so etwas wie Zorn empfinden (auch wenn es zugegebenermaßen nicht einfach ist, über “göttliche Emotionen” zu schreiben). Und doch vergleiche ich es mit Eltern und ihren Kindern: Die schlimmste Form des Umgangs wäre die Ignoranz, das Nicht-Beachten des anderen, weil die Liebe erkaltet ist.

Zorn aber setzt Liebe voraus – ohne Liebe, kein Zorn; keine Liebe ohne Zorn. Und so kommt an Karfreitag etwas zusammen, was unserem postmodern-aufklärerischem Harmoniebedürfnis und der Tendenz, alles Kantige abzuschleifen, alles Nicht-ins-Schema-Passende zur Seite zu drängen, diametral entgegen steht:

Im Kreuz vereinen sich Gottes Zorn, Gottes Liebe, Gottes Heiligkeit und Gottes Gerechtigkeit auf eine Art, die sich unserem menschlichen Verstand insofern entzieht, als dass wir das, was am Kreuz von Golgatha geschah, niemals ganz erfassen können. Nicht mit unserem Verstand – nur mit dem Glauben aus Gnade.

Gnadenvoll

Was für ein Gott ist das, der sich für uns Menschen in den Tod gibt? Und zwar dann, als wir noch gar nichts von ihm wissen wollten.

Gott aber beweist uns seine große Liebe gerade dadurch, dass Christus für uns starb, als wir noch Sünder waren. Die Bibel, Römer 5,8

Was ist das für ein Gott, der so etwas tut? Es ist ein Gott voller Gnade und Liebe für jeden einzelnen Menschen. Ein Gott, der aus Liebe zu den Menschen diese vor sich selbst rettet und zum Äußersten greift, um die Beziehung Gott – Mensch nicht abreißen zu lassen sondern sie immer wieder neu aufzubauen.

Wenn du meinen Blog schon länger liest, wirst du feststellen: Ich schreibe heute nichts wirklich Neues. Ich schreibe nichts, was du nicht schon hättest wissen können, wenn du den ein oder anderen Artikel von mir gelesen hast. Aber was sollte ich auch Neues schreiben? Das Evangelium ist nun knapp 2000 Jahre alt und ist immer noch die gleiche Botschaft heute – wie damals. Was also sollte es Neues unter der Sonne geben, das den Menschen erlöst und mit Gott versöhnt?

Es ist und bleibt das stellvertretende Sterben Jesu am Kreuz auf Golgatha, wodurch er Gottes Zorn gesühnt, uns aus der Knechtschaft der Sünde erlöst, vor Gott rechtfertigt und mit ihm versöhnt hat.

Das alles ist kein Zufall gewesen. Wenn du das “Alte Testament” (den ersten Teil der Bibel, der von den Ereignissen berichtet, die vor Jesu Geburt stattgefunden haben) aufmerksam liest, wirst du eines feststellen: Auf vielen, vielen Seiten wird von Jesus berichtet. Prophetisch. Vorausblickend. Verheißungsvoll.

Karfreitag war kein Unfall. Karfreitag war gewollt. Karfreitag war nötig. Weil Gott es einfach nicht aushält ohne uns Menschen (was schon schwierig zu verstehen ist manchmal) war ihm schon immer klar: Er muss diesen Weg gehen. Und er ist ihn gegangen. Er hat seinen Sohn Jesus in diese Welt gesandt – oder wie Paulus es sagt:

Als aber die von Gott festgesetzte Zeit kam, sandte er seinen Sohn zu uns. Christus wurde wie wir als Mensch geboren und den Forderungen des Gesetzes unterstellt. Er sollte uns befreien, die wir Gefangene des Gesetzes waren, damit wir zu Kindern Gottes werden und alle damit verbundenen Rechte empfangen konnten. Die Bibel, Galater 4,4+5

Es begann nicht erst mit der Karwoche. Das ganze Leben von Jesus stand unter diesem Vorzeichen, dass er sich selbst “versklavt” hat, einer von uns wurde – um uns zu erlösen. Und wir reden hier nicht von irgendjemandem. Wir reden von dem Sohn Gottes, von dem, der Menschen bedingungslos liebt, Menschen heilt, von Dämonen befreit, neue Perspektive schenkt und ausnahmslos und bedingungslos jeden Menschen annimmt. Dieser Jesus ist es, der sein Leben und sein Sterben auf sich nahm, um uns Menschen Freiheit zu ermöglichen.

Und unser Job? Mein Job? Dein Job?

Danken. Anbeten. Empfangen. Weitergeben. Vertrauen. Danken. Anbeten. Empfangen. Weitergeben. Vertrauen…

Christen – feiert mehr!

Christen haben das Feiern verlernt und viele Feste lediglich institutionalisiert. Steile These, ich weiß – aber so kommt’s mir zumindest vor. Dabei ist meine Überzeugung: Wenn irgendjemand Grund hat, zu feiern, ohne einen äußeren Grund dafür finden zu müssen, dann sind es Christen.

Sie glauben an einen Gott, der sie ein für allemal von Schuld befreit und ihnen als “Vorauszahlung” den heiligen Geist geschenkt hat, bis nach diesem irdischen Zeitalter alles in Gottes Ewigkeit endet, die frei sein wird von Leid, Schmerz, Tod, Krankheit, Not und Tränen (Offenbarung 21).

Feiern ist die Vollendung der Anbetung

Jede menschliche Existenz hat ein Ziel: die Anbetung Gottes. Dies geschieht auf ganz unterschiedliche Weise – und gleichzeitig ist Sinn und Ziel eines jeden menschlichen Lebens, seinem Schöpfer dafür zu danken und ihn (durch das Leben) anzubeten. Ich glaube, dessen müssen wir uns immer wieder neu bewusst werden. Suchen wir das Ziel, den Sinn unseres Lebens in uns selbst oder in dieser Welt, dann werden wir weder fündig noch glücklich. Unsere Sehnsucht ist nicht auf rein Sichtbares und Irdisches beschränkt – Gott hat uns mit einer Sehnsucht nach der Ewigkeit und einer anderen Welt geschaffen (vgl. Prediger 3,11).

In seinem Buch “Das Geheimnis geistlichen Wachstums” schreibt Dallas Willard einige bemerkenswerte Zeilen über den Zusammenhang von Anbetung und Feiern.

Das Feiern ist eine der wichtigsten Übungen der Hingabe, die jedoch oft übersehen und missverstanden wird. Wir feiern, weil wir Gottes Größe erfahren haben, die sich in seiner unendlichen Güte zeigt. So gesehen ist Feiern die Vollendung der Anbetung. Aus unserem Glauben heraus und im Vertrauen auf Gottes Größe, Schönheit und Güte können wir uns selbst, unser Leben und die Welt genießen und uns daran freuen. Im Feiern betrachten wir unser eigenes Leben und die Welt als Gottes Schöpfung und als sein Geschenk an uns. Das Geheimnis geistlichen Wachstums, S. 202.

Feiern ist die Vollendung der Anbetung. Das muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Anders ausgedrückt: Die Vollendung unserer menschlichen Existenz als Anbetung ist das Feiern unseres Schöpfers. Dass es dafür Grund genug gibt, schreibt Willard ebenfalls. Christen glauben an einen Gott voller Schönheit, Liebe, Gnade, Größe und Güte. Sie erfahren diese Fülle göttlicher Kraft immer und immer wieder – und die einzig angemessene Form, darauf zu reagieren, ist das Feiern und Genießen.

Dem entspricht das biblische Bild vom Hochzeitsmahl als Ewigkeit bei Gott.

1 Jesus erzählte ihnen noch ein anderes Gleichnis: 2 »Mit Gottes himmlischem Reich ist es wie mit einem König, der für seinen Sohn ein großes Hochzeitsfest vorbereitete. 3 Viele wurden zu der Feier eingeladen. Als alles fertig war, schickte der König seine Diener, um die Gäste zum Fest zu bitten. Aber keiner wollte kommen. 4 Da schickte er andere Diener und ließ den Eingeladenen nochmals ausrichten: ›Es ist alles fertig, die Ochsen und Mastkälber sind geschlachtet. Das Fest kann beginnen. Kommt doch zur Hochzeit!‹ 5 Aber den geladenen Gästen war das gleichgültig. Sie gingen weiter ihrer Arbeit nach. Der eine hatte auf dem Feld zu tun, der andere im Geschäft. 6 Einige wurden sogar handgreiflich, misshandelten und töteten die Diener des Königs. 7 Da wurde der König sehr zornig. Er sandte seine Truppen aus, ließ die Mörder umbringen und ihre Stadt in Brand stecken. 8 Dann sagte er zu seinen Dienern: ›Die Hochzeitsfeier ist vorbereitet, aber die geladenen Gäste waren es nicht wert, an diesem Fest teilzunehmen. 9 Geht jetzt auf die Landstraßen und ladet alle ein, die euch über den Weg laufen!‹ 10 Das taten die Boten und brachten alle mit, die sie fanden: böse und gute Menschen. So füllte sich der Festsaal mit Gästen. 11 Als der König kam, um die Gäste zu sehen, bemerkte er einen Mann, der nicht festlich angezogen war. 12 ›Mein Freund, wie bist du hier ohne Festgewand hereingekommen?‹, fragte er ihn. Darauf konnte der Mann nichts antworten. 13 Da befahl der König seinen Knechten: ›Fesselt ihm Hände und Füße und werft ihn hinaus in die tiefste Finsternis, wo es nur noch Heulen und ohnmächtiges Jammern1 gibt!‹ 14 Denn viele sind eingeladen, aber nur wenige sind auserwählt.«Matthäus 22, 1-14

Auch wenn es verschiedene Auslegungsmöglichkeiten gibt, so ist eine Möglichkeit die, dass Jesus hier von der Ewigkeit spricht, die auf Christen wartet – also die Realität, die auf Christen wartet, nachdem sie im irdischen leben gestorben sind. Und wovon redet Jesus hier? Vom Feiern. Das Feiern ist also die Vollendung der Anbetung, die wiederum Sinn und Ziel jeder (irdischen) menschlichen Existenz ist.

Feiern – schon heute

Ich glaube aber, dass Willard Recht hat, wenn er in seinem Buch auch weiter ausführt, dass Christen mehr schon im Hier und Heute feiern sollten. Eine in dieser Hinsicht faszinierende Bibelstelle findet sich (ausgerechnet) im Alten Testament, im ersten Teil der Bibel.

Das Volk Israel soll jedes Jahr den zehnten Teil seines Ertrages beiseite legen: von den Feldern genauso wie von der Viehwirtschaft. Nur mal so am Rande: Das muss eine ganze Menge gewesen sein.

Diese ganzen Erträge sollen sie zusammen tun und ein Fest feiern. Natürlich gibt es auch eine Anweisung für die, deren Weg bis zur Versammlungsstätte sehr weit wäre:

Wenn ihr aber weit vom Heiligtum entfernt wohnt und der HERR euch sehr reich beschenkt hat, könnt ihr den zehnten Teil der Ernte vielleicht nicht dorthin bringen. 25 Dann verkauft ihn, steckt das Geld ein und kommt damit an den Ort, den der HERR, euer Gott, für sich auswählen wird. 26 Hier kauft euch alles, was ihr gern hättet: Rinder, Schafe, Ziegen, Wein oder ein anderes berauschendes Getränk und was ihr euch sonst noch wünscht. Feiert mit euren Familien in der Gegenwart des HERRN ein fröhliches Fest, esst und trinkt! 5. Mose 14, 24-26

Alles verkaufen und davon dann jede Menge “Rinder, Schafe, Ziegen, Wein oder ein anderes berauschendes Getränk” kaufen. Jetzt mal Hand auf’s Herz: Gott ordnet seinem Volk an, nicht nur mit Wasser und Milch zu feiern, sondern mit alkoholisierter Flüssigkeit…. Oha. Das sollte man mal in manchen Gemeinden lesen.

Ohne jetzt ins Detail zu gehen und auf jedes Wort im hebräischen Urtext einzugehen: Die Israeliten sollen (mindestens) einmal im Jahr zusammen kommen und so richtig einen drauf machen “in der Gegenwart des HERRN”. Diesen Zusatz finde ich witzig: Der ist sozusagen die “moralische Instanz” wie weit das “Draufmachen” geht, frei nach dem Motto: “Feiert, lasst die Sau raus – aber denkt dran: Ihr seid in der Gegenwart des HERRN!” Eigentlich ein ziemlich cooles Motto zum Feiern. Und sorry, wenn es dir ein wenig zu heftig klingt – aber es wäre doch mal spannend durchzudenken, was es heißt “in der Gegenwart Gottes die Sau rauslassen” (für alle nichtdeutschen Leserinnern und Leser: “Die Sau rauslassen” ist ein Sprichwort dafür, mal so richtig ordentlich zu feiern und Party zu machen.)

Ich glaube nicht, dass damit ein zügelloses und hemmungsloses Partymachen gemeint ist, bei dem ich mich sinnlos zulaufen lasse, am nächsten Morgen mit Kater und Filmriss aufwache und alles bereue, was ich in der Zeit getan habe, an die ich mich nicht mehr erinnern kann.

Ich denke, dass damit vielmehr etwas anderes gemeint ist, auf das ich weiter unten noch eingehe.

Und ich glaube, auch heute gilt: Christen – feiert mehr! Ja klar haben wir Ostern, Weihnachten und Erntedank. Kirchliche Feste, in denen wir die Freude über das Leben schön in liturgische und ritualisierte Formen gepackt haben und das dann als Feier verkaufen. Ich glaube aber, dass “Feiern” biblisch gesehen mehr ist, als nur eine rituelle Feier – auch wenn gerade das Judentum eine Reihe an großen Festen und Feiern kennt, die ritualisiert sind.

Feiern – geht ganz unterschiedlich

Vielleicht graut’s dir ein wenig davor, das zu lesen, weil du nicht der Typ bist für große Feiern – herzlichen Glückwunsch! Das ist gut so! Wir Menschen ticken einfach so unterschiedlich – und das ist wunderbar, denn dadurch haben wir auch ganz vielfältige Zugänge zum Feiern. Andere mögen die großen Feiern – wunderbar.

Es muss nicht die große Sause sein, um zu feiern. Es muss nicht das rauschende Fest und die große Party sein, es kann auch sehr einfach, schlicht – ja sogar alleine geschehen.

Auf der anderen Seite kann es aber auch genau das sein: In Gemeinschaft mit anderen Menschen feiern und dankbar annehmen, was Gott schenkt. Freude kann (und soll) durchaus auch ansteckend sein und wirken, weshalb Gemeinschaft beim Feiern alles andere als unnatürlich ist.

Auch wenn es in christlichen Kreisen viele Spaß- und Feierbremen gibt: Wir sollten uns immer wieder daran erinnern, dass Jesu erstes Wunder das war, dass er aus Wasser hervorragenden Wein machte, damit eine Hochzeitsfeier nicht aufhörte, sondern so richtig schön weiterging. (Die Bibel, Johannes-Evangelium, Kapitel 2)

Überall dort, wo du das Leben und das Gute, das Gott dir schenkt, genießt, bist Du schon mitten im Feiern. Du feierst, bist dankbar, leidenschaftlich und berührt von Gottes Gnade und dem, was er an Segen über deinem Leben und in deinem Leben schon ausgegossen hat.

Natürlich können institutionalisierte (kirchliche) Feste dabei unterstützen, aber es ist doch wie beim Beten: Nur mit vorformulierten Gebeten zu beten ist nicht das, was die Bibel unter “Gebet” versteht. Gleichzeitig können wir sie aber auch nicht über Bord werfen und sollten das auch tunlichst unterlassen.

Genauso wenig sind nur institutionalisierte Feste wie Ostern und Weihnachten “Ende der Feier-Fahnenstange” – auch wenn es zugegeben die wichtigsten christlichen Feste sind. Es muss mehr gefeiert werden und nicht nur dann, wenn es der (liturgische) Kalender vorschreibt.

In diesem Sinne wünsche ich mir: Christen – feiert mehr! Genießt mehr! Freut euch mehr! Seid mehr dankbar! Ihr habt allen Grund dafür, denn ihr glaubt an einen Gott, der es durch und durch gut meint und nicht aufhört, euch zu segnen!

Was Esra dem Volk Israel vor vielen hundert Jahren sagte, gilt auch heute noch:

Geht hin und esst fette Speisen und trinkt süße Getränke und sendet davon auch denen, die nichts für sich bereitet haben; denn dieser Tag ist heilig unserm Herrn. Und seid nicht bekümmert; denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.Nehemia 8,10

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Kaleb – oder: Wie das Herz nicht bitter wird

Wenn ich diese Zeilen schreibe, bin ich 40 Jahre alt. Genau so alt wie Kaleb es war, als er in das verheißene Land als Kundschafter ausgeschickt wurde. Die Zeit war reif, so meinte er, dass Israel nicht länger durch die fruchtlose Wüste streifen, sondern das Land, in dem Milch und Honig fließen, einnehmen sollte. Mit ihm war Josua. Gegen ihn waren zehn weitere Kundschafter. Das Stimmenverhältnis war eindeutig, die Pessimisten schreiten wieder mal lauter und die Menschen ließen sich eher von negativen Nachrichten beeinflussen als von positiven.

Unschuldig in der Wüste

So kam es, dass Israel 40 Jahre durch die Wüste wandern musste und einige weitere Jahre hinzukamen, ehe es das verheißene Land Kanaan einnehmen konnte. Mittendrin im Volk: Kaleb. Der Mann, der anders glaubte, anders dachte, anders vertraute als die Mehrheit des Volkes. In dem war er nun aber mittendrin und hätte sich jeden einzelnen Tag der tristen Wüstenwanderei denken können: “Ihr seid mir echt mal schöne Dummköpfe. Wegen euch und eurer Borniertheit muss ich mitlaufen, jeden Tag durch den staubigen Wüstensand stapfen. Statt Milch und Honig gibt’s Wasser und Manna. Danke auch.”

An ihm lag es ja nicht. Er wäre sofort und ohne 40jährigen Umweg ins verheißene Land einmarschiert – weil er Gott vertraute. Es kam aber doch alles anders. Israel ist ja nicht nur durch die Wüste gewandert. Das wäre schon monoton und wenig inspirierend genug. Aber dazu kommt, dass sich Israel ständig irgendwelcher Gefahren ausgesetzt sah – vor allem durch andere Völker, die Israel den Krieg erklärten. Gleichzeitig erlebte das Volk zwar immer wieder, wie Gott es rettete – aber die Israeliten sind auch nur Menschen und die meisten fokussierten sich einfach auf das Negative.

Selbst die Wunder, die vor ihren Augen geschahen, ließen sie kalt. Tagtäglich versorgte Gott sie mit himmlischer Speise. Anstatt dankbar zu sein, waren die meisten Israeliten von der Eintönigkeit des Speiseplans genervt.

Und jetzt? Ist Kaleb verbittert, lebensmüde, grantig und ein alter, schroffer Mann, mit dem niemand etwas zu tun haben will, weil seine Seele bitterer ist als Galle? Weit entfernt. In Josua 14 findet sich die Schilderung einer erstaunlichen Begebenheit, die uns den Charakter von Kaleb beschreibt.

Alt – aber nicht verbittert

Das inzwischen eingenommene Land wird unter den Stämmen aufgeteilt. Da tritt Kaleb zu Israels Anführer Josua. Er erinnert ihn an diese eine Geschichte vor inzwischen 45 Jahren. “Josua, mein alter Freund. Erinnerst du dich? Damals. Als Mose uns aussandte, dieses Land auszukundschaften. Wir wollten Gott vertrauen. Was haben wir das Volk motiviert und versucht zu überzeugen. Es ist uns nicht gelungen. Die anderen zehn waren lauter und haben sie alle verwirrt. Aber jetzt ist es soweit. Wir sind am Ziel.”

45 Jahre. Fünfundvierzig Jahre. In Worten: f ü n f u n d v i e r z i g! So lange Jahre musste Kaleb darauf warten, dass die Verheißung, das Land, auf das er seinen Fuß stellen wird, als sein eigenes Land zu nennen, in Erfüllung geht.

Die Chancen standen riesig, dass in diesen 45 Jahren Kaleb verbittert geworden wäre; dass sein Herz eine Grube voll bitterer Galle, einem Gemisch aus allen Verletzungen, Enttäuschungen, Zweifeln und Tiefen des Glaubens geworden wäre. Wurde es aber nicht. Im Gegenteil:

Nun hat mich der HERR tatsächlich am Leben erhalten, wie er es versprochen hat. 45 Jahre sind vergangen, seit der HERR dies zu Mose gesagt hat. In dieser langen Zeit sind wir Israeliten in der Wüste umhergezogen. Heute bin ich 85 Jahre alt und noch genauso stark wie damals als Kundschafter. Ich habe die gleiche Kraft und kann immer noch kämpfen und Kriegszüge unternehmen. Die Bibel, Josua 14, 10-11

Unglaublich. Josua hat es tatsächlich geschafft. Er wurde alt – aber nicht verbittert. Er hat sein Herz nicht zu einer Mördergrube werden lassen.

Kennst du alte Menschen? OK, ernsthaft: Kennst du alte Menschen, die verbittert sind? Kennst du alte Menschen, die eine Liebe, eine Gelassenheit, ein Vertrauen in Gott ausstrahlen, dass es dir fast die Schuhe auszieht?

Ich kenne beide Sorten von alten Menschen. Die ersten tun mir leid. Vor den zweiten ziehe ich meinen Hut und wünsche mir, dass ich – wenn Gott mich so lange am Leben erhält – mit 85 Jahren genauso bin: alt – aber nicht verbittert! Nicht lebensmüde, sondern lebensfroh. Nicht pessimistisch, sondern optimistisch. Nicht ängstlich, sondern voller Gottvertrauen. Nicht panisch, sondern gelassen. Nicht misstrauisch, sondenr hoffnungsvoll.

Dabei ist Bitterkeit nicht einmal eine Frage des Alters. Ich kenne Menschen, die sind noch weit, weit weg von Kalebs 85 Jahren – aber verbitterter als manch andere. Das ist traurig. Das schmerzt. Das soll nicht sein. Denn verbitterte Menschen sind wie eine bittere Speise: Ungenießbar – aber eigentlich und immer noch wunderbare und von Gott geliebte Menschen.

Kalebs Geheimnis

Wie hat der Kerl das nun aber angestellt, dass er nicht bitter wurde? Was hat er getan, dass der Frust, die Enttäuschungen, die Verletzungen und wie Galle giftiges Schlechtreden sein Wesen nicht so verändert hat, dass er verbittert wurde? Denn mal im Ernst: Wenn du 40 Jahre durch die Wüste wanderst mit Menschen, die nicht immer vorbildlich sind im Denken, Handeln, Glauben und Leben – dann ist die Gefahr sehr groß, dass dein Herz sich öffnet für allerlei Schlechtes. Aber das scheint bei Kaleb nicht der Fall gewesen zu sein.

Was also war sein Geheimnis? Man könnte sagen: “Wegen Überfüllung geschlossen!” Das war sein Geheimnis. In dem oben schon zitierten Kapitel 14 des Josua-Buches wird Kaleb drei mal charakterisiert, der “Gott treulich nachgefolgt” ist – so übersetzt es Martin Luther.

Treulich nachgefolgt. Das Wort “treulich” gehört nicht zu meinem aktiven Wortschatz, deswegen habe ich im Hebräischen nachgeschaut, was dort eigentlich steht. Wenn man es wörtlich übersetzen würde, steht da: “Randvoll mit Gott angefüllt”. Das ist Kalebs Geheimnis. Sein Herz, sein Wesen, sein Verstande, seine Sinne, er selbst war “randvoll mit Gott angefüllt”.

Mich beeindruckt das ungemein und ist genau das, was ich an “alten und nicht verbitterten Menschen” immer wieder feststelle: Die Beziehung zu Jesus ist ihnen so wichtig, dass sie keine Gelegenheit auslassen, im Glauben zu wachsen und diese Beziehung zu stärken – also: geistlich zu wachsen.

In Begegnungen mit solchen Menschen mache ich viele Entdeckungen – zwei davon sind in meinen Augen aber fast schon “konstitutionell” für ein Wesen wie Kaleb:

  1. Diese Menschen haben viele Schicksalsschläge in ihrem Leben erlebt. Es lief nicht alles rund. Im Gegenteil. Sie haben Dinge erlebt, die unglaublich schwer waren und sind.
  2. Es war nicht ihre willentliche Entscheidung, dass Frust, Ärger, Wut, Verletzungen und Enttäuschungen nicht in ihr Herz vordrangen. Es war schlicht und einfach nicht in dem Maße möglich wie bei anderen Menschen, weil: “Wegen Überfüllung geschlossen.”

Um alt und nicht verbittert zu werden, wie Kaleb auch im hohen Alter eine jugendhafte Ausstrahlung zu haben und einen tief verwurzelten Glauben zu leben, ist weniger eine Entscheidung gegen, sondern eine Entscheidung für etwas.

Die Entscheidung, mein Herz “randvoll mit Gott anzufüllen” oder wie Paulus es in Epheser 5,18 schreibt:

Lasst euch immer wieder vom Geist Gottes erfüllen!Die Bibel, Epheser 5,18

Wir brauchen mehr “Kalebs” in unseren Gemeinden! (Frauen sind hier natürlich genauso gemeint wie Männer.) Und wir sollten dankbar sein, wenn wir sie haben – und ihnen das auch sagen.

Als ich gestern im Gottesdienst über Kaleb gepredigt habe, habe ich es den ein oder anderen nach dem Gottesdienst auch gesagt: “Du bist für mich so ein Kaleb.” Die Dankbarkeit und das Strahlen in deren Augen war wunderbar.

Wenn du auch solche Kalebs kennst: Geh zu ihnen! Ehre sie! Sag ihnen, wie sehr du sie schätzt!

Danke, liebe Kalebs, dass es euch gibt!

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Berufung. Eine neue Sicht für unsere Arbeit

Manche Menschen arbeiten, um zu leben. Bei anderen wiederum hat man den Eindruck, sie leben nur, um zu arbeiten. Andere suchen auch nach vielen Berufsjahren immer noch den Sinn in ihrer Arbeit. Manche Menschen wissen sich von Gott an den (Arbeits-)Platz gestellt, an dem sie sind.

Welchen Wert hat Arbeit? Wieso arbeiten wir überhaupt? Wie viel Arbeit und welche Arbeit macht aus christlicher Perspektive überhaupt Sinn? Gibt es so etwas wie den Sinn, den Zweck, das Ziel für meine Arbeit? Liegen “Beruf” und “Berufung” nicht nur sprachlich eng beieinander?

Beruf und Berufung

Tim Keller geht in diesem Buch allen diesen Fragen (und vielen weiteren) auf den Grund. Seine Gedanken, die er gemeinsam mit der Wirtschaftsanalystin Katherine Leary Alsdorf geschrieben hat, sind revolutionär und man könnte dieses Buch durchaus auch als eine “Arbeitsethik aus christlicher Perspektive für das 21. Jahrhundert” nennen.

Dass Arbeit mehr als nur Beruf, sondern Berufung ist, macht Keller schon zu Beginn des Buches deutlich. Folgende Zeilen sind das Fundament seiner weiteren Ausführungen und spielen immer wieder eine Rolle und sollten verinnerlicht werden, um Kellers (und Alsdorfs) Gedanken in ihrer Tiefe zu erfassen.

Und das ist das Grundmuster für jede Art Arbeit. Sie ist kreativ und zielgerichtet. Sie formt das Material der Schöpfung Gottes so um, dass es die Welt im Allgemeinen und die Menschen im Besonderen blühen und gedeihen lässt.Berufung, S. 56

Erhellend war für mich die simple und sicherlich nicht neue, aber in diesem Zusammenhang äußerst wichtige Erkenntnis: Gott selbst arbeitete sechs Tage im Paradies. Es ist nicht so, dass das Paradies das reinste Schlaraffenland gewesen wäre – zumindest nicht in der Form, wie wir es uns vielleicht vorstellen.

In einem ersten großen Teil des Buches widmet sich Keller dann auch vor allem theologischen Gesichtspunkten von Arbeit (ohne diese in den folgenden Kapiteln außen vor zu lassen) unter der Überschrift “Gottes Plan für unsere Arbeit“. Besonders bedenkenswert ist hier nicht nur der Gedanke der Berufung, der immer wieder hervorsticht, sondern auch eine biblisch-theologische Auseinandersetzung mit dem Wert und Sinn von Arbeit.

Probleme und das Evangelium

Der zweite Teil des Buches widmet sich den Problemen unserer Arbeit. Und hier wird es natürlich super praktisch – aber gleichzeitig auch sehr persönlich und direkt. Was, wenn die Arbeit fruchtlos wird? Oder sinnlos? Was passiert, wenn die Arbeit zum Egotrip wird oder unsere Götzen enthüllt?

Den großen Mehrwert bekommt diese Buch – und da ist es eben mehr als nur eine Arbeitsethik – dadurch, dass Keller und Alsdorf nicht beim Beschreiben und Benennen der Probleme und Erscheinungsweisen von Arbeit bleiben, sondern durch praktische Hinweise und Fragestellungen versuchen, Lösungswege bei diesen Problemen aufzuzeigen.

Sicherlich nicht nur für sein Land und seine Stadt vollkommen richtig konstatiert Keller:

Vielleicht hat es etwas mit der Mobilität unserer urbanen Kultur und der daraus folgenden Vereinzelung zu tun, aber in New York City sehen viele junge Leute den Prozess der Berufswahl mehr als die Wahl einer Identität denn als die Frage, wie sie ihre Gaben und Vorlieben zum Wohle der Welt einsetzen können.Berufung, S. 103

Nicht als die große Lösung aber doch als Gegenentwurf oder Weiterführung des gesellschaftlich-postmodernen Verständnisses von Arbeit entwirft Keller dann im letzten Kapitel ein Konzept, wie das Evangelium unsere Beziehung zu Arbeit prägen und positiv beeinflussen kann. Er führt dies in vier Kapiteln einer neuen Story, eines neuen Modells für unsere Arbeit, eines neuen Kompass für unsere Arbeit und eine neue Kraft für unsere Arbeit aus und endet damit dieses einzigartige Buch sehr, sehr kraftvoll.

Wenn Ihr Herz anfängt, auf Christus und auf die zukünftige Welt, die er verheißen hat, zu hoffen – wenn Sie sein leichtes Joch auf sich nehmen -, bekommen Sie endlich die Kraft, mit einem freien Herzen zu arbeiten. Dann können Sie die Erfolge und Leistungen, die Gott Ihnen in Ihrem Beruf schenkt, fröhlich genießen, weil er Sie dazu berufen hat. Sie können mit Leidenshaft und innerer Ruhe arbeiten, in dem festen Wissen, dass eines Tages die tiefsten Sehnsüchte und Wünsche Ihres Herzens – auch die, die Sie für Ihre irdische Arbeit haben – ihre Erfüllung bekommen werden, wenn Sie in ihrem wahren Land, dem neuen Himmel und der neuen Erde, ankommen. Und so können Sie zu jeder Zeit und an jedem Ort mit Freude, Befriedigung und ohne Reue arbeiten.Berufung, S. 233

Fazit

Mir hat dieses Buch die Augen geöffnet – und zwar an vielen Stellen. Kellers Sichtweise auf die Arbeit, den Beruf, das Arbeitsleben, unsere Wertesysteme im Blick auf Arbeit sowie seine theologischen Interpretationen und Bewertungen dieser Felder sind von immenser Wichtigkeit und Tiefe.

Dieses Buch ist für alle ein absolutes “Muss”, die sich mit dem Wert, dem Sinn und dem Ertrag ihrer Arbeit auseinandersetzen wollen. Für alle, die nicht stupide einem Alltagstrott und einer immer gleichen Routine sich dahingeben wollen, sondern “Mehr” suchen und finden möchten – auch und gerade in ihrem beruflichen Umfeld. Keller besticht nicht nur einmal mehr damit, dass er es schafft, komplexe theologische und biblische Zusammenhänge alltagsrelevant und lebensnah zu vermitteln, sondern einmal mehr ist es auch sein äußerst analytischer und treffender Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen, der dieses Buch so lesenswert macht.

Ich bin mir sicher, dass jeder, der dieses Buch aufmerksam liest, einen immens großen Gewinn davon trägt: Für die Frage nach der eigenen Berufung genauso wie für die alltäglichen Fragen, ob die momentan verrichtete Arbeit Sinn macht, oder wie sie noch mehr Sinn machen könnte. Der Untertitel des Buches ist vollkommen korrekt gewählt: “Eine neue Sicht für unsere Arbeit”.

Ebenso bedenkenswert und gerade in unserer Zeit hochaktuell sind Kellers Gedanken zur “Ruhe” und “Sabbat”. Lesenswert. Einfach lesenswert!

Berufung. Eine neue Sicht für unsere Arbeit
288 Seiten
ISBN: 978-3-7655-1682-5
Verlag: Brunnen
Preis: 22,00 EUR


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Geistliches Wachstum oder fromme Gesetzlichkeit?

Es ist ein weit verbreiteter Irrtum: Wer täglich in der Bibel liest, lange Zeit im Gebet verbringt und jeden Sonntag in den Gottesdienst geht – der ist ein guter Christ.

Wem das Lesen in der Bibel schwer fällt, wer wenig betet und nicht jeden Sonntag im Gotteshaus anzutreffen ist – der ist ein schlechter Christ.

So weit zum Irrtum. Der ist schon schlimm genug und ich gehe gleich noch genauer darauf ein. Was mich aber besonders stört und traurig macht – gerade als Pfarrer und Leiter einer Gemeinde: Christen üben – bewusst oder unbewusst sei einmal dahingestellt – unglaublichen Druck auf Menschen aus, die eher der zweiten Kategorie zuzuordnen sind. Dies geschieht natürlich von Menschen, die der ersten Kategorie zuzuordnen sind.

Was ist “geistliches Wachstum”?

Vorab möchte ich dir ein Buch empfehlen. Es ist nicht neu, aber ein Klassiker: “Das Geheimnis geistlichen Wachstums” von Dallas Willard. Ich habe es an einem Wochenende (an diesem Wochenende auf meiner “persönlichen Klausur”) gelesen. Er beschreibt sehr schön, was geistliches Wachstum ist. Zugegeben ein wenig aus dem Zusammenhang gerissen (wie jedes Zitat), bringt Willard es aber mit dieser Aussage so ziemlich gut auf den Punkt:

Geistliches Leben ist keine fromme Pose. Es ist kein „Du sollst nicht“, es ist ein „Du sollst“. Es öffnet die Türen zum ewigen Segen, zu den Kraftquellen Gottes.Das Geheimnis geistlichen Wachstums, S. 103

“Geistliches Leben” ist also kein vom alltäglich-irdischen Dasein abgeschottetes, monastisches, superfrommes Leben – es ist dein Leben inmitten des Alltags, das aber nicht unter rein irdischen Gesichtspunkten abläuft, sondern im Horizont der Liebe Gottes und es dir mitten im Alltag die “Türen öffnet zum ewigen Segen, den Kraftquellen Gottes.”

Es geht um weit mehr als um das Einheimsen des Awards für 175 ununterbrochen besuchte Sonntags-Gottesdienste, den Premium-Status, weil du auch Karfreitag und Ostermontag in der Kirche warst und das schnellste Aufsagen von 20 Bibelversen innerhalb einer Minute.

Mit anderen Worten: “Geistliches Leben” ist nicht die Summe meiner frommen Disziplinen (Willard nennt es in seinem Buch “geistliche Übungen”) sondern vielmehr ist es deren Vorausetzung oder noch einfacher ausgedrückt: Ein Leben im Bewusstsein der Gnade und Liebe Gottes. Oder ganz simpel: Geistliches Leben bedeutet in einer Beziehung mit Jesus zu leben.

Und diese Beziehung wiederum soll sich in jedem einzelnen meiner Lebensbereiche widerspiegeln und nicht nur am Sonntagmorgen oder wenn ich mich in mein stilles Kämmerlein zurückziehe.

Diese Beziehung trägt mich genauso,

  • wenn ich die Hände zum Lobpreis hebe oder mit meinem Mitarbeiter ein wichtiges Gespräch führe.
  • wenn ich in der Bibel lese oder mit dem Unverständnis über die Schule meines Kindes umgehen muss.
  • wenn ich intensive Gebetszeiten habe oder Fußball mit Freunden spiele.

In der westlichen Christenheit hat sich ein Gegensatz zwischen “weltlich” und “geistlich” aufgetan, der einfach schlecht, falsch und schlimm ist. Wir reden von “geistlichem Leben” – und reden so davon, als ob es auch ein anderes Leben gäbe. “Wie steht es um dein geistliches Leben?” Diese Frage habe ich nicht selten gehört – und sie ist dann falsch, wenn damit “geistliche Disziplinen” gemeint sind, durch die ich mich “von der Welt” abschotte.

Willard identifiziert in seinem Buch diverse “geistliche Übungen” wie bspw. Gebet, Feiern, Anbetung, Dienen oder Studium. Aber wohlgemerkt ist der Knackpunkt der, dass diese “geistlichen Übungen” mich nicht zu einem besseren Christen machen, sondern dass sie Ausdruck meiner Liebe und Beziehung zu Jesus sind. Viele vergessen das und meinen, sie müssen diese Übungen vollbringen, was wiederum dem Gerettetsein allein aus Gnade diametral zuwiderlaufen würde.

Die Frage ist also die Motivation hinter dem, was Willard “geistliche Übungen” nennt. Warum vollbringe ich diese Übungen? Wenn ich meine Beziehung zu Jesus dadurch vertiefe – wunderbar. Wenn ich mein frommes Gewissen damit befriedige – ganz schlecht.

In einem anderen Artikel gehe ich darauf ein, wie man geistlich wachsen kann. Vielleicht erkennst du auch darin: Es sind nicht die frommen Übungen, die mich geistlich wachsen lassen, sondern es ist meine Beziehung zu Jesus, das Wahr- und Ernstnehmen des Missionsbefehl und das Bewusstsein, dass ich als Christ immer und überall Teil seiner Mission in dieser Welt bin.

Was ist “fromme Gesetzlichkeit”?

Etwas ganz Ekliges. Denn es hat den Anschein, dass es genau richtig und gut klingt – aber dennoch geht es haarscharf am Ziel vorbei. Aber im Fußball ist es auch so: Knapp daneben ist auch vorbei.

Fromme Gesetzlichkeit definiere ich so:

Sie ist eine Haltung, die dem christlichen Gegenüber vorschreibt, was dieser im Blick auf sein eigenes geistliches Leben zu tun oder zu lassen hat – basierend auf meinem subjektiven Verständnis der Bibel und meinem subjektiven Verständnis dessen, was geistliches Leben ist.

Sollen wir dann gar keine Predigten mehr hören, Podcasts hören oder gute Videos anschauen? Moment! Wir müssen hier genau hinschauen und ich möchte das anhand von drei Worten tun, die für mich bedeutsam sind.

Erstes wichtiges Wort: Haltung

Natürlich kann ich meinem Gegenüber sagen: “Du hast dieses Portemonaie gestohlen. Das macht man als Christ nicht. Bitte gib es dem Besitzer wieder zurück.” Das ist kein Ausdruck von einer Haltung, sondern ich sage meinem Gegenüber (wohlgemerkt: wir reden von “frommer Gesetzlichkeit”, also von Christen, die sich gegenüber stehen oder die sich zueinander verhalten) nur das, was er ohnehin schon weiß.

Mit Haltung meine ich viel mehr, dass man so etwas wie die “Glaubenspolizei” spielt. Vor kurzem hat das erste Haustier in unserem Haus Einzug gehalten: eine Gottesanbeterin. (Jaja, ich weiß schon: Das perfekte Haustier im Pfarrhaus.) Im Terrarium haben wir in die Erde eine Zucht so genannter “Springschwänze” eingelassen. Das sind kleine, wuselige Tierchen, die einen Spitznamen haben, der schon sagt, was sie tun: Sie sind die “Bodenpolizei”, weil sie alles aus dem Weg räumen (ergo: fressen), was da nicht hingehört.

So muss man sich die fromme, gesetzliche Glaubenspolizei vorstellen: Es sind Menschen, die alles aus dem Weg räumen wollen, was in ihren Augen da nicht hingehört. Aber das tun sie nicht, weil es ihnen gerade in den Sinn kommt – es ist ihre Haltung, ihre Lebenseinstellung. Und jetzt mag es dich vielleicht ein bisschen überraschen: Ich kann es diesen Menschen nicht verübeln und es ist sozusagen “nur” ihre Schattenmission, die auf der anderen Seite ihrer unglaublichen Stärke liegt.

Meistens sind es nämlich Menschen, die unglaublich gewissenhaft und zuverlässig sind, die sich ihrem Gewissen und Herzen so verpflichtet fühlen, als käme es ihnen als ein Verrat ihres eigenen Selbst vor, wenn sie nicht als Glaubenspolizei auftreten würden, auch wenn sie sich selbst niemals so nennen würden – viele zumindest. Es gibt auch andere, die ohnehin immer alles besser wissen, stur sind und unbelehrbar – aber da hilft nur beten – was ich aus eigener Erfahrung weiß, und dankbar bin für die vielen Menschen, die in einer Zeit für mich gebetet haben, in der ich – und dessen rühme ich mich beim besten Willen nicht – auch zu dieser Glaubenspolizei gehörte.

Zweites wichtiges Wort: vorschreiben

Ich habe es oben schon angedeutet, aber genau dies geschieht bei “frommer Gesetzlichkeit”: Dir wird vorgeschrieben, was du zu tun und zu lassen hast. Und – leider kommt diese Keule sehr oft – steht dabei auf dem Spiel, wo auf der Skala von 1-10 des “guten Christen” du dich befindest. Hältst du dich nicht an diese Vorschriften, wanderst du automatisch in den unteren Bereich der Skala.

Geholfen ist dir damit überhaupt nicht. Im Gegenteil: die Fragen nehmen zu, das schlechte Gewissen plagt immer mehr und die Orientierungslosigkeit greift um sich. Diese hochexplosive Mischung wir dann entweder durch Überspielen, Beschäftigung und “Wird schon nicht so schlimm sein” überspielt – oder du verlierst dich in unzähligen Gesprächen, Büchern oder anderen Dingen, die dir nicht wirklich weiterhelfen.

Denn das Dilemma ist komplett: Du hast eine Vorschrift bekommen, deren Sinn du nicht ganz erfassen kannst – aber was willst du nun dagegen tun? Die Vorschrift kam ja so fromm daher – manchmal ganz subtil auch als Unterstellung oder Frage:

  • Als Christ nur zufälligerweise beten? Das geht nicht!
  • Du solltest jeden Tag mindestens 15 Minuten in der Bibel lesen.
  • Du kannst keinen Bibelvers auswendig. Schäm dich und gehe zurück in den Konfirmandenunterricht!
  • Du gibst nicht deinen Zehnten? Glaubst du wirklich, dass Gott dein Leben noch segnet?

Drittes wichtiges Wort: subjektiv

Der große Theologe Karl Barth prägte Anfang des 20. Jahrhunderts die so genannte “dialektische Theologie”. Was das ist? Das erkennst du an folgendem Zitat am besten – vielleicht auch eine der bekanntesten Aussagen Barths:

Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen, und eben damit Gott die Ehre geben.Karl Barth: Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 1922.

Alles klar? Was Barth damit sagen will: Wir sind Menschen, unser Wissen und Verstand ist bruchstückhaft und menschlich, von der Sünde “befallen”. Wie um alles in der Welt können wir von Gott reden?

Gleichzeitig sollen wir (nicht nur als Theologen) aber von Gott reden – wer sonst würde es tun, wenn nicht wir? (Ok, die ganze Zeit schreiende Steine zu hören, wäre jetzt auch nicht so der Brüller, wie in Lukas 19,40 beschrieben)

Was wir bei alledem aber immer, immer, immer bedenken müssen ist das, was der Apostel Paulus schreibt:

Unser Wissen ist Stückwerk.1. Korinther 13,9a

Fromme Gesetzlichkeit aber lässt diesen Gedanken außen vor – und das nicht einmal bewusst, sondern manchmal auch unbewusst. Ich muss – ja, bis zum Äußersten – immer der Ansicht sein, dass ich selbst irre – und nicht mein Gegenüber. Wo ich diese Ansicht nicht mehr habe, diese Haltung nicht mehr einnehme (sondern die der “Glaubenspolizei”) mache ich mich zum Werkzeug frommer Gesetzlichkeit.

Mir hat gefallen, was beim letzten K5-Leitertraining Heinrich Christian Rust sagte (ich zitiere aus dem Gedächtnis):

Ich ermahne keinen Bruder oder Schwester wegen eines Fehlverhaltens, wenn ich nicht auch über seine/ihre Sünde geweint habe.

Wow. Das sitzt! Und das ist genau das Gegenteil von Gesetzlichkeit. Wo aber Menschen im Herzen hart sind, da verlernen sie das Weinen über die Sünde des anderen.

Gnade statt Gesetzlichkeit

Egal, auf welcher Seite du stehst: Ob du Glaubenspolizist bist oder gerade von einem Glaubenspolizisten verknackt wurdest. Ich glaube, die Lösung für dieses Dilemma ist Gnade.

Lebensverändernde, unverdiente, wiederherstellende und vollkommen ausreichende Gnade. Erinnere dich daran: Du bist aus Gnade gerettet! Nicht, weil du gute Werke vorzuweisen hast. Nicht, weil dein Glauben bei einer Skala von 1-10 auf 11 Punkte kommt. Du bist einzig und allein aus Gnade gerettet. Auch nicht, weil du “Jesus in dein Herzen aufgenommen hast” (was ich hoffe, dass du es getan hast) – sondern weil dieser Jesus am Kreuz auf Golgatha für jeden Menschen gestorben ist.

Die Bibel ist da recht eindeutig, schonungslos und auf den ersten Blick deprimierend:

Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen,Römer 3,23

Es gibt keine Ausnahmen. “Alle” heißt “alle”. Da können wir rumprobieren, solange wir wollen: “Alle” ist so ziemlich allumfassend, was bedeutet, dass wiederum auch “alle” den gleichen Grund haben, auf den sie ihren Glauben bauen und die Wiedergeburt feiern können – denn der Satz geht weiter:

und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Römer 3,24

Gnade. Was wünschte ich mir, noch mehr zu verstehen, welche Kraft, Schönheit und Veränderungspotential diese “erstaunliche Gnade” (amazing grace) doch hat. Ich will in ihr wachsen – auch wenn ich sie nie “ganz” greifen kann.

Eines aber glaube ich: Wenn wir die Gnade wählen als Umgangsform und nicht die Gesetzlichkeit, dann wird es besser: in unserem Leben, in unseren Gemeinden und in dieser Welt. Wir könnten zu uns selbst stehen, uns annehmen, wie wir sind – weil die Gnade viel größer ist. Und was wir mit uns können – das können wir mit unserem Gegenüber dann auch.


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